Wie können revolutionäre Bewegungen eine literarische Plattform finden? Im Sammelband „tofan (Sturm)“ gehen acht Autor:innen dieser Frage nach. Sie verleihen verschiedenen Kämpfen Ausdruck und finden Stärke im Kollektiven.
What is a poem in the face of a revolution? Mit dieser Frage eröffnet Tanasgol Sabbagh den Sammelband. „Tofan“, das sind acht Stimmen, die uns ihre Auseinandersetzung mit politischen Bewegungen und revolutionären Prozessen literarisch näher bringen.
Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Beziehung zwischen Kunst und Revolution aushandeln. Sie unterscheidet die Textform und die Sprache: über Lyrik und Kurzprosa, Interviews und Essays vereint der Sammelband die verschiedensten Formate. Die Beiträge sind auf Deutsch, Englisch, Persisch und Kurmandschi verfasst. „Tofan“ ist trotzdem, oder gerade deswegen, ein durch und durch poetisches Gesamtkunstwerk – jede:r Autor:in begegnet uns auf eine eigene Art und Weise. Die Vielfältigkeit dieses Sammelbandes stört den Lesefluss kaum. Vielmehr suchen die Texte des Sammelbandes ihr persönliches Publikum.
Jede:r Leser:in wird Texte finden, die zu ihm:ihr sprechen. Denn sprachlich und politisch sind sie so unterschiedlich wie die Textformen selbst: Sie erzählen von kurdischen Kämpfen von Jin, Jiyan, Azadî, von Repressionen und Revolutionen in der Türkei, in Iran, in Afghanistan. Die verschiedenen Sprachen und Sprachregister sind dabei persönlich, fast privat, und haben in ihrer Vielschichtigkeit vielleicht das Ziel, möglichst viele Menschen zu erreichen. Trotzdem finden sich, über Bewegungen und literarische Formen hinweg, Verbindungslinien hin zu einem größeren, kollektiven revolutionären Prozess. Die Autor:innen vermitteln den Eindruck, dass sie ihre Kämpfe vereinen und gemeinsam führen wollen.
Das Schreiben gegen den eurozentrischen Kanon
In der deutschen Literaturszene wird schnell und gerne mit dem Begriff des Pathos oder des Kitsch um sich geworfen, um Texte abzuwerten. Liest man auf anderen Sprachen, erkennt man immer wieder, dass diese Angst vor Kitsch und Pathos und die daraus resultierende Abwertung von Literatur ein deutsches Phänomen ist. Die Texte in „tofan“ widersetzen sich dieser Angst. Sie zeichnen einprägsame, kreative Bilder, die in der deutschsprachigen Literaturszene viel zu selten zu finden sind. Bilder, die in der Literaturszene anderer Länder längst im Kanon angekommen sind.
Nicht nur die Inhalte des Sammelbandes sind politisch, auch seine Sprache ist es, indem sie sich eurozentrischen Erwartungshaltungen an poetische Texte widersetzt. Sprache und Inhalt formen eine Synthese, ergeben eine revolutionäre Bemühung voller großer Gefühle. Die Sichtbarkeit und der bloße Ausdruck ebendieser Gefühle ist in jeder Zeile ein politischer Akt.
Zwischen Trauer, Wut und Utopie
„Wir sind nicht politisch geworden, weil wir Bücher gelesen haben, wir sind politisch geworden, weil wir geschlagen wurden“ schreibt Tanasghol Sabbagh. Kein Satz steht unhinterfragt für sich, die Kritik hört nicht bei der eigenen Arbeit auf. „Du wirst auf der Straße erschossen und ich betrachte dein Erschossen-werden analytisch und mache damit hier meine akademische Karriere.“ Texte zu schreiben, Gehör zu finden ist ein Privileg, möchte sie uns sagen. Die Texte versuchen deshalb, ein Andenken für alle zu sein, die ohne Texte als namenlose Menge in Vergessenheit geraten – ein Anliegen, das niemandem gerecht werden kann, aber immerhin versucht, für Aufmerksamkeit zu sorgen.
Das Buch zeigt Ideen auf, wie Andenken entstehen kann: In Hinblick auf die Suche nach neuen Solidaritätsstrukturen zeigt uns „tofan“, wie Freiheitskämpfe einander über Staats- und Identitätsgrenzen hinweg stärken können. Die revolutionären Bewegungen werden international gedacht: Die Autor:innen versuchen, durch ihre Worte Bündnisse mit marginalisierten Menschen andernorts aufzubauen, die über ihre eigenen Erlebnisse hinausgehen.
Ziel ist eine kollektive Zusammenarbeit. Das Buch liest sich wie eine Reihe indirekter Handlungsanweisungen, wie so ein kollektives Zusammenkommen aussehen könnte. Was wir als Leser:innen mit diesen Hinweisen machen, bleibt uns überlassen. Immer wieder fällt der Begriff der Freundschaft, er rahmt den Sammelband, gemeinsam mit weiteren Begriffen wie Widerstand. In ihrem Zusammentreffen bietet sich den Leser:innen die Möglichkeit, das Geschriebene als Blick auf aktuelle Zustände zu verstehen. Freundschaft wird solidarisch und kämpferisch gedacht. Sie dient als revolutionäres Werkzeug.
Erinnern als widerständige Praxis
„Die Konfrontation mit dem, was man ‚vermisst‘, wenn man erkennt, dass das, was man vermisst nicht existiert und nicht nur jetzt nicht existiert, sondern vielleicht nie existiert hat, ist eine bittere Lektion über selektives Erinnern.“, schreibt Sanaz Azimipour. Gesucht wird der richtige Platz für das eigene Trauma. Ein Platz, der vielleicht nie da war. Auch hier macht die kollektive Auseinandersetzung die Suche etwas leichter. Was bleibt, ist der geteilte Schmerz.
aDj, Herausgeber:in des Sammelbands, bezeichnet die Kunst des Erinnerns als widerständige Praxis. Erinnern wird zum Kampf ums Überleben, zum Versuch denen, deren Existenzrecht ständig in Frage gestellt wird, Sichtbarkeit zu erkämpfen. Diese Form der Erinnerung als Widerstand zieht sich durch das Buch. In den vielen kleinen, zärtlichen Momenten und Worten, die ein Andenken an verlorene Orte, Menschen und Eindrücke bilden wollen, lebt er weiter. Die Texte, ob Kurzprosa oder Lyrik, leben von diesen, aus Erinnerungen entstehenden Bildern. Sie machen mir Lust zum Weiterlesen. Und zum Nachdenken über das eigene Erinnern.