06.09.2023
Sabotiert Europa nachhaltigen Frieden im Jemen?
Europäische Waffenexporte nach Saudi-Arabien (und an andere Akteur:innen, die direkt am Konflikt in Yemen beteiligt sind) umfassten auch Kampfflugzeuge wie den Eurofighter Bomber Jets (hier: altes Modell). Photo: G. Zammit, Wikicommons
Europäische Waffenexporte nach Saudi-Arabien (und an andere Akteur:innen, die direkt am Konflikt in Yemen beteiligt sind) umfassten auch Kampfflugzeuge wie den Eurofighter Bomber Jets (hier: altes Modell). Photo: G. Zammit, Wikicommons

Gespräche zwischen den Huthis und Saudi-Arabien weckten Anfang des Jahres Hoffnungen auf Frieden im Jemen. Europa ist kein Zuschauer, meint unsere Autorin. Denn der fortwährende Export europäischer Waffen befeuert die jahrzehntelange Krise im Jemen.

Vieles hängt 2023 in der Schwebe im Jemen: Derzeit fallen zwar keine Bomben, aber wie die jemenitische Bevölkerung nur allzu gut weiß, bedeutet dies noch lange keinen Frieden. Saudi-Arabien, das sich aus dem Konflikt zurückziehen möchte, führt diplomatische Verhandlungen mit den Huthis. Auch bekannt als Ansar Allah, war die bewaffnete Rebellengruppe in der Mitte der 2000er-Jahre der Katalysator der allgegenwärtige Instabilität in dem kleinen arabischen Land und widersetzt sich dem geopolitischen Druck aus Riad.

Expert:innen dämpfen jedoch den Enthusiasmus all derer, die in diesen Gesprächen eine Chance für einen dauerhaften Frieden sehen – denn in den fast zehn Jahre andauernden Krieg sind viele andere Akteur:innen involviert, die nicht so leicht Kompromisse eingehen werden. Dazu zählen die USA, der Iran und die sogenannte arabische Koalition, auch Anti-Huthi-Koalition genannt. Befeuert durch europäische und amerikanische Waffen könnte der Konflikt jederzeit wieder eskalieren trotz der Bereitschaft Riads, sich mit den Huthis an einen Tisch zu setzen.

Die Geschichte des Jemen ist geprägt von Konflikten. Zwischen internen Unruhen und externen Einflüssen ist die jemenitische Zivilbevölkerung oft die Leidtragende unvereinbarer geopolitischer Interessen, darunter auch früherer und aktueller europäischer Interessen. In jüngerer Zeit waren die europäischen Staaten durch die Bereitstellung von Waffen, Überwachungstechnik und taktischer Unterstützung zwar nicht so offensichtliche, aber doch wichtige Partner der Anti-Huthi-Koalition, die sieben WANA-Staaten umfasst (Vereinigte Arabische Emirate, Ägypten, Marokko, Jordanien, Bahrain, Sudan, Kuwait) und von Saudi-Arabien angeführt wird.

Ende der 2010er-Jahre kamen die Waffenexporte aus Europa an die Koalition kurzzeitig zum Erliegen, nachdem insbesondere Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) tausende von Luftangriffen durchgeführt hatten. In der letzten Zeit nehmen jedoch viele europäische Staaten den Waffenhandel in der Region wieder auf, was die derzeitigen zaghaften Bemühungen, Stabilität zu sichern, möglicherweise untergraben könnte.

Operation Decisive Storm

Die Ereignisse, die den Weg für die (umstrittenen) Operationen der von Saudi-Arabien geführten Koalition ebneten, begannen 2004 als der schiitische Religionsführer Hussein Badreddin al-Huthi seine Anhänger, die Huthis, zum Aufstand gegen die Regierung anstachelte. Die folgenden Jahre waren geprägt von Terroranschlägen, Selbstmordattentaten und anderen politisch motivierten Zusammenstößen zwischen der Regierung des damaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh und den Huthis, auch nach dem Tod von Hussein Badreddin noch im selben Jahr.

Nach jahrelangen, nicht enden wollenden Gefechten, bei denen alle Konfliktparteien Berichten zufolge Menschenrechtsverletzungen verübt haben, startete die Anti-Huthi-Koalition 2015 die Operation Decisive Storm. Diese Operation war geprägt von häufigen Luftangriffen und einer Seeblockade, die laut den Vereinten Nationen als weltweit „schlimmste humanitäre Krise“ einzuordnen ist. In der Zwischenzeit verhängte der UN-Sicherheitsrat ein Waffenembargo gegen die Huthis.

Die Luftangriffe wurden von den Mitgliedern der Koalition durchgeführt, wobei jedoch die taktische Unterstützung der USA entscheidend zu deren Fortdauer beitrug. Die Beteiligung der europäischen Waffenindustrie an dem Konflikt nährt jedoch den Verdacht, dass europäische Staaten Mitverantwortung an diesen oft rechtswidrigen Angriffen tragen.

Hohle Verpflichtungen?

Waffenexporte an Staaten, die in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, verstoßen gegen völkerrechtliche Abkommen, insbesondere gegen den „Vertrag über den Waffenhandel“ von 2013, der den internationalen Handel mit Rüstungsgütern regelt. Während die USA den Vertrag zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben, taten die EU-Mitgliedstaaten beides. Bereits zuvor, im Jahr 2008, hatten sie sich auf supranationale Rechtsvorschriften in Form eines Gemeinsamen Standpunkts des Rates der Europäischen Union geeinigt. Damit sollte die Lieferung von Waffen in Regionen verhindert werden, in denen diese möglicherweise zu weiterer Instabilität beitragen könnten.

In den meisten Fällen waren zudem bereits nationale Gesetze in Kraft, wie beispielsweise das Gesetz 185/90 in Italien. All diese Vorschriften hinderten die drei wichtigsten europäischen Waffenexporteure, Frankreich, Deutschland und Italien, jedoch nicht daran, über Jahre hinweg Waffen an die Koalition zu liefern – trotz der Beweise für mögliche Kriegsverbrechen, die mit eben diesen Waffen begangen wurden.

Die Flugzeuge der Zwietracht

Die Exporte verstoßen tatsächlich gegen diese selbst auferlegten Beschränkungen. Laut einem Bericht der niederländischen Friedensorganisation Vredesactie kaufte Saudi-Arabien während der Operation Decisive Storm mehrere Kampfflugzeuge von europäischen Unternehmen. Diese Geschäfte wurden trotz der permanenten Luftangriffe getätigt, die häufig Zivilist:innen und zivile Infrastrukturen zum Ziel hatten.

Zu den Exporten gehörten 72 Eurofighter Typhoon-Bomber Jets, die von der Eurofighter Jagdflugzeug GmbH hergestellt wurden, einem Gemeinschaftsunternehmen der britischen BAE Systems, der französischen Airbus mit ihren deutschen und spanischen Tochtergesellschaften und des italienischen Unternehmens Leonardo. Auch die VAE kauften Flugzeuge von europäischen Waffenherstellern, nämlich Bomberjets der französischen Dassault Aviation und Tankflugzeuge von Airbus. Es überrascht nicht, dass es umfangreiche Beweise für die aktive Rolle dieser Schiffe bei der Bombardierung der jemenitischen Zivilbevölkerung gibt.

Deutschland, ein Exporteur im Zwiespalt

Wie bereits erwähnt, waren deutsche Waffen, seien es Marine-, Boden- oder Luftwaffen, häufig Teil der Operationen der Anti-Huthi-Koalition im Jemen. Und das, obwohl die deutsche Exportpolitik angeblich sehr restriktiv ist, da eine Lieferung von Waffen an Länder, die sich im Krieg befinden, nicht erlaubt ist und von den Käufer:innen die Unterzeichnung einer Endnutzer-Lizenzvereinbarung verlangt wird, die ihnen die Weitergabe der Waffen untersagt. Angela Merkels Kanzlerinnenschaft führte schließlich 2018 zu dem Versprechen, die Exporte in jedes Land auszusetzen, das direkt im Jemen involviert ist.

Eine kürzlich von der Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke Sevim Dağdelen angestoßene parlamentarische Debatte offenbarte jedoch, dass Deutschland zwischen 2021 und 2022 mehrere Genehmigungen an einige Parteien der Anti-Huthi-Koalition wie Kuwait, Bahrain, die VAE und Ägypten, erteilt hat, während offensichtlich umstrittene Exporte nach Saudi-Arabien vermieden wurden. Die Bundesregierung betonte daraufhin, dass Exporte nach Saudi-Arabien weiterhin abgelehnt und nur als Ausnahmen möglich wären, die sich aus Verpflichtungen gegenüber Nato- und EU-Verbündeten ergeben.

Wie Dr. Max Mutschler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Zentrum für Konfliktforschung Bonn jedoch gegenüber der Tagesschau erklärt, sind jedoch fast alle Rüstungsproduktionen das Ergebnis gemeinsamer Projekte und Programme mit EU- und Nato-Partnern, sodass die deutsche Beteiligung weniger eine Ausnahme wäre als zunehmend die Regel.

Im Oktober 2022, nicht einmal einen Monat nachdem Dagdelen die Bundesregierung zu diesen Geschäften befragt hatte, genehmigte Deutschland den Export von Waffen nach Saudi-Arabien, wahrscheinlich vor allem mit dem Interesse, durch eine Vertiefung der Beziehungen die Öl- und Wasserstoffversorgung während der Energiekrise zu sichern.

Frankreichs Waffendiplomatie

Doch Deutschland ist nicht das einzige EU-Land, das in zweifelhafte Waffengeschäfte verwickelt ist. Die französische Rüstungsindustrie krankt an einem beunruhigenden Mangel an Transparenz. Das einzige Dokument, das Informationen über deren Transaktionen offenlegt, ist der jährliche Bericht an das Parlament. Im September 2022 enthüllte der parlamentarische Bericht, dass französische Unternehmen mit Waffenexporten ins Ausland, z. B. nach Ägypten, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Saudi-Arabien, einen Gewinn von über 11,7 Milliarden Euro erzielten, obwohl sie an mehreren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht im Jemen beteiligt waren.

Der französische Jurist und Schriftsteller Aymeric Elluin erklärt, dass der Waffenhandel ein Schlüsselelement der französischen Außenpolitik ist, in dem, was er „Waffendiplomatie“ nennt, was heißt: Der Versuch, durch Waffenlieferungen an wichtige Akteure wie Ägypten, die Golfstaaten oder Indien Einfluss und Macht zu gewinnen. Er weist jedoch auch darauf hin, dass die Handelsbeziehungen Frankreichs mit oft umstrittenen Ländern wie Saudi-Arabien nicht zu einem spürbaren Einfluss auf die Koalition im Jemen geführt haben. Elluin ist jedoch davon überzeugt, dass es Waffendiplomatie in Wirklichkeit nicht gibt. Was es auf jeden Fall gibt, sind die Marktinteressen, die durch milliardenschwere Geschäfte generiert werden und die auch im Mittelpunkt der italienischen Exporte zu stehen scheinen.

Italienische Bomben

Am 31. Mai 2023 genehmigte der italienische Ministerrat die Aufhebung des Verbots von Waffenexporten nach Saudi-Arabien aus dem Jahr 2021, wenige Monate nachdem die italienische Regierung dasselbe für die VAE getan hatte. Die Gründe, die diese Aussetzung der Waffenexporte ursprünglich rechtfertigten, nämlich der aktive Konflikt im Jemen und das damit verbundene Risiko einer missbräuchlichen Verwendung der exportierten Waffen, stellten (angeblich) kein Problem mehr dar. Passenderweise ist die Golfregion der wichtigste Empfänger italienischer Waffen. Die Lizenzen wurden erst widerrufen, als die Kriegsverbrechen zu offenkundig waren, um die Augen davor zu verschließen. Tatsächlich waren einige von ihnen lange nach dem Ausbruch der Kämpfe zwischen der Koalition und den Huthis 2014/2015 erteilt worden.

Im Jahr 2021 entzog die Regierung unter Giuseppe Conte der RWM Italia SpA sechs Lizenzen für Bomben und Raketen im Gesamtwert von 328 Millionen Euro, die an die VAE und Saudi-Arabien geliefert werden sollten. In dem 2022 dem Parlament vorgelegten Bericht (gemäß dem Gesetz 185/90 über die Transparenz von Waffenexporten) wird jedoch behauptet, dass unter den für Riad bestimmten Waffen im Wert von 45,9 Millionen Euro viele Spezialbomben, Raketen, Flugkörper und weiteres waren, die laut dem Analysten für Waffenhandel, Giorgio Beretta, nicht auf bestimmte Lizenzen zurückgeführt werden können, da es keine mit den beiden Golfstaaten verbundenen Lizenzen geben sollte.

Zerbrechendes Glas

Die derzeitige Lage im Jemen ist ebenso fragil wie potenziell explosiv. Die Zivilbevölkerung hat jahrelang unter Hunger, Konfliktsituationen und Menschenrechtsverletzungen gelitten. Es mag zwar noch zu früh sein, um von Frieden zu sprechen – oder zumindest von einem nachhaltigen, positiven Frieden – aber dies ist eine seltene Gelegenheit, da die Hauptakteure offener für einen Dialog zu sein scheinen. Die Huthis werden versuchen, die Situation zu ihren Gunsten zu wenden, und das werden sicherlich auch die Mitglieder der Koalition tun, aber die jüngsten ermutigenden Entwicklungen haben den Menschen in Jemen etwas dringend benötigten frischen Wind verschafft. Es steht allerdings noch viel auf dem Spiel, und das Spiel ist noch nicht vorbei.

Eines ist jedoch sicher: Die Wiederaufnahme der Waffenexporte aus Europa an die Anti-Huthi-Koalition kann den Krieg nur weiter anheizen und die menschenrechtliche Katastrophe verschlimmern. Die Achtung der Menschenrechte ist in den meisten europäischen Verfassungen verankert – auch in der deutschen, der französischen und der italienischen Konstitution sowie in den Gründungsverträgen der EU.

Die Missachtung dieser grundlegenden Verpflichtungen im Namen von kapitalistischem Gewinn oder angeblicher Rüstungsdiplomatie und die Verschiebung der Grenzen dessen, was im Krieg akzeptabel ist und was nicht, untergräbt, nicht einmal ein Jahrhundert nach den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs, die demokratischen Grundlagen dieser Staaten sowie deren Glaubwürdigkeit.

 

 

 

Redigiert von Nora Krause, Rebecca Spittel
Übersetzt von Claire DT