Im Interview mit dis:orient erzählen zwei junge tunesische Filmemacher:innen von ihrem Eintritt ins Filmbusiness und den Herausforderungen, die sich gerade für Künstler:innen aus dem Globalen Süden stellen.
Die schillernde Welt des Kinos ist in Tunesien die Kunst, die am meisten bewundert und auch geschaffen wird. Bereits 1967 rief das Land das erste Filmfestival auf dem afrikanischen Kontinent ins Leben. Das zentrale Anliegen dabei war, Filmkünstler:innen aus Afrika und Westasien eine Plattform zu bieten, weil sie einen erschwerten Zugang zu Festivals im Globalen Norden hatten. Wie es heute um aufstrebende Filmemacher:innen in Tunesien steht, was sie bewegt und welche Herausforderungen sich ihnen stellen, hat dis:orient die Filmproduzentin Maleek Bouallegui und den Regisseur Ahmed Dridi gefragt.
Wie seid ihr zum Kino gekommen?
Ahmed: Der Realität zu entfliehen und in eine imaginäre Welt einzutauchen – das hat mich schon immer am Kino fasziniert. Irgendwann wollte ich nicht mehr nur Zuschauer bleiben, sondern selbst solch eine Welt schaffen. Deshalb schrieb ich vor vier Jahren mein erstes Drehbuch, „Jezia“, ein Sozialdrama über Landarbeiter aus meiner Heimat Nordtunesien. Damals habe ich noch im Vertrieb einer Modemarke gearbeitet. Nach und nach wurde mir aber klar: Ich möchte mich ganz dem Kino widmen. Also habe ich mich in einen Filmstudiengang eingeschrieben und seitdem gemeinsam mit Maleek bereits zwei Filme gemacht.
Maleek: Ja, angefangen haben wir mit dem Experimentalfilm „Smoke Without Fire“, der bereits auf mehreren internationalen Festivals gezeigt wurde. Vor Kurzem ist unser zweiter Film „The Metamorphosis“, eine Neuinterpretation von Kafkas „Verwandlung“ im aktuellen tunesischen Kontext, erschienen. Jetzt widmen wir uns endlich unserem Herzensprojekt, dem Spielfilm „Jezia“. Als ich das Drehbuch vor vier Jahren zum ersten Mal gelesen habe, hatte ich Tränen in den Augen. Ich wollte mit einer guten Produktion dieser Geschichte ins Leben verhelfen. Für mich begann also alles, als Ahmed mich fragte, ob ich mit ihm diesen Film produzieren will. Vier Jahre und zwei Kurzfilme später ist es nun so weit.
„Smoke without Fire“ – der Titel macht neugierig. Was steckt dahinter?
Ahmed: „Smoke Without Fire“ ist ein experimenteller Film. Ich habe bewusst auf eine klassische Storystruktur verzichtet. Ich wollte Situationen darstellen und Gefühle erforschen. Es gibt also keine bestimmte Botschaft, die ich mit dem Film vermitteln wollte. Das Publikum hatte allerdings unterschiedliche Interpretationen. Interessant zu sehen war, dass ich im Ausland mit dem Film mehr Anklang finden konnte als in Tunesien. Das liegt wahrscheinlich daran, dass international eine neue Welle in der Filmkunst eingesetzt hat, die Filmemachern mehr Freiheit und alternative Ausdrucksmöglichkeiten zugesteht. In Tunesien hingegen wird noch sehr am klassischen Kino, das ich durchaus schätze, festgehalten. Dadurch ist es jedoch schwierig für junge Künstler ihren Platz zu finden.
Eure Filme sind bereits auf mehreren internationalen Festivals gezeigt worden und „Smoke Without Fire“ wurde sogar als bester Kurzfilm beim International Cannabis Film Festival in Mexiko ausgezeichnet. Wie ist das Gefühl?
Ahmed: Natürlich freuen wir uns sehr, aber es ist schade, dass wir selbst zu keinem dieser Festivals reisen konnten. Der Visaprozess macht uns immer einen Strich durch die Rechnung. Wenn wir auf ein Festival eingeladen werden, dann bekommen wir meistens erst einen Monat vor Festivalbeginn Bescheid. Die Beantragung eines Visums dauert aber mindestens zwei Monate, wenn nicht mehr. Das geht nicht nur uns so, das Problem stellt sich für alle Künstler aus dem Globalen Süden, die an Festivals teilnehmen möchten. So entsteht die bizarre Situation, dass dein Werk im Globalen Norden akzeptiert wird, du als Künstler aber nicht. Festivals sollten darauf mehr Rücksicht nehmen, dass wir uns erst um ein Visum kümmern müssen, und länger im Voraus Bescheid geben.
Maleek: Das ist nicht nur wegen des Gefühls schade, den Preis, den wir in Mexiko gewonnen haben, nicht persönlich entgegennehmen zu können oder die Reaktion des Publikums nicht sehen zu können. Nein, es ist auch schwieriger ohne Festivalbesuche eine Karriere im Kinobusiness aufzubauen. Bei Festivals geht es auch ums Networking, Networking mit Geldgebern und mit Kollegen. Festivals sind die ideale Gelegenheit Kollaborationen zu finden oder Tipps einzuholen.
Auch euer letzter Film „The Metamorphosis“ beschäftigt sich mit Ungerechtigkeiten zwischen dem Globalen Norden und Süden. Wie genau verarbeitet ihr dieses Thema im Film?
Ahmed: Ja, bei „The Metamorphosis“ wird das in der Anfangsszene besonders deutlich, die einen Streit eines europäischen Paares zeigt. Während ihres Gesprächs klingelt das Telefon. Es ist Rachid – ein junger Tunesier, der in einem Callcenter arbeitet. Der Ehemann beantwortet das Telefonat und lässt seinen Frust über den Streit mit seiner Frau an Rachid aus. So etwas passiert tunesischen Callcentermitarbeitenden täglich hunderte Male. Was die Callcentermitarbeitende in solchen Situationen empfinden, ist bezeichnend für die Unterschiede zwischen dem Süden und dem Norden. Denn Menschen aus dem Globalen Norden denken oft, sie seien etwas Besseres.
Abgesehen von dieser Überheblichkeit wollte ich das Gefühlt des Festsitzens darstellen. Viele junge Tunesier haben heute das Gefühl in ihrem Land festzusitzen. Unsere Generation hat Zugang zu vielen Informationen via Social Media oder dem Internet, sie hat große Träume, aber keine Möglichkeit diese Träume zu verwirklichen. Es ist unserer Generation mit der seit mehr als zehn Jahren andauernden Wirtschaftskrise nicht einmal möglich sich eine solide
Lebensgrundlage aufzubauen. Das führt zu dem Gefühl, dass wir in einem permanenten „Jetzt“ leben. Einer der Faktoren für diese Situation ist die Diskriminierung des Globalen Südens vom Globalen Norden, etwa durch Grenzregime oder eben diese Überheblichkeit. Abgesehen von diesen Nord-Süd-Ungleichheiten gibt es weitere Faktoren – soziale, familiäre und religiöse.
Eines Tages verwandelt sich Rachid dann in eine Schaufensterpuppe und steckt somit in seinem eigenen Körper fest. Dort ist er allein mit seinen Gedanken, geprägt von depressiven Stimmungen, Diskriminierungserfahrungen und Einsamkeit. Das ist inspiriert von Kafkas „Verwandlung“, in der er ein ähnliches Gefühl beschreibt.
Filme zu produzieren ist eine teure Angelegenheit – sogar Kurzfilme kosten im Schnitt 20.000 Euro. Wie finanziert ihr eure Filme?
Maleek: Wir bewerben uns immer auf verschiedene Fonds. Bisher haben wir mit kleinen Budgets gearbeitet, da konnten wir zwar die Filme finanzieren, nicht aber unsere Arbeit. Wir haben sozusagen gratis gearbeitet. Das muss sich perspektivisch ändern. Wir hoffen, dass wir mit dieser Vorarbeit nun eine komplette Finanzierung für unseren ersten Spielfilm „Jezia“ finden können.
Ahmed: Uns ist es immer wichtig bei der Finanzierung unabhängig zu bleiben. Sich von einem einzigen Geldgeber abhängig zu machen, ist problematisch für die Kunstfreiheit. Im Falle von staatlichen tunesischen Finanzierungsmöglichkeiten sind wegen des aktuellen politischen Klimas zum Beispiel Förderungen für Themen wie Pressefreiheit und LGBTI+ Community nicht möglich. Aber auch internationale Fonds haben meistens eine politische Agenda, europäische
Fonds fördern momentan zum Beispiel hauptsächlich Umweltthemen, vorher war es Feminismus. Wir wollen uns nicht treiben lassen. Und Finanzierungen, die mit Israel zusammenhängen, ziehen wir generell nicht in Betracht angesichts des Genozids. Unabhängigkeit ist unser Prinzip und nur so können wir uns frei fühlen.
Maleek: Um unabhängig von großen Produktionsfirmen zu sein, gründen wir gerade unsere eigene Produktionsfirma Madleine Pictures. Das hilft uns auch dabei Finanzmittel aus dem Ausland zu erhalten, denn bisher haben wir das Problem, dass wir einen sehr geringen Betrag aus dem Ausland erhalten können. Das hängt mit der restriktiven Geldpolitik Tunesiens zusammen, die eine Hyperinflation oder Finanzflucht wie im Libanon oder Ägypten verhindern möchte. Für Menschen wie uns, die ein kleines Business gründen möchten, macht es die Sache noch komplizierter als sie ohnehin schon ist. Aber mit der Produktionsfirma machen wir einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung.