In „The Taste of Water” erforscht der kurdische Regisseur Ebrahim Saeedi die ökologische Krise am Urmia-See und beleuchtet die Folgen der anhaltenden Unterdrückung durch die iranische Regierung auf das Ökosystem und die dortigen Bewohner:innen.
Auch ein See kann sprechen. Ein See kann schreien, er kann protestieren. Nicht in Parolen. Nicht in Worten, die im Hals stecken bleiben. Nicht wie die Heiserkeit nach einem Streit. Doch durch Wasser, das verdunstet. Durch immer mehr Salzkristall-Ablagerungen und Algen, die das einst grünblaue Wasser rot färben. Ein See kann verbluten und damit tiefe Wunden aufreißen bei denen, die sich an dessen Ufer festkrallen, um zu überleben.
„Das Austrocknen dieses Sees fühlte sich schon immer sehr bedrohlich für mich an.”, sagt Ebrahim Saeedi. Der kurdische Filmemacher von „The Taste of Water” wuchs in der Nähe des Urmia-Sees auf und sah zu, wie der größte Binnensee Irans Stück für Stück austrocknete. Allein zwischen 1998 und 2011 ist der Urmia-See um 60 Prozent geschrumpft.
Der Grund dafür ist jedoch nicht 'nur' der Klimawandel, sondern die fehlgeleitete Klimapolitik und die kolonialen Infrastrukturen des iranischen Staates, die weitgehend für die Wasserkrise in Ostkurdistan und Iran verantwortlich sind. Arbeitende sowie religiöse und sprachliche Minderheiten in Urmia sind am meisten betroffen von dieser Politik und ihren Folgen. Der höher werdende Salzgehalt des Sees zerstört nicht nur das Ökosystem innerhalb Urmias, sondern auch die umliegende Ernte und drängt Arbeitende in die zwangsläufige Armut. „Am Ende lassen sie uns einfach verhungern.”, sagt einer der im Film gezeigten Landwirte, bevor der Bildschirm schwarz wird und der Film endet.
Erzwungene Modernisierung
Das von Saeedi aufgezeigte Schicksal des Urmia-Sees ist kein Einzelfall, sondern ein Beispiel der gravierenden Auswirkungen anhaltender Unterdrückungspraktiken des iranischen Staates auf lokale Ökosysteme sowie den Menschen und Initiativen vor Ort. Für mehrere Jahrhunderte konnten die Bewohner:innen Irans und Ostkurdistans durch traditionelle Methoden der Wasserumverteilung Dürre-Perioden überstehen. Die von Kurd:innen vor 3000 Jahren erbauten Qanat transportierten das Wasser aus den Bergen über unterirdische Schächte und in Fels gehauene Stollen zu den Bewohner:innen.
Doch indigene Strategien des Wassermanagements wurden während der Pahlavi-Dynastie (1925-1979) mehr und mehr verworfen – Iran sollte ein modernes Land werden. Die vom damaligen Schah, Mohammad Reza Pahlavi, ausgerufene „weiße Revolution“ im Iran, eine groß geplante und letztlich gescheiterte Landreform, hatte schwerwiegende Folgen für das gesamte Land und die umliegenden Regionen.
Seit über vierzig Jahren setzt die Islamische Republik die vom Schah erzwungene Modernisierung in industrieller Form fort. Das traditionelle Kanalsystem wurde durch das Aufstauen von Flüssen und das aggressive Abpumpen von Grundwasser ersetzt. Zudem wurden vermehrt Pflanzen mit hohem Wasserbedarf wie beispielsweise die Zuckerrübe oder Äpfel angebaut. Die Verdrängung lokaler und ökologischer Praktiken durch die iranische Regierung führte im Laufe der Jahrzehnte zu einer zunehmenden Wasserknappheit. Die Fehlentscheidungen rund um Wasser sind Teil dieser destruktiven Politik und dienen als Instrument der Spaltung und Machtausübung, welche am Ende Minderheiten in noch prekärere Lebenslagen drängt und ganze Ökosysteme zunichtemacht.
"Ich fürchtete den Tag, an dem das Wasser absinkt"
Für seinen Film stand Saeedi über ein Jahr im direkten Austausch mit Landwirten im Umkreis seiner Heimatstadt und wurde Zeuge der fatalen Auswirkungen der Dürre: Wasserknappheit, zerstörte Ernten, Konflikte zwischen religiösen und sprachlichen Minderheiten. Sein Film sollte die missliche Lage Urmias an die Öffentlichkeit bringen. „Ich fürchtete den Tag, an dem das Wasser absinkt. Ich wusste, dass das Konsequenzen für die gesamte Region haben wird und ganz langsam sind diese einst nur schauerlichen Gedanken zur bitteren Realität geworden”, erklärt er.
Im Juli 2001 kam es zur Evakuierung von 50 Dorfbewohner:innen der Provinz Kerman, die gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. 100.000 Landwirt:innen verloren ihre Arbeit, und der berühmte Zayande-Roud [persisch, wörtlich: „lebensgebender Fluss“], der seit Jahrhunderten durch die Stadt Isfahan fließt, trocknete aus. Diese Entwicklungen bewegten 2018 Menschen dazu, auf die Straße zu gehen, die die Regierung als verantwortlich für die mangelnde Wasserversorgung sahen. Die Wut der Menschen steigt weiter, doch Dissidenz wird vom iranischen Regime unterdrückt.
Entlang der roten Linie: Kriminalisierung von Umweltaktivist:innen
Im Jahr 2013 fand sich an der Freien Universität Berlin eine Forschungsgruppe zusammen, die aktiv an der Rettung des Urmia-Sees und der Stadt Urmia arbeitete. Die Forscher:innen stellten unter anderem die Forderung, dass ökologische Planungen rund um den See mit einer langfristigen Perspektive erfolgen und deren zukünftige Auswirkungen mitbedacht werden sollten. Die Forschungsgruppe analysierte die Kernursachen des Austrocknens und konfrontierte damit auch indirekt die Islamische Republik. Laut der Forschungsgruppe seien Autobahnen durch den See, illegale Brunnen und Abpumpanlagen Grund für das Sterben Urmias. Der Plan der Gruppe war es, Wege und Mittel zu finden, um der voranschreitenden Austrocknung entgegenzuwirken.
Sowohl Forschungen als auch lokale Proteste sind jedoch von enormen Repressionen betroffen. Umweltaktivist:innen oder auch einfache Forscher:innen werden innerhalb Irans kriminalisiert und erhalten oft lebenslange Haftstrafen oder im schlimmsten Fall das Urteil „Verdorbenheit auf Erden“ – die Todesstrafe. Im Jahr 2020 veröffentlichte National Geographic einen Beitrag zu einer Gruppe verhafteter und ermordeter Umweltforscher:innen, die den vom Aussterben bedrohten Geparden studierten. Die ohnehin schon aufgeheizte Atmosphäre während der feministischen Revolution löste nach der Tötung des letzten Geparden einen landesweiten Aufschrei aus. Während die Kriminalisierung von Umweltaktivist:innen weltweit zunehmend Beachtung findet, bleibt das Schicksal iranischer Aktivist:innen nach wie vor unsichtbar.
„The Taste of Water“ versucht das repressive Vorgehen der Islamischen Republik zu entlarven und zeigt damit die Verfänglichkeit regierungskritischer Projekte. „Ich musste zu absurden Zeiten aufwachen und schlafen, um gefahrlos filmen zu können“, beschreibt der Filmemacher. Er betont das Risiko, selbst Filme oder Berichte zu Umweltthemen zu produzieren: „Im Iran Filme zu machen heißt, sich entlang einer roten Linie zu bewegen: Einerseits kannst du das Regime nicht tatsächlich infrage stellen und seine Umweltpolitik kritisieren, andererseits soll das eingefangen werden, was die Menschen berührt und betrifft. Man muss irgendeinen Weg finden, um das zu sagen, was man sagen möchte, ohne dabei das Offensichtliche auszusprechen.“
Eine Dystopie auf der großen Leinwand
Saeedi ist ein Geschichtenerzähler. Einer, der diese komplexen Strukturen und Ungerechtigkeiten in individueller Form sprechen lässt: In seinem Film leiten uns die Hauptcharaktere und Landwirte Kak Mohammad und Mashhidi Askar durch eine wahr gewordene Dystopie. „Menschen, die sich mit Landwirtschaft ihr Leben sichern, haben auch ein anderes Verhältnis zur Umwelt. Sie haben ein anderes Gefühl [hes, kurdisch] für die Natur. Doch wir, wir haben sie vergessen”, erklärt der Filmemacher. Mit jedem Schnitt sehen wir, wie die Bauern nicht nur um ihr eigenes Schicksal trauern, sondern auch um das der Weinblätter, die von den Salzstürmen ganz fleckig und durchlöchert sind, um die vollen Hausteiche, die jetzt nur noch trockene Leerstellen zurücklassen. Die Szenen zeigen, wie Bauern vor einer Herde toter Schafe stehen und weinen.
Saeedis „The Taste of Water” fordert uns auf, jenen zuzuhören, deren Stimmen und Erfahrungen oft vergessen werden, wenn es um Klimapolitik geht: Menschen aus nicht-westlichen Ländern, Menschen, deren Existenz auf Landwirtschaft beruht und schließlich der Natur selbst. In Urmia leben Menschen unterschiedlicher religiöser Glaubensgemeinschaften gemeinsam – Sunnit:innen, Schiit:innen, Christ:innen und Zoriastrier:innen. Und auch, wenn einige Türkisch, Kurdisch und andere Farsi sprechen, halten diese Differenzen die Menschen am Urmia-See nicht davon ab, ihren Schmerz zum Ausdruck zu bringen, Filme zu drehen und widerständig zu sein. Umweltkatastrophen sind niemals 'natürlich' oder politisch neutral in Bezug auf ihre Ursachen oder Konsequenzen. Denn das Ergebnis der Dürre Irans ist die langsame Ermordung einer Vielzahl von nicht menschlichen Lebewesen, Arbeiter*innen und religiösen Minderheiten. Das Ergebnis ist der Profit für die Reichen, das Regime und all jenen, die andere unter dem Asphalt ihrer „Visionen“ ersticken lassen.
Der Film „The Taste of Water” wurde 2023 im Rahmen des Kurdischen Filmfestivals gezeigt.
Saeedi, Ebrahim (2023): „The Taste of Water”, Iran, 81min.