Deutschlands feministische Außenpolitik versprach mehr Gendergerechtigkeit und Friedensarbeit. In der Praxis wird das durch Waffenlieferungen und Deutschlands Diplomatie verhindert – besonders in der WANA-Region, findet Celina Bester.
„Wir rufen hier keine Revolution aus, sondern wir tun eine Selbstverständlichkeit: Nämlich, dass wir in der Außen- und Sicherheitspolitik dafür sorgen, dass wir alle Menschen erreichen. Dafür setzen wir um, was in unserem Grundgesetz (…) in Artikel drei steht: Dass alle Menschen gleich sind“, so kündigte Annalena Baerbock am 1. März 2023 die zehn Leitlinien der feministischen Außenpolitik (FAP) an. Sie sollten ein Signal für mehr Gendergerechtigkeit und eine inklusivere Außenpolitik sein.
Besonders in der Region Westasien und Nordafrika (WANA), hätten diese Leitlinien einen entscheidenden Unterschied in der Unterstützung der Bewältigung von Krisen und Konflikten machen können. Doch in der Praxis zeigt sich eine andere Realität: Während militärisches Handeln zunehmend Priorität erhielt, blieb der feministische Anspruch oft auf der Strecke.
Waffenlieferungen statt Gender Budgeting in WANA
Die deutsche FAP basiert nach dem schwedischen Vorbild auf den Prinzipien der drei „Rs“ – Rechte, Repräsentanz und Ressourcen und wird um „Diversität“ ergänzt. Daraus ergeben sich die zehn Leitlinien, die Annalena Baerbock im März 2023 vorstellte. Insbesondere die zweite Leitlinie betont, dass humanitäre Mittel gendersensibel, gendertransformativ und gezielt für marginalisierte Gruppen eingesetzt werden sollen.
Konkret hätte dies bedeutet, Entscheidungen so zu gestalten, dass besonders gefährdete Gruppen in Kriegsgebieten oder bei Umweltkatastrophen den notwendigen Schutz erhalten und nicht unverhältnismäßig unter extern getroffenen Entscheidungen leiden. In diesem Zusammenhang betonen die Leitlinien auch, dass Finanzmittel vor allem mit Blick auf militärische Sicherheit gerecht verteilt werden, während Waffenlieferungen im Einklang mit feministischen Prinzipien stehen müssen.
Jedoch klafft in Palästina, Afghanistan oder dem Sudan eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Die Waffenlieferungen stiegen, kaum effektive Schutzmaßnahmen wurden für marginalisierte Gruppen bereitgestellt und Gender Budgeting blieb oft nur Theorie.
Doppelte Standards der humanitären Hilfe
Seit dem 7. Oktober 2023 sind in punkto humanitäre Hilfe Israel und Palästina das vorrangige Thema. Gaza liegt in Schutt und Asche, das israelische Militär brachte im Gazastreifen mindestens 52.000 Menschen um. Trotz Waffenstillstandsbemühungen steigen die Zahlen derjenigen, die täglich neben den Bombardierungen an Hunger und mangelnder Gesundheitsversorgung sterben. Die, die noch unter den Trümmern liegen, nicht mitgerechnet.
Das Auswärtige Amt schreibt kurz nach dem Waffenstillstand im Januar 2025, dass es seit dem 7. Oktober 2023 300 Millionen Euro humanitäre Hilfe für die palästinensischen Gebiete, also den Gazastreifen und die Westbank bereitstellte. Zeitgleich bleibt Deutschland weiterhin der drittgrößte Waffenlieferant Israels, mit einem Exportumfang von 94 Millionen Euro allein zwischen August und Oktober 2024. Diese Waffen werden in einem Krieg eingesetzt, bei dem laut UN-Analysen zwei Drittel der Todesopfer Frauen und Kinder sind. Eine gendersensible oder gar transformative Außenpolitik ist in diesem Kontext gewiss nicht zu erkennen.
Diplomatisch unterstützt Deutschland Israel trotz der verheerenden Bilanz des Krieges. Dabei stützt es sich auf Israels Recht der Selbstverteidigung, das unter anderem durch die sexualisierte Gewalt der Hamas am 7. Oktober legitimiert sei. Wichtig ist hier für das Auswärtige Amt zu betonen, dass die humanitäre Lage eine Konsequenz des Terroranschlags der Hamas ist.
Das Ausmaß der Zerstörung in Gaza oder der Genozid-Vorwurf sowie die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshof gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant werden hingegen ignoriert. Gezielte Angriffe auf Rettungskräfte bezeichnet das Auswärtige Amt als „bestürzend“, aber sie ändern nichts an Deutschlands politischer Haltung.
Vom Sudan bis nach Afghanistan – wo sind die drei Rs?
Der Sudan ist von der derzeit weltweit größten Hungersnot und Fluchtbewegung ausgelöst durch den anhaltenden Bürgerkrieg betroffen, zu dem auch Deutschland indirekt beigetragen hat. Denn die BRD militarisierte den Sudan während des Kalten Krieges, unter anderem durch Schusswaffenlieferungen von Heckler & Koch und den Bau eines Luftwaffenstützpunktes durch die Bundeswehr. International erhält der Krieg wenig Aufmerksamkeit – mit Folgen für das Budget der internationalen Hilfe. Dennoch beschloss Deutschland auf der Sudankonferenz in London im letzten Monat zusätzliche finanzielle Hilfe von 125 Millionen für humanitäre Hilfe für Sudan und die Nachbarländer bereitzustellen.
Diese Summen mögen auf den ersten Blick beeindruckend wirken, doch wie im Fall des Gaza-Kriegs, wird humanitäre Hilfe von deutschen Waffenexporten an die Kriegspartei Saudi-Arabien in Höhe von 132,48 Millionen Euro allein 2024 begleitet. Dadurch werden der finanzielle Aufwand für humanitäre Hilfe sowie für gendersensible und transformative Projekte ineffizient. Paradoxerweise hatte die Große Koalition 2018 einen Waffenexportstopp für Saudi-Arabien beschlossen, der unter Annalena Baerbock, die eigentlich gendersensible Rüstungskontrollen in ihren FAP-Leitlinien forderte, ausgehebelt wurde.
Ein weiteres Beispiel für das Verfehlen der Ansprüche der FAP ist die fehlende Solidarität mit Frauen in und aus Afghanistan, wo Frauen in Afghanistan unter der Taliban-Herrschaft systematisch unterdrückt, verfolgt und von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden. Stattdessen dominierten kurz vor der Bundestagswahl 2025 Schlagzeilen über Abschiebungen nach Afghanistan.
Diese Abschiebungen widersprechen nicht nur den menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands, sondern auch den feministischen Grundsätzen der deutschen Außenpolitik. Eine Politik, die sich als feministisch versteht, darf Menschen nicht in ein Land zurückschicken, in dem Frauen keinen Zugang zu Bildung, Arbeit oder rechtlichem Schutz bekommen.
Auch in der politischen Repräsentation wird die deutsche Außenpolitik nicht ihren feministischen Ansprüchen gerecht, deren Ziel es ist, zivilgesellschaftliche Akteur:innen stärker einzubeziehen. Das spiegelte sich nicht im Terminkalender der Außenministerin Annalena Baerbock wider: Sie traf sich vorrangig mit männlichen Entscheidungsträgern wie Benjamin Netanyahu oder Joe Biden, statt mit zivilen Akteur:innen. Frauen und marginalisierte Gruppen – sei es in Israel und Gaza, der Ukraine oder dem Sudan – spielten in den von ihr begleiteten Friedensprozessen kaum eine Rolle.
Dies mag unter anderem der männlichen Dominanz in politischen Führungspositionen geschuldet sein, wirft jedoch Fragen auf: Warum werden feministische Ansprüche der Inklusion marginalisierter Bevölkerungsgruppen über Bord geworfen, wenn es darauf ankommt? Bleibt die feministische Außenpolitik also nur relevant, solange sie mit strategischen Interessen vereinbar ist?
Sozialdarwinismus statt Menschenrechte
Mit den internationalen politischen Entwicklungen gingen innenpolitisch starke antifeministische und rassistische Tendenzen einher, die sich der Etablierung der FAP in den Weg stellten: Die AfD erstarkte weiter und konservative Parteien sind von der Rhetorik in der Migrationspolitik oder der humanitären Ausrichtung kaum mehr von Rechtsextremen zu unterscheiden.
Auch auf der globalen Bühne dominieren patriarchale und populistische Akteur:innen: In den USA markiert die Wiederwahl Donald Trumps zum Präsidenten Ungewissheit für die Zukunft der deutschen Außenpolitik. Die USA stoppen bereits das USAID-Programm (United States Agency for International Development), das den Großteil der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe finanziert.
Die Folgen waren sofort auch in der WANA-Region spürbar: Hunderttausende verloren von heute auf morgen ihre Arbeit und der Zugang zu lebenswichtiger Unterstützung fällt weg. Geht es nach der feministischen Außenpolitik dürfte Deutschland dem Beispiel der USA nicht folgen, sondern müsste sich eher noch stärker in diesen Bereichen engagieren.
In dieser politischen Gemengelage zwischen Kriegen in Gaza, dem Sudan und der Ukraine, der Realpolitik Trumps sowie dem Rechtsruck in Deutschland gerät die menschenwürdige Gestaltung internationaler Politik aus dem Fokus. Stattdessen werden sozialdarwinistische Haltungen, nach dem Motto „der Stärkere gewinnt“, normalisiert wie beim russischen Angriff auf die Ukraine oder bei Trumps Fantasie einer Gaza-Riviera. Die Nöte sowie der Wille der ukrainischen und palästinensischen Bevölkerung und besonders derer marginalisierter Gruppen finden kaum Beachtung auf der internationalen Bühne.
Deutschlands außenpolitische Zukunft
In Deutschland fehlt es derweil auch an Kohärenz zwischen feministischer Rhetorik und realpolitischer Praxis. Während das Konzept ambitioniert formuliert wurde, mangelt es an verbindlichen Mechanismen zur effizienten Erfolgskontrolle. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2024 weist darauf hin, dass lediglich zwölf Prozent der geplanten gendersensiblen Projekte tatsächlich umgesetzt wurden.
Mit dem Übergang des Auswärtigen Amts an die CDU ist gesetzt, dass das Wort „feministisch“ das Konzept der deutschen Außenpolitik nicht mehr beschreiben darf. Ob die Werte des Ansatzes, der im Kern gleiche Rechte für alle Menschen fordert, nun in die Tat umgesetzt wird, liegt künftig in den Händen von Johann Wadephul. Er muss nun entscheiden, ob Deutschland nach dem Prinzip der allgemeinen Menschenwürde handeln wird oder ob er den emotionsgeladenen Backlash gegen Gleichstellung und Migration auf der Weltbühne weiterhin gewähren lässt und Menschenrechte über Bord wirft.