2024 liegt hinter uns – ein guter Grund, um zurückzublicken: auf das Magazin mit vielen neuen Artikeln und einer neuen Koordinatorin, ein unvergessliches Sommerfest zum fünfjährigen Jubiläum des Vereins sowie zwei Vereinstreffen. Wir freuen uns auf das, was noch kommt!
Im vergangenen Jahr dominierten viele herausfordernde und bewegende Ereignisse in WANA die Schlagzeilen. Dazu zählt das anhaltende Kriegsgeschehen in Palästina, Libanon und Israel. Auch die erste direkte militärische Konfrontation zwischen Israel und Iran verdeutlichen die Spannungen in der Region. Die Verschärfung des Bürgerkriegs im Sudan führte zu einer katastrophalen humanitären Situation. Doch es gibt auch Hoffnung auf Veränderung: Der Sturz des Assad-Regimes in Syrien brachte neue Zuversicht in das Land, während Sorgen über die zukünftige Stabilität und Sicherheit für einige weiter existieren. Im Verein haben wir uns intensiv mit diesen Themen auseinandergesetzt, die in den zahlreichen veröffentlichten Artikeln des Magazins ihren Platz fanden.
Im Sinne der dis:orient- Tradition, starteten wir das Jahr mit dem Summit in Berlin. Bei dem zweitägigen Mitgliedertreffen in Berlin lag der Fokus auf der Planung des Sommerfests.
Im Herbst trafen wir uns zu unserer Zukunftswerkstatt im gemütlichen Tagungshaus in Baitz, wo wir uns intensiv mit den internen Strukturen des Vereins beschäftigten. Dabei reflektierten wir die Zusammenarbeit im Team, nahmen Anpassungen an der Magazin-Arbeit vor, prüften neue Finanzierungsoptionen und überlegten, wie wir unsere Öffentlichkeitsarbeit weiterentwickeln können.
Der folgende Jahresbericht gibt einen Überblick über zwölf Monate engagierte Berichterstattung und politische Bildungsarbeit zu den Themen WANA, Deutschland und den Verflechtungen dazwischen. An dieser Stelle möchten wir unseren Förder:innen und Unterstützer:innen unseren herzlichen Dank aussprechen – ohne euch wäre dieses Jahr nicht möglich gewesen!
Das Online-Magazin
Entgegen aller Hoffnungen kam es im Jahr 2024 nicht zu einem Waffenstillstand im Gaza-Krieg. Daher legten wir in unserer Magazinarbeit weiterhin einen starken Fokus auf die Aufarbeitung des andauernden Konflikts. Die Artikel über den Krieg gehörten zu den meistgelesenen des Jahres.
Neben der Frage, wie eine Flucht aus dem Gazastreifen gelingen könnte, analysierten wir Israels Vorwürfe gegen das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge, die den Stopp dringend benötigter Zahlungen vieler Geberländer zur Folge hatten. Auch die Anklage Nicaraguas gegen Deutschland wegen möglicher Teilnahme an einem Völkermord nahmen wir unter die Lupe. Mit Daniel Marwecki, der sich in seinem Buch Absolution mit der deutschen Staatsräson auseinandersetzt, diskutierten wir die deutsch-israelischen Beziehungen. Als sich der Krieg auf den Libanon ausweitete, beleuchteten wir mit Professorin Dr. Elham Manea von der Universität Zürich die Auswirkungen auf die libanesische Bevölkerung.
Neben juristischen und politischen Fragen bemühten wir uns immer wieder, mit Menschen vor Ort in Kontakt zu treten – ihre Perspektiven sind oft die wichtigsten, leider auch die am stärksten unterrepräsentierten. Issam Hani Hajjaj, ein 27-jähriger Gazaner, der den Küstenstreifen nie verlassen hat, schreibt auf seinem Blog Witness from Gaza ein öffentliches Tagebuch über das Leben im Kriegsgebiet. Wir sprachen mit ihm, ebenso wie mit Eszter Koranyi und Nimala Kharoufeh von der israelisch-palästinensischen Friedensorganisation Combatants for Peace und Wesam Ahmad von der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al Haq. Initiativen wie diese sind Lichtblicke, besonders in Kriegszeiten. Ihr Engagement darf nicht übersehen werden.
Auch Syrien fokussierten wir verstärkt: Zu Beginn des Jahres stellten wir die gemeinnützige Organisation Syrbanism vor, die seit 2017 Konzepte für den Wiederaufbau von syrischen Städten nach dem Krieg entwickelt. Diese erhielten mit dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember eine neue, unverhoffte Dringlichkeit. Für viele Syrer:innen brachte der Zerfall des Regimes die lang erhoffte Befreiung, dennoch bleiben viele Fragen offen – etwa, was unter der neuen Machthaberschaft der Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) mit den Minderheiten passiert. Die kurdische Community sieht sich durch die Nähe der HTS zur türkischen Regierung weiterhin bedroht. Was sie umtreibt, verriet uns die kurdische Journalistin Khabat Abbas.
Neben den Ereignissen in Syrien und Gaza richteten wir unseren Blick auch auf den Bürgerkrieg im Sudan, der seit April 2023 die Region destabilisiert und zu einer schweren humanitären Krise geführt hat. Millionen von Menschen wurden vertrieben, es gab zahlreiche Todesopfer. Der Konflikt erhält international jedoch wenig Aufmerksamkeit. Die sudanesische Diaspora bemüht sich, das Bewusstsein für die Lage in ihrem Heimatland zu schärfen, u.a. auch künstlerisch: Der 88-jährige Jazzmusiker Sharhabeel Ahmed floh nach Ägypten und setzt seine musikalische Karriere in Kairo fort, um sowohl auf die schwierige Lage im Sudan aufmerksam zu machen als auch die sudanesische Kultur zu feiern. In ähnlicher Manier verarbeiten Künstler:innen im Jemen in ihren Werken das Leid des Bürgerkrieges seit 2014.
Algerischer Unabhängigkeitskampf - ein Dossier
Mit unserem Algerien-Dossier zum 70. Jahrestag des Unabhängigkeitskriegs beleuchteten wir zentrale Aspekte der algerischen Geschichte und Gegenwart, darunter den Kolonialismus und seine bis heute spürbaren Auswirkungen, die Rolle von Frauen im Widerstand und die Bedeutung von Kunst und Kultur im Unabhängigkeitskrieg. Wir thematisierten auch die Verbindungen der BRD zum Algerienkrieg und den Geflüchteten sowie aktuelle Herausforderungen wie die Hirak-Proteste und die politische Krise rund um die Wahlen.
Des:orientierungen
Die Kolumne des:orientierungen findet dieses Jahr ihr Ende. Ein besonderer Dank geht an unsere Kolumnist:innen Marina Klimchuk, Hannah El-Hitami, Mina Jawad und Mohammed Nawroozi. Mit ihren einzigartigen Perspektiven haben sie unser Magazin in den letzten Jahren enorm bereichert. Marina Klimchuk schrieb zu Beginn des Jahres über die Studierendenproteste an der US-Universität Duke und beleuchtete, wie pro-palästinensische und pro-israelische Demonstrationen oft aneinander vorbeigehen. Ihre Texte regten immer wieder zu tiefgehenden Reflexionen an, auch zuletzt, als sie die Frage der Deutungshoheit über jüdische Ängste aufwarf. Hannah El-Hitami trug mit ihren Kolumnen regelmäßig zu wichtigen Diskussionen bei. Anfang August reflektierte sie die Lage von Journalist:innen in Gaza und rief gemeinsam mit über 300 Unterstützer:innen in einem offenen Brief dazu auf, internationalen Journalist:innen Zugang zum Gazastreifen zu gewähren. Der Brief fand in der nationalen als auch internationalen Presse Anklang.
Mina Jawad, deren scharfsinnige Beiträge uns immer wieder bereicherten, schrieb im Oktober über den inneren Konflikt, den sie auf ihrer Reise nach Afghanistan erlebte. Zwischen Sehnsucht nach ihrer Heimat und dem Bewusstsein über ihre westlichen Privilegien kritisierte sie die vereinfachte Darstellung komplexer Realitäten. Mohammed Nawroozi startete Anfang des Jahres als Kolumnist und etablierte sich schnell als wichtige Stimme. Mit seinem nuancierten Blick eröffnete er uns tiefgehende Perspektiven auf die gesellschaftlichen und politischen Realitäten im Iran, die Rechte von Frauen und die Rolle der Kunst.
Unsere Redaktion freut sich über Feedback und Anregungen, jederzeit einreichbar über [email protected].
Fünf Jahre dis:orient
Das Sommerfest im August im ACUD in Berlin war ein Highlight im dis:orient-Jahr und ein wunderbares Event zum Wiedersehen und Kennenlernen. In der Paneldiskussion „Revolution, Migration, Staatsräson – Deutscher Journalismus zu Westasien“, moderiert von der freien Journalistin und unserer ehemaligen Magazinkoordinatorin Anna-Theresa Bachmann, diskutierten die Journalist:innen Lea Frehse, Dunja Ramadan und Omid Rezaee über die Berichterstattung zum 7. Oktober 2023 und dem Gaza-Konflikt sowie derjenigen über die revolutionäre Bewegung im Iran seit September 2022. In der Politsatire Talibæs von Mina Khan und Saboura Naqshband erlebten wir ein humorvolles, aber tiefgründiges Gespräch, das nicht nur zum Lachen anregte, sondern auch die verschiedenen deutschen und deutsch-diasporischen Diskurse aufgriff. Später am Abend wurde zu den energiegeladenen Beats der DJs Zuher, Moe und Youn3s ausgelassen getanzt. Einen ausführlichen Bericht findet ihr auch auf unserer Website!
Glossarerweiterung
Außerdem haben wir 2024 unser Begriffs-Glossar weitergeführt. Da die postkoloniale Theorie nicht immer leicht zu fassen ist, bieten wir in unserem Glossar prägnante und verständliche Erklärungen der zentralen Konzepte des Postkolonialismus und gehen darauf ein, warum einige Begriffe, wie zum Beispiel “Ehrenmord”, problematisch sein können. Die Illustrationen zu den Begriffen stammen von Zaide Kutay.
Endlich ist das Glossar auch auf unserer Website zu finden. Schaut doch mal rein!
Verein und Aktive
Auch 2024 freuen wir uns wieder über alle, die als neue Mitglieder und Förder:innen zu dis:orient gekommen und uns als solche erhalten geblieben sind. Wir konnten außerdem elf neue Mitglieder und Förder:innen gewinnen. Die Inflation und Prekarisierung machten sich weiterhin bemerkbar und einige langjährige Unterstützer:innen mussten ihre Fördermitgliedschaft leider kündigen. Wir haben dafür natürlich volles Verständnis und sind dankbar, dass ihr unsere Arbeit so lange unterstützt habt. Solltest du oder Personen in deinem Umfeld Interesse an einer Fördermitgliedschaft haben, freuen wir uns sehr über jegliche Unterstützung. Du hast noch Fragen oder Bedenken? Dann melde dich gerne bei Lissy unter [email protected].
2024 gab es einige Veränderungen im Vorstand. Wir mussten uns von Georg verabschieden. Georg hat immer tatkräftig bei allem angepackt und bleibt uns sicher im Verein erhalten. Ebenso hat Jenny den Vorstand verlassen. Auch sie hat den Vorstand mit ihrem Engagement bereichert. Danke euch! Dafür sind Nora Krause (Community Management) und Hannah Jagemast (Digitale Infrastruktur und Projekte) in den Vorstand gekommen. Neben den Neuzugängen, über die wir uns sehr freuen, blieben 2024 weiterhin im Vorstand: Wais Kauomee (Koordination), Magdalena Süß (Vorsitz), Pauline Jäckels (Öffentlichtkeitsarbeit), Eva Hochreuther (Finanzen) und Alicia Kleer (Mitgliederbetreuung und Vertrauensperson).
Weitere Personen übernahmen im vergangenen Jahr wichtige Aufgaben: Der Newsletter wurde 2024 von Pauline Jäckels gestaltet. Im Jahr 2025 erhaltet ihr den Newsletter in gemeinsamer Zusammenarbeit von Clara Taxis, Regina Gennrich und Sören Lembke. Und eine besonders wichtige Neuigkeit: Wie bereits letztes Jahr angekündigt, hat die wunderbare Hanna Fecht die Magazin-Koordination übernommen. Die Kolumne wurde 2024 von Sophie Romy und Regina Gennrich betreut. Danke dafür!
Wie immer gilt: dis:orient, das sind viele. Viel mehr als hier genannt wurden. Dabei gibt es viele Perspektiven, viel Fluktuation und viele, die bereits jahrelang dabei sind. Um Menschen, die sich gerne bei dis:orient engagieren möchten, den Einstieg zu erleichtern, gibt es weiterhin unser „Buddy“-System. So werden neue Aktive von einem dis:orient Mitglied durch unsere Kommunikations- und Arbeitsstruktur begleitet. Wenn du auch Lust hast, mitzumachen, melde dich immer gerne über [email protected].
Finanzen
Auch in diesem Jahr stemmten unsere (Förder-)Mitglieder einen Großteil der Vereinsaktivitäten durch ihre wichtige finanzielle Unterstützung. Die Beiträge bilden unser finanzielles Fundament und dank ihnen konnten wir die Arbeit von dis:orient 2024 erfolgreich fortsetzen und weiterentwickeln. An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an unsere Unterstützer:innen für euren Beitrag!
Der Minijob zur Koordination des Magazins und die Honorare für unsere Kolumnist:innen waren auch 2024 unsere größten Kostenposten. Zusätzlich veranstalteten wir im August 2024 ein Sommerfest anlässlich des fünfjährigen Bestehens von dis:orient. Etwa die Hälfte der Kosten konnten wir über Eintrittsgelder, Spenden und Verkauf von Merch-Artikeln einnehmen.
Zu unserer Freude konnten wir in diesem Jahr unsere Spendeneinnahmen deutlich erhöhen und hoffen, den negativen Trend der letzten vier Jahre wieder umkehren zu können. Etwas durchwachsen fällt die Bilanz bei unserer Mitgliedergewinnung aus. Zwar nahm die Zahl der Eintritte im Vergleich zu 2023 leicht zu, allerdings gilt das nur für aktive Mitglieder. Bei den Fördermitgliedschaften verbuchten wir ein kleines Minus und freuen uns hier über Zuwachs.
Du willst unsere Arbeit unterstützen? Werde Fördermitglied bei uns und ermögliche so, eine faire und differenzierte Berichterstattung zu Westasien und Nordafrika. Den Mitgliedsantrag findest du auf unserer Website. Bei Fragen erreichst du uns unter [email protected]. Spenden kannst du ganz einfach über unsere Website. Da dis:orient e.V. ein gemeinnütziger Verein ist, könnt Ihr Spenden und Mitgliedsbeiträge auch steuerlich geltend machen.
Die Öffentlichkeitsarbeit
In diesem Jahr konnten wir unsere Reichweite vergrößern und so noch mehr Menschen mit unseren Inhalten zu WANA erreichen. Dass wir unter anderem über 1.800 neue Follower:innen auf Instagram gewinnen und unsere Reichweite um über 200 Prozent steigern konnten, freut uns sehr. Zugleich erreichten wir mit unserem Video zum Algerien-Dossier, den Posts zur Kolumne „Deutschlands vergiftete Debatten” von Mina Jawad sowie zum Artikel „Ich musste ein Buch schreiben, das die Menschen zum Weinen bringt“ von Jasmin Schol jeweils über 6.000 Menschen – ein Grund zur Freude.
Auch unser monatlicher Newsletter, mit Artikel-Empfehlungen, wichtigen News aus WANA und Kulturtipps, wurde 2024 weitergeführt und hat neue Abonnent:innen hinzugewonnen. Falls du noch nicht angemeldet bist, solltest du dies schnell nachholen.
Wenn auch du Lust hast, unsere Öffentlichkeitsarbeit weiterzuentwickeln, melde dich unter [email protected].