23.10.2023
„Es ist schwierig, als kurdische:r Filmemacher:in einen Film zu drehen“
Der Film „Im Toten Winkel“ von Ayşe Polat eröffnete das Kurdische Filmfestival 2023. Foto: Mîtosfilm
Der Film „Im Toten Winkel“ von Ayşe Polat eröffnete das Kurdische Filmfestival 2023. Foto: Mîtosfilm

Das Kurdische Filmfestival Berlin bietet seit zwei Jahrzehnten Raum für kurdisches Kino. Festivalleiter Roj Hajo erklärt, welchen Problemen kurdische Filmemacher:innen begegnen und wie das Festival kurdische Themen nach vorne bringt.

Seit wann gibt es das Kurdische Filmfestival?

Der kurdische Filmproduzent Mehmet Aktaş gründete 2003 in Berlin die kurdische Filmproduktionsfirma Mîtosfilm und ein Jahr später das Kurdische Filmfestival. Er wollte damit Themen sichtbar machen, die auch in Deutschland viele Jahre unter dem Radar geblieben waren. Weltweit gibt es rund 40 Millionen Kurd:innen. In Kurdistan, aber auch in der Diaspora. Allein in Deutschland sind es über eine Million. Viele sind traumatisiert und haben schwere Schicksale erlebt. Diese Menschen haben viele Geschichten, trotzdem war das kurdische Kino unbekannt. Dann erhielt der kurdische Schauspieler Yilmaz Güney 1982 die Goldene Palme in Cannes, was international Wellen schlug: „Wow, es gibt in der Filmlandschaft auch kurdisches Kino.“ Danach kamen vereinzelt andere Filmemacher:innen wie Bahman Ghobadi aus dem Iran 2004 mit „Schildkröten können fliegen“, ein grandioser Film.

Welche Rolle spielt das Kurdische Filmfestival für das kurdische Kino?

Das Festival kann auf lokaler Ebene die Menschen, die in Berlin leben, erreichen. Berlin ist eine multikulturelle Stadt. Menschen aus verschiedenen Ländern haben so Zugang zu einem Festival, bei dem sie Filme sehen, die sie nicht einfach an jeder Ecke sehen können. Es sind oft Filme von Filmemacher:innen aus dem Irak, Iran, Syrien und der Türkei. Diese Filme werden selbstverständlich nicht auf einem türkischen oder iranischen Festival gezeigt. Wir sind umso glücklicher, dass wir hier in Berlin und mit der Unterstützung des Berliner Senats die Möglichkeit haben, das Festival zum einen zu gestalten und zum anderen die Filmemacher:innen einzuladen, damit sie ihre Geschichten erzählen können. Die Künstler:innen machen die Bedeutung des Festivals aus. Wir sammeln die Filme, geben einen Schwerpunkt und der Rest wird von ihnen getragen. Nach einer Woche Festival, wenn man sich alles zurückblickend anschaut, ist es toll zu beobachten, wie das Ganze weltweit ausstrahlt. Inzwischen gibt es ein Kurdisches Filmfestival in Köln, Hamburg, London und Schweden. Das macht es global und bietet den Filmemacher:innen Unterstützung. So haben sie die Möglichkeit, ihre Filme auf weiteren Festivals zu zeigen und sich miteinander zu vernetzen, um eventuell zukünftige Projekte umzusetzen.

Die Region Rojhelat, also Ostkurdistan im Iran, war der Fokus des Kurdischen Filmfestivals 2023. Wieso wurde dieser Schwerpunkt gesetzt?

Jedes Jahr liegt der Fokus auf jeweils einer Region in Kurdistan. Zuerst waren es Bakur in der Türkei, Başûr im Nordirak und Rojava in Syrien und dieses Jahr ist es Rojhelat. Jedes Mal zeigen wir Filme aus der Region oder über Themen, die für die Region relevant sind.

Roj Hajo ist Geschäftsführer der Produktionsfirma Mîtosfilm und Festivalleiter des Kurdischen Filmfestival Berlin. Foto: Berîvan Kalkan

In welcher Lage befinden sich kurdisch-iranische Filmemacher:innen momentan?

Es ist wirklich schwierig als kurdische:r Filmemacher:in in Kurdistan oder in WANA Filme zu drehen. Der finanzielle Aufwand ist groß. Die Kulturministerien in Kurdistan sind überfordert, es bestehen Engpässe. Sehr viele junge Filmemacher:innen bekommen oft nicht die Möglichkeit und nötige Unterstützung, um ihre Filme umzusetzen. Deswegen machen es viele „Guerilla-mäßig“ oder haben Freund:innen und Verwandte, die sie unterstützen. Im Iran kommt hinzu, dass das Regime Filme inhaltlich kontrolliert. Auch als namhafte:r Filmemacher:in mit einer tollen Idee, die du im Land drehen möchtest, musst du dein Drehbuch zur Überprüfung abgeben, um eine Drehgenehmigung zu bekommen. Wenn du einen kurdischen Hintergrund hast, wird noch schärfer draufgeguckt. Wenn es dann noch regimefeindlich ist, werden sofort Stellen und Passagen aus dem Drehbuch herausgestrichen. Schlimmstenfalls wird es unmöglich den Film zu drehen. Gerade jetzt, seit die Revolution im Iran im Gange ist.

Kommen mit der Revolution auch neue Filme?

Es gibt Filmemacher:innen, die die Revolution nutzen und die Welt mit starken Geschichten auf das Leben im Iran aufmerksam machen. Viele junge Filmemacher:innen haben diese Möglichkeiten nicht. Andere verlassen das Land und kommen nach Europa. Diejenigen, die es unter diesen schwierigen Umständen dennoch schaffen, ihre Kunst umzusetzen, in Form von abstrakter Kunst bis hin zum Film, Tanz und Gesang, haben meinen größten Respekt. Was wir im Westen tun können, ist den Menschen eine Plattform anzubieten und sie soweit es geht zu unterstützen. In der Hoffnung, dass dieser Einfluss eines Tages die Regierung und die Menschen erreichen kann, um ein Umdenken in den Strukturen zu schaffen.

Das Kurdische Festival hat 2023 mit dem Spielfilm „Im Toten Winkel“ eröffnet. Warum wurde dieser kurdisch-türkische Film ausgewählt?

Es stimmt, wir haben den Fokus auf Rojhelat, aber das heißt nicht, dass der Eröffnungsfilm den Fokus des Festivals zeigen muss. Wir sind ein Festival, das etwa 50 Filme pro Jahr zeigt, die nicht nur das Fokus-Thema behandeln. „Im Toten Winkel“ ist ein Polit-Mystery-Thriller und der erste kurdisch-türkische Film, der das Thema der türkischen Geheimpolizei JİTEM so intensiv aufgreift. Dies tut er aus verschiedenen Perspektiven und auf eine Weise, dass der Täter, ein Geheimpolizist, selbst als Opfer dargestellt wird. Ich fand es immer wieder beeindruckend, wie viele Zuschauer:innen zu uns kamen und sagten: „Es war erschreckend, wie wir uns dabei ertappten, Empathie für den Täter zu empfinden.“ Das ist der Punkt, an dem es interessant wird: die Menschen, die einem Volk über Jahre so viel Leid zugefügt haben, erkennen, was es heißt, in eine Opferrolle zu kommen. Und diese so reflektieren zu können, dass sie erkennen, was für ein Schaden angerichtet wird und wie fatal das Ganze ist.

Was bedeutet der Titel des Films?

Der Titel des Films „Im Toten Winkel“ war ursprünglich anders. Der Arbeitstitel des Films lautete „Eine Reise nach Diyarbakır“. Mîtosfilm hat den Film produziert und wir haben sehr lange nach einem passenden Titel gesucht. „Im Toten Winkel“ bringt es aber auf den Punkt. Wer den Film gesehen hat, wird schnell erkennen, dass er verschiedene Winkel und Perspektiven hat und zwischen den Zeitebenen hin- und herspringt. Was ist ein toter Winkel? Wenn versucht wird, überall eine Kamera zu platzieren, alles im Auge zu behalten, gelingt das nie zu hundert Prozent. Es bleibt eine kleine Grauzone oder ein Winkel, der nicht eingesehen werden kann. Der tote Winkel steht metaphorisch dafür, dass der Film ein Thema aufgreift, das über Jahre totgeschwiegen wurde. Er ist eine Grauzone, ein Fleck, ein Ort, etwas, das versucht wurde, unter den Teppich zu kehren. Er hat noch eine tiefere symbolische Bedeutung: Er steht für das, was über Jahrzehnte einem Volk angetan wurde.

 

 

Berîvan hat Soziologie und Politikwissenschaft in Leipzig und Trento (Italien) studiert. Aktuell studiert sie Sozialwissenschaften in Berlin. Ihre Forschungsinteressen liegen in der Migrationsforschung, interkulturellen Konflikten und den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Diaspora.
Redigiert von Jana Treffler, Elisa Nobel-Dilaty