17.03.2025
Mit Humor gegen traditionelle Geschlechterrollen
Tunesische Werbungen fordern Geschlechterrollen heraus. Foto: Taieb Oussayfi
Tunesische Werbungen fordern Geschlechterrollen heraus. Foto: Taieb Oussayfi

Große tunesische Unternehmen spielen in ihren Clips mit Humor und Stereotypen. Unsere Autorin Najla Mosbehi hat untersucht, wie drei dieser Werbungen Geschlechterrollen herausfordern.

Stell dir vor es ist Ramadan und du schaltest durch deine Lieblings-Fernsehsender, oder verfolgst gespannt ein Spiel der Fußball-Weltmeisterschaft. Zwischen lautem Gelächter und eingängigen Melodien siehst du Werbung, die dich und andere nicht nur unterhält, sondern auch gesellschaftliche Normen in Frage stellt. In Tunesien vollzieht sich derzeit ein dynamischer Wandel in der Werbung, in der Humor immer häufiger als Mittel eingesetzt wird, um hegemoniale Wahrnehmungen von Geschlechterrollen zu verändern. Bemerkenswerte Beispiele für diesen Wandel sind „Akkak Ya Mufida Akkak“ von Orange Tunisia während des Ramadan 2021, „Malla Jumhur Ya Baba“ von Ooredo Tunisia für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar und „Pub Danette Romdan 2024“ des Lebensmittelherstellers Danette. Diese Kampagnen verwenden Humor, um geschickt traditionelle Vorurteile zu kritisieren und die Zuschauer:innen dazu einzuladen, überholte Vorstellungen von Geschlechterrollen zu überdenken und eine gerechtere Zukunft anzustreben.

Traditionelle Geschlechterrollen in Tunesien

Um die Wirkung dieser Art von Werbung vollständig erfassen zu können, ist es wichtig die traditionellen Geschlechterrollen in der tunesischen Gesellschaft besser zu verstehen. So zielte das 1956 unter Präsident Habib Bourguiba eingeführte Personenstandsgesetz (CPS) darauf ab, die Rechte der Frauen durch die Abschaffung der Polygamie und die Gewährung gleicher Scheidungsrechte zu verbessern. Das CPS konnte jedoch nicht alle Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern beseitigen, da diese auf gesellschaftlichen Normen beruhen. So verbringen tunesische Frauen trotz der rechtlichen Fortschritte immer noch zwischen fünf und zwölf Stunden täglich mit Hausarbeit. Männer dagegen bloß etwa 45 Minuten. Diese Diskrepanz verdeutlicht die anhaltenden Auswirkungen traditioneller Rollenbilder auf das Leben von Frauen und verdeutlicht die Relevanz von Medieninhalten, die diese Normen in Frage stellen.

Gesellschaftliche Entwicklung

Die Darstellung der Geschlechterrollen in der Werbung spiegelt einen allmählichen kulturellen Wandel in Tunesien wider, der die traditionellen Rollen von Mann und Frau immer wieder in Frage stellt. In der Vergangenheit wurden in der tunesischen Werbung häufig konservative Klischees verstärkt, indem Frauen vor allem als Hausfrauen oder Pflegerinnen dargestellt wurden. In neueren Kampagnen werden Frauen jedoch in emanzipierten Rollen gezeigt, was auf einen Wandel hin zu mehr Gleichberechtigung der Geschlechter in der tunesischen Gesellschaft hindeuten könnte. 

Die Rolle von Humor bei der Bekämpfung von Stereotypen

Ein wichtiges Element von Werbung ist der Humor. Dieser verbindet die Zuschauer:innen häufig auf einer persönlichen Ebene mit der Werbung. Dieses Potential wird von vielen Agenturen in Tunesien genutzt, um traditionelle Geschlechterrollen herauszufordern und neu zu gestalten. Die bereits erwähnte Werbung von Orange Tunisia stellt diese Stereotype auf geschickte Weise auf den Kopf. Dadurch ermutigt sie die Zuschauer:innen, gesellschaftliche Normen zu überdenken und sorgt gleichzeitig für Unterhaltung. 
In dem Spot „Akkak Ya Mufida Akkak“ werden beispielsweise Frauen als Hip-Hop-Sängerinnen dargestellt, die auf eine witzige Weise mit ihren Ehemännern interagieren: Die Protagonistin zeigt mit dem Finger auf ihren Mann, während sie singt. Dabei verleiht sie ihrer Figur eine selbstbewusste und spielerische Haltung. Diese Darstellung stellt das Klischee der passiven Hausfrau in Frage und zeigt Frauen stattdessen als selbstbewusste Individuen, die sich so ausdrücken, wie sie es möchten.
Wie vermitteln visuelle Elemente und narrative Strukturen Botschaften über Gender? In „Akkak Ya Mufida Akkak“ fängt die dynamische Kinematographie die lebendige Atmosphäre der Ramadan-Feierlichkeiten ein, während gleichzeitig Frauen im Kontakt mit ihren Ehemännern als selbstbewusste Hip-Hop Sängerinnen dargestellt werden. Der Einsatz von hellen Farben und dynamischen Kameraeinstellungen verstärkt den spielerischen Ton des Spots, der unterhaltsam ist und gleichzeitig zum Nachdenken anregt.
Die Kulturkritikerin Dr. Leila Ahmed betont, wie wichtig es sei, Frauen in den Medien als facettenreiche Persönlichkeiten darzustellen. Diese Darstellung stärkt ihre Position als aktive Mitglieder der Gesellschaft. In diesem Sinne kann die Darstellung von Frauen in solchen Rollen in der Werbung einen tiefgreifenden Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung der Geschlechter haben. Diese Darstellung deckt sich mit Ahmeds Beobachtungen, wie auch moderne Darstellungen muslimischer Frauen traditionelle Stereotype in Frage stellen, indem sie sich als selbstbewusste Teilnehmerinnen in verschiedenen Lebensbereichen zeigen.

Frauen, die auf Pferden reiten

In der „Malla Jumhur Ya Baba“-Werbung werden Frauen beim Reiten gezeigt, während sie auf Männer am unteren Bildschirmrand blicken. Diese visuelle Hierarchie betont die Handlungsfähigkeit der Frauen und stellt die traditionelle Darstellung der Männer als dominante Figuren in Frage. Die dynamische Kameraführung fängt die Energie und die Aufregung während der WM-Feierlichkeiten ein. Gleichzeitig zeigt sie, wie Frauen eine aktive Rolle einnehmen und nicht nur Zuschauerinnen sind, die in den Hintergrund gedrängt werden.

Ein neuer Blick auf Verbraucher:innen

Die Werbung für „Pub Danette Romdan 2024“ zeigt einen Mann, der ein Dessert von Danette isst, während eine Frau am Computer arbeitet und lernt. Diese Darstellung unterscheidet sich stark von traditionellen Bildern, in denen Frauen oft nur als Konsumentinnen oder Betreuerinnen gezeigt werden. In dieser Werbung wird die Frau als aktive Teilnehmerin am Berufsleben dargestellt, während der Mann ein Dessert isst und passiv wirkt - eine Umkehrung der typischen Geschlechterrollen. Diese Darstellung stellt das Stereotyp, das Frauen auf den häuslichen Bereich beschränkt, in Frage und betont gleichzeitig ihre Präsenz im beruflichen Umfeld. Durch die Gegenüberstellung von Freizeit und beruflichem Ehrgeiz stellt diese Erzählung die traditionellen Geschlechterrollen in Frage, die typischerweise in häuslichen Umgebungen dargestellt werden.

Humor als treibende Kraft sozialen Wandels

Die tunesische Werbung der letzten Jahre zeigt, wie Humor die traditionellen Geschlechterstereotypen in Tunesien in Frage stellen kann. Die verschiedenen Werbekampagnen zum Ramadan stellen traditionelle Stereotypen auf den Kopf und fordern die Zuschauer:innen auf, gesellschaftliche Normen zu überdenken, indem sie Frauen als selbstbewusste und dynamische Akteurinnen und nicht als passive Hausfrauen zeigen. Mit spielerischen Interaktionen und klugen visuellen Wendungen feiern sie weibliche Selbstbestimmung und definieren die Rolle von Verbraucher:innen neu. Diese Spots sind nicht nur unterhaltsam, sondern können auch Diskussionen über die Gleichstellung der Geschlechter auslösen, die weit über das Wohnzimmer hinaus wirken. In einer Welt, in der Lachen der Motor für Veränderung sein kann, beweisen diese Kampagnen, dass Humor eine starke Kraft im Kampf für sozialen Wandel ist.

 

 

 

Najla Mosbehi ist promovierte Anglistin und Linguistin. Derzeit untersucht sie als MECAM-Stipendiatin, wie Geschlechterrollen durch sprachliche Strategien dargestellt und verstärkt werden. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medien- und Filmwissenschaft, Mehrsprachigkeit, angewandte Linguistik und kritische Diskursanalyse.
Redigiert von Amine Celik, Dorian Jimch
Übersetzt von Sören Lembke
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