31.03.2024
Angriff auf Kurd:innen in Belgien: Deutsche Medien und rechtes Framing
Symbol der türkisch-faschistischen Gruppierung „Graue Wölfe“ auf einem Auto. Foto: Henning Schlottmann (CC BY-SA 4.0)
Symbol der türkisch-faschistischen Gruppierung „Graue Wölfe“ auf einem Auto. Foto: Henning Schlottmann (CC BY-SA 4.0)

In der belgischen Gemeinde Heusden-Zolder griffen türkische Faschist:innen gezielt eine kurdische Familie an. Diese systematischen Angriffe und das mediale Schweigen folgen einem bekannten Muster in der kurdischen Geschichte.

Der türkisch-faschistische Angriff in Belgien

Am Sonntag, dem 24. März 2024, verübten türkische Faschist:innen einen Angriff auf ein kurdisches Familienhaus in der belgischen Provinz Limburg. Die Angreifer:innen suchten die kurdische Familie aus Afrin auf, nachdem diese die Newrozfeierlichkeiten besucht hatte, also das kurdische Neujahrsfest und Fest des Widerstands. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich etwa 40 Familienmitglieder, darunter auch Kinder und Ältere, im Haus.

Neben faschistischen und islamistischen Rufen zeigten die Angreifer:innen auch den Wolfsgruß der faschistischen Gruppierung der Grauen Wölfe. Zunächst zerstörte der Mob das Auto der Familie, um anschließend demonstrativ kurdische Schals und die kurdische Fahne zu verbrennen. Während des Versuchs, das Haus in Brand zu setzen, traf die Feuerwehr ein. An jenem Abend war die Polizei laut Medienberichten „mit zahlreichen Rettungskräften, einem Hubschrauber und einem Wasserwerfer im Einsatz, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Ein Brandanschlag auf das umzingelte Haus konnte offenbar im letzten Moment verhindert werden“. Sechs Personen wurden verletzt, eine davon schwer.

Deutsche Berichterstattung: Ignoranz oder falsches Framing

Während kurdische Medien über diese Tat und ihr politisch-ideologisches Motiv berichten, schweigt die deutsche Medienlandschaft überwiegend. Die wenigen Berichte verkennen die Ursachen des faschistischen Angriffs und weichen stattdessen auf das Framing eines Konflikts zwischen Kurd:innen und Türk:innen aus.

Das suggeriert einen konkreten Anlass für das Geschehene und verharmlost die faschistisch-nationalistische Ideologie und den Rassismus hinter der Gewalt. Die fehlende Benennung der Motive lässt Raum für Fehlinformationen und führt damit den zugrundeliegenden anti-kurdischen Rassismus fort. Denn so ist es nicht mehr weit zum Framing des türkischen Staats: Das türkische Außenministerium behauptete in einer klaren Täter-Opfer-Umkehr, die Gewalt sei von PKK-Mitgliedern ausgegangen und habe sich gegen Türk:innen gerichtet.

Transnationalität der Angriffe und Folgen des Schweigens

In türkischen Medien werden die andauernden Angriffe auf Kurd:innen zelebriert, verherrlicht und als Selbstverteidigung sowie „gerechte Strafe“ dargestellt. Die Transnationalität des türkischen Faschismus wird angesichts der jüngsten Angriffe erneut deutlich. Durch eine enge Zusammenarbeit mit dem türkischen Staat, insbesondere durch seine Verbindungen nach Europa, ist es möglich, dass faschistische Strukturen sowohl in Belgien als auch in Deutschland entstehen können. Zu diesem Ergebnis kommen auch die Sozialwissenschaftlerinnen Bahar Çati und Hazal Bilgili: „Durch ihre Auslandsorganisationen wie in Belgien, Deutschland, Frankreich oder Österreich garantieren sich die Grauen Wölfe ihre Stärke und Massenmobilisierung. Der türkische Faschismus ist transnational, und entsprechend ihrer Ideologie soll durch die Auslandsorganisationen eben auch ein 'europäisches Türkentum' generiert werden."

Die Leugnung der jahrzehntelangen Verfolgung, Rassismus und Gewalt gegen Kurd:innen in der Türkei spiegelt sich auch in der türkischen Diaspora in Deutschland wider. Seit Jahren wird das türkische Regime in Deutschland verharmlost und normalisiert. So verläuft die Anerkennung des türkischen Faschismus stagnierend und die Grauen Wölfe sind in Deutschland weiterhin nicht verboten. Auch zu dem Lynch-Angriff in Belgien mobilisieren deutsch-türkische Vereine, indem sie die Faschist:innen in ihrem Vorhaben bestärken und ermächtigen. Aktuell finden in türkisch-faschistischen Kreisen Mobilisierungen statt, die kurdische Geschäfte und Einrichtungen als Angriffsziele anvisieren. Außerdem gibt es auf der Plattform X Aufrufe an die türkische Diaspora in Europa zu pogromartigen Angriffen in Belgien zusammenzukommen.

Grenzenlose Gewalt

Über Generationen hinweg wurden Kurd:innen zur Flucht gezwungen, nur um dann in scheinbarer Sicherheit, etwa in Europa, erneut verfolgt zu werden. Der Fall der kurdischen Familie aus Afrin in Belgien verdeutlicht einmal mehr, dass die systematische und grenzübergreifende Gewalt gegen Kurd:innen in Syrien, aber auch in der Türkei, im Iran und im Irak schließlich Europa erreicht.

Die Untätigkeit der Bundespolitik gegenüber türkisch-faschistischen Gruppierungen in den vergangenen Jahrzehnten zeigt, dass ähnliche Gewalt gegen Kurd:innen auch in Deutschland und Österreich passieren kann. Schuld tragen auch europäische Länder wie Belgien, das zulässt, dass der Bürgermeister von Heusden-Zolder, der Gemeinde in Limburg, bekanntermaßen in Verbindung mit den Grauen Wölfen steht. Er verteidigte den rassistischen Angriff auf Kurd:innen, der in seiner Gemeinde stattfand.

Die Antwort muss transnationaler Antifaschismus sein

Die Tat reiht sich in die Pogrome der kurdischen und alevitischen Geschichte ein. Historische Ereignisse wie Sivas und Dersim, stehen in einer Kontinuität mit der aktuellen Gewalt und zahlreichen weiteren Fällen der vergangenen Jahre. So zündete 2021 ein Faschist das Haus einer kurdischen Familie in der türkischen Stadt Konya an, nachdem er die siebenköpfige Familie erschossen hatte.

Es ist folglich von einem organisierten, koordinierten und detailliert geplanten Angriff auszugehen — der auch so benannt werden muss. Es ist Zeit, dass die deutsche Öffentlichkeit, inklusive der Medienlandschaft, ihr Schweigen zu dieser Gewalt und zu den Strukturen, die diesen Angriff ermöglichen, überkommt.

Aktueller denn je ist die Forderung nach einem europaweiten Verbot der Grauen Wölfe. Seit Jahrzehnten fordern kurdische, aber auch solidarische Kräfte ein Betätigungsverbot. Eine antifaschistische Haltung darf sich nicht nur auf die AfD beschränken sondern muss sich auch gegen transnationale faschistische Gruppierungen wie die Grauen Wölfe richten.