18.11.2023
Nach dem Waldbrand – Wiederaufbau im Ökotourismus in Nordtunesien
Ökologische Landwirtschaft in den Wäldern von Tabarka. Foto: Pure Nature
Ökologische Landwirtschaft in den Wäldern von Tabarka. Foto: Pure Nature

Der Waldbrand Ende Juli in Nordtunesien zerstörte auch das ökotouristische Vorzeigeprojekt Pure Nature. Dis:orient war vor Ort, um die Macher:innen kennenzulernen und zu erfahren, wie es weitergehen soll – behördlicher Untätigkeit zum Trotz.

Die tunesische Küstenstadt Tabarka, nahe der algerischen Grenze, ereilte am 24. Juli diesen Jahres dasselbe tragische Schicksal wie viele weitere Orte im Mittelmeerraum: Ein Waldbrand vernichtete Pinienurwälder in unmittelbarer Nähe der Stadt und rund um das benachbarte Dorf Maloula. Mittendrin das Ökotourismusprojekt Pure Nature, dessen Infrastruktur fast komplett abbrannte.

Schon kurz vor der Ortseinfahrt nach Tabarka sticht der erste verrußte Bergrücken samt abgebrannten Baumstümpfen aus der harmonisch grünen Landschaft hervor. Ein Bild, das sich auf der Landstraße zwischen Tabarka und Maloula, einst gesäumt von Pinien- und Eukalyptushainen und einem atemberaubenden Blick auf das azurblaue Mittelmeer, fortsetzt: Nur das Meer glitzert noch beständig in der Sonne, ansonsten prägen schwarze verrußte Baumstämme die Landschaft. An der letzten Kurve vor Maloula befand sich die farbenfrohe und lebhafte Struktur von Pure Nature. Davon sind nur noch zwei Steinhütten, ein paar angebrannte Bänke und ein Haufen Schrott übrig. Im Schatten einer der Hütten warten gleich sechs Personen auf mich, das Betreiberehepaar Dalina Medini und Adel Semi, sowie vier der 14 Mitarbeiter:innen, Aicha Briki, Sihem Hmissi, Fathia Slaimiya und Saiida Fliti.

Einmalig in Tunesien

Zuerst erklärt Adel mir das Konzept von Pure Nature, was nicht nur aus dem auf lokalen Produkten basierende Restaurant besteht. Es umfasst auch andere Aktivitäten im Bereich Ökotourismus wie Couscous-Workshops oder Wandertouren. Doch bis zur Umsetzung dieses ganzheitlich gedachten Projektes dauerte es über 10 Jahre, während derer Dalinda und Adel mit den Behörden ringen mussten. 2019 bekamen sie endlich die Genehmigung, drei Hektar des Waldes zu pachten und somit das erste Ökotourismusprojekt des Landes zu eröffnen. „Der Staat spricht immer davon, Ökotourismus fördern zu wollen. Aber Konzepte zur Umsetzung gibt es nicht, die Verwaltung wusste nie, was sie mit unseren Anfragen machen sollte,“ analysiert Adel. Dabei bleibt Pure Nature mit dem Ansatz, der Nachhaltigkeit und authentischen Tourismuserlebnisse zusammenbringt, ein echter Geheimtipp in einem Land, dessen Tourismussektor von oft vorgefertigten und wenig authentischen Pauschalreisen geprägt ist.

Ich erinnere mich noch, wie ich eines Julimorgens, bevor der große Waldbrand alles Grün dahinraffte, auf einer Bank im Schatten der Bäume zufrieden meinen Kaffee geschlürft hatte. Eine frische Brise hatte mich umschmeichelt. Dazu hatte es hausgemachte Brotfladen, lokal hergestellten Honig, Ricotta, Eier, Butter und Marmelade aus lokaler Produktion gegeben, obendrauf den Meerblick. Das Café war voll gewesen an diesem Tag; Tunesier:innen von nah und fern sowie internationale Tourist:innen gingen im Pure Nature ein und aus.

Im Interview erfahre ich nun, dass das Team schon damals unter erschwerten Bedingungen arbeitete, da das staatliche Grundwasserversorgungsunternehnen Soned im Juni ohne Begründung das Wasser abgestellt hatte. Daraufhin haben Adel und Dalinda das Unternehmen verklagt. Das fehlende Wasser war am 24. Juli, als der Brand des benachbarten Maloula auf die Gegend um Pure Nature überging, verheerend. Bis das Team von den Behörden zwangsevakuiert wurde, versuchte es unter Lebensgefahr die Schäden in Grenzen zu halten - vergebens. Nach der Löschung des Brands fanden sie die Lokalitäten komplett zerstört vor.

Jetzt erst recht

Trotz dieses Schicksalsschlags ließ Pure Nature sich nicht unterkriegen. Gemeinsam kümmerten sich auch die Mitarbeiter:innen auf ehrenamtlicher Basis um die Aufräumarbeiten und bewachten in Schichten das zerstörte Restaurant. Auch wenn heute noch viel zu tun bleibt, kann ich schon deutlich den Fortschritt erkennen, wenn ich nur die von Dalinda mitgebrachten Video- und Fotoaufnahmen, die unmittelbar nach dem Brand entstanden sind, ansehe. Die beiden Gründer:innen haben zudem schon damit begonnen neue Genehmigungen einzuholen, um das Portfolio von Pure Nature zu erweitern. „Wir kommen zurück und es wird noch besser sein als zuvor,“ versichert mir das Team einstimmig. Nicht nur für das Projekt Pure Nature hat das Gründerehepaar sich kreative Lösungsansätze einfallen lassen: Auch um die Aufforstung des umliegenden Waldes wollen sie sich kümmern und dafür perspektivisch sogar eine vergütete Stelle in ihrem Team schaffen.

Alle Produkte kamen aus der Region und einiges wurde direkt vor Ort hergestellt- wie auch dieses Tabuna-Brot gebacken im traditionellen Steinofen. Foto: Pure Nature

Doch es liegen noch einige Steine im Weg der Wiedereröffnung, die bereits für Dezember geplant ist. Die neuen Genehmigungen stehen noch aus und es ist nicht sicher, wann und ob sie erteilt werden. Auch finanziell bleibt das Vorhaben angesichts der hohen Kosten für den Wiederaufbau eine Herausforderung. Bisher sind keine Notfallhilfen von staatlicher Seite angekommen, nicht einmal die vorgeschriebene öffentliche Schadensbestandsaufnahme fand statt. Auf der tunesischen Spendenplattform Cha9cha9.tn wurden zwei Spendenaufrufe angeblich für Pure Nature geschaltet. Gesehen haben die Betreiber:innen von diesem Geld allerdings nichts. „Ich vermute, da wollte jemand von unserer landesweiten Bekanntheit profitieren,“ stellt Adel fest. Selbst will Pure Nature keine Spendenkampagne starten, sie seien es nicht gewohnt um Geld zu bitten; bisher hätten sie alles selbst erarbeitet.

Am Ende des Interviews findet Saiida Fliti nochmal deutliche Worte für die Situation der Mitarbeitenden: „Aus eigener Kraft haben wir das hier wieder aufgeräumt. Das Projekt ist eine Erfolgsgeschichte. Wir haben hier Jobs gefunden. Sonst gibt es keine Beschäftigung hier. Wir gehen ohne das Einkommen durch eine schwierige Zeit. Der Staat soll uns endlich machen lassen, uns Strom und Wasser geben. Alles andere kriegen wir schon allein hin.“

Zum Schluss mache ich noch ein Foto vom Team und von den Überresten des Waldes. Diesen Ort so zusehen tut mir sehr weh. Doch Adel ist zuversichtlich: „Wenn du genau hinsiehst, dann kannst du schon die ersten grünen Triebe erkennen. Wir gehen davon aus, dass es nach den ersten Regen schon viel grüner sein wird.“

Die Gründer:innen Dalinda und Adel sowie ihre vier Mitarbeiterinnen Aicha, Sihem, Fathia und Saiida waren bei dem Interviewtermin mit dis:orient dabei. Foto: Vanessa Barisch

 

 

 

Vanessa Barisch ist Koordinatorin des Liaison Offices der Philipps-Universität Marburg in Tunesien. Sie studierte Europastudien und Internationale Migration in Passau, Rom, Lissabon und Osnabrück. Ihre wissenschaftlichen und politischen Schwerpunkthemen sind vor allem Dekolonialisierung, Migration, Feminismus und Demokratie.
Redigiert von Pauline Fischer, Nora Krause