03.10.2022
„Die BDS Resolution macht politische Arbeit zu Palästina sehr schwer“
Der Umgang mit BDS in Deutschland betrifft viele politisch aktive Gruppen mit Bezug zu Palästina – unter anderem die Bewegung Palästina Spricht. Grafik: dis:orient
Der Umgang mit BDS in Deutschland betrifft viele politisch aktive Gruppen mit Bezug zu Palästina – unter anderem die Bewegung Palästina Spricht. Grafik: dis:orient

Die BDS-Resolution des deutschen Bundestages trifft nicht nur die BDS-Bewegung. Im Interview mit Palästina Spricht thematisieren wir die Auswirkungen und Herausforderungen in der politischen Arbeit zu Palästina.

Dieser Artikel ist Teil unseres Dossiers „BDS im deutschsprachigen Raum“. Mit den Beiträgen wollen wir verschiedenen Zugängen zur Debatte um BDS in Deutschland Raum geben. Im Editorial gehen wir auf den Hintergrund des Dossiers ein und stellen euch die Beiträge vor.

Palästina Spricht ist eine Bewegung die sich für die Rechte von Palästinenser:innen auf Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit einsetzt. Wir haben mit zwei Aktivist:innen von Palästina spricht über die Ziele und Herausforderungen in der politischen Arbeit zu Palästina und der Rolle der Bundestagsresolution gegen die BDS-Bewegung gesprochen.

Ihr seid Aktivist:innen bei „Palästina spricht – Freiburg“. Wie kam es dazu?

J: Ich komme aus Palästina und bin seit ungefähr fünf Jahren in Freiburg. Es gibt hier die Gruppe Café Palestine, in der ich mich einbringe. Café Palestine macht durch politische und kulturelle Veranstaltungen auf die Lage in Palästina aufmerksam. Darüber haben wir uns 2020 vernetzt und Palästina Spricht in Freiburg gegründet. Die Intention war, Leute kennenzulernen, mit denen wir ein politisches Netzwerk aufbauen und Aktivitäten durchführen können. Es ging uns auch um den Austausch von Erfahrungen und das Voneinanderlernen.

Was ist die Motivation für eure Arbeit?

J: Für mich hat die Besatzung in Palästina mit der Verletzung von Menschenrechten zu tun und hier in Deutschland kann ich nicht darüber schweigen. Meine Familie lebt noch im Westjordanland und sie leidet unter der militärischen Besatzung, den Einschränkungen ihrer Freiheit und der Apartheid. Darüber über berichten ja auch internationale und israelische Menschenrechtsgruppen, wie Human Rights Watch, B’Tselem und Yesh Din. Mir ist es sehr wichtig, die Stimme der Unterdrückten in Palästina in die deutsche Gesellschaft zu tragen, weil diese in den Medien kaum zu hören ist.

S: Ich würde noch ergänzen, dass es Palästina Spricht auch ein Anliegen ist, der passiven Aggressivität und den stigmatisierten Meinungen in Deutschland entgegenzuwirken, wenn es um Palästina geht – eben Palästina eine Stimme zu geben.

Wir möchten durch unsere Arbeit über Palästina aufklären und einen politisch offenen Diskurs starten – einen fairen Diskurs über die Beziehung zwischen Palästina und Israel. Kritik an Israel und Meinungen zu Apartheid, Diskriminierung und die Unterdrückung der Palästinenser:innen sind Tabus, die wir brechen möchten. So können wir langsam eine Veränderung in der deutschen Politik bewirken oder zumindest eine Diskussion über Palästina und Israel führen, die so nicht in Deutschland existiert.

Was sind diese Tabus und Hürden, die ihr brechen möchtet?

S: Gerade die BDS Resolution des Bundestages macht die politische Arbeit zu Palästina extrem schwer und gibt kaum Raum über unsere Perspektive als politisch aktive Palästinenser:innen zu sprechen. Ich habe noch niemanden aus Palästina, besonders in unserer Community in Freiburg kennengelernt, der nicht BDS unterstützt. Natürlich haben wir Diskussionen darüber, auf welche Art und Weise BDS Kampagnen durchgeführt werden sollen und gegen welche Gruppen oder Personen. Aber dabei vereint uns das gemeinsame Ziel, einen offenen Diskurs in Deutschland zu starten. Dies wird durch die starken staatlichen Repressionen gegen uns aber jetzt sehr erschwert. Ein kürzliches Beispiel ist das Verbot aller Demonstrationen zum Nakba-Gedenken 2022 in Berlin.

J: Ich will dazu noch generell ergänzen, dass dieser anti-palästinensische Rassismus nichts Neues ist. Zum Beispiel hat das Café Palestine 2010 versucht, eine Ausstellung über die Nakba[1] in der Stadtbibliothek zu machen. Die Ausstellung wurde vom damaligen Freiburger Bürgermeister verboten und das Café Palestine musste vor das Verwaltungsgericht. Café Palestine hat den Prozess gewonnen und die Ausstellung durfte stattfinden.

Der damalige Bürgermeister rechtfertigte sich damit, dass diese Nakba-Erzählungen einseitig seien und nicht nur über eine Seite gesprochen werden dürfe. Israel sei ein Schutzraum für die jüdische Bevölkerung und dies dürfe nicht verletzt werden. Später gab es auch eine weitere Geschichte an der Uni. Das Café Palestine durfte keine Hörsäle an der Uni mieten. Hier lief es genauso, sie haben eine Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht und gewonnen. So wurde schon lange die Arbeit von politisch aktiven Palästinenser:Innen erschwert, stigmatisiert und kriminalisiert.

Wie wirken sich diese staatlichen Repressionen auf eure Arbeit als Palästina Spricht aus?

S: Wir haben einige Demonstrationen organisiert. Die erste war im Frühling 2020 gegen die Annexion des Westjordanlandes. In der zweiten wollten wir dem Krieg 2014 in Gaza gedenken und haben eine Gedenkveranstaltung am „Platz der Alten Synagoge“ in Freiburg organisiert. Die Veranstaltung hat viel Aufmerksamkeit von der lokalen Presse bekommen. Vor allem die Platzwahl hat damals für sehr viel Aufregung gesorgt. Die Stadt hatte unsere Veranstaltung zuerst zugelassen. Dann haben sie uns mitgeteilt, dass sie Angst hätten, die Gedenkveranstaltung könnte „sekundären Antisemitismus“ unterstützen und dass wir den Ort der Veranstaltung wechseln müssten.

Dabei ist der Platz der alten Synagoge ein zentraler Ort, an dem viele Veranstaltungen starten. Von unseren Veranstaltungen startet dort nur ein Bruchteil. So haben wir beispielsweise im April 2021 einen Solidaritätsmarathon durchgeführt, welcher vom Tanzbrunnen startete. Dass uns sofort eine Form von Antisemitismus vorgeworfen wurde, haben wir als sehr diskriminierend empfunden. Das haben wir auch im Anschluss an die Gedenkveranstaltung in den Medien festgestellt. Es ging nur darum, ob wir provozieren wollten und ob wir antisemitisch seien.

Aber niemand fragte nach der inhumanen Blockade in Gaza, die seit 2006 besteht und unmenschliche Bedingungen provoziert. Immerhin haben wir am Ende über das Verwaltungsgericht Recht bekommen und durften die Veranstaltung durchführen.

 


[1] Nakba ist arabisch und bedeutet Katastrophe. Das Wort beschreibt die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948.

 

 

 

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