Die BDS-Bewegung nennt in ihrem Aufruf die südafrikanische Apartheid als zentrale Gründungsinspiration. Klaas Mokgomole kritisiert diese Aneignung des Begriffs durch die BDS-Bewegung.
Während meines Engagements in der studentischen politischen Organisation an der Universität von Witwatersrand in Johannesburg habe ich zum ersten Mal von BDS erfahren. Ich bin seit meiner Schulzeit Aktivist, die selbe Motivation mich für meine Gesellschaft einzusetzen trieb mich an, politische Arbeit für Student:innen auf dem Campus zu leisten. Ich setzte mich vor allem für eine kostenlose, hochwertige und entkolonialisierte Hochschulbildung sowie für Zugang zu Unterkünften und Lehrbüchern ein.
Campus Atmosphäre
Der universitäre Raum kann sehr brisant sein, Gruppen und Personen treiben ihre eigene Agenda voran. Nachdem ich in die studentische Repräsentation gewählt wurde, nutzte ein Mitglied der BDS-Bewegung die Gelegenheit und erklärte, dass Israel ein Apartheidstaat sei und die israelische Regierung die Menschenrechte verletze. Als Schwarze Aktivist:innen und Kinder von Eltern, die die südafrikanische Apartheid am eigenen Leib erfahren haben, waren wir überzeugt. Wir begannen, uns für das palästinensische Volk einzusetzen.
Im Nachhinein würde ich sagen, dass wir anfingen, Israel zu dämonisieren, ohne den Konflikt als Ganzes zu verstehen. Als studentischer Aktivist hielt ich es für unerlässlich, an der jährlichen „Israel Apartheid Week“ teilzunehmen - einer international stattfindenden Woche in Unterstützung von BDS mit Veranstaltungen und Kundgebungen an Universitäten. Diese richten in der Regel eine Reihe an Organisationen aus, darunter studentische Ableger politischer Parteien und die studentische Solidaritätsgruppen für Palästina.
Diese Veranstaltungen führten zu zahlreichen Kontroversen auf dem Campus: Student:innen und Organisationen waren gespalten, in dieser intoleranten Atmosphäre kam es teils sogar zu Handgreiflichkeiten. Parolen wie „Tötet die Juden“, „Ein Jude - eine Kugel“, „Zionismus ist Rassismus“ waren in dieser Zeit keine Seltenheit. Bei anderen Anlässen zeigten Student:innen ihre Bewunderung für Hitler und die systematische Auslöschung der Juden und Jüdinnen und imitierten den Hitlergruß. Ein anderes Mal wurden von Student:innen der BDS-Bewegung Hisbollah-Fahnen auf dem Campus gehisst.
Palästinasolidarität inmitten eigener Probleme
Eines ist sicher: Der:die durchschnittliche Schwarze Student:in in Südafrika hinterfragt nicht kritisch den Fokus auf Israel und Palästina. Als Schwarze in Südafrika haben wir unsere eigenen Probleme, die uns tagtäglich einholen. Neben dem fehlenden Zugang zu einer freien, hochwertigen und entkolonialisierten Hochschulbildung, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und geschlechtsspezifischer Gewalt gibt es viele andere brennende Fragen. Die Student:innen verlieren sich im Thema Israel und Palästina, denn es wird auf dem Campus zu einer großen Sache gemacht.
Alle anderen Themen internationaler Solidarität, wie beispielsweise die Sklaverei in Libyen, die Polizeigewalt in Simbabwe und Nigeria oder der Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo, werden nicht diskutiert, während Israel und Palästina im Vordergrund steht. Südafrikanische Student:innen haben aufgrund unserer Apartheid-Vergangenheit einen stärkeren Bezug dazu: Wenn man den Begriff „Apartheid“ erwähnt, reagieren wir sehr schnell. Als Schwarzer Mensch möchte ich nicht, dass irgendjemand irgendwo auf der Welt unter der Ungerechtigkeit von Apartheid leidet.
BDS versucht Parallelen zu ziehen
Die Apartheid war eine unmenschliche Ordnung mit systematischen Gesetzen zur Segregation und Entmenschlichung der Schwarzen Seele: Die Auswirkungen der Apartheid wirken bis heute in Südafrika nach. Unseren Eltern wurde von der Apartheidregierung der Zugang zu grundlegenden Menschenrechten verwehrt, auch heute noch kann ein Schwarzes Kind aufgrund der Vergangenheit nicht ungehindert eine Hochschule besuchen. Wegen des nachwirkenden systematischen Rassismus finden Schwarze in diesem Land auch nach dem Studium immer noch keine Arbeit.
Das Ziel der BDS-Bewegung ist es, eine Parallele zwischen den Ereignissen der südafrikanischen Apartheid und der Situation in Israel zu ziehen und die Sympathie der studentischen Aktivist:innen an den Universitäten zu gewinnen. Doch die Situation in Israel mit der südafrikanischen Apartheid zu vergleichen, ist eigentlich eine Beleidigung für das, was unsere Eltern und Großeltern durchgemacht haben.
Ein ungleicher Vergleich
Palästinensische Israelis verfügen über eine Vielzahl an grundlegenden Menschenrechten. Dazu zählen das Wahlrecht, die Beteiligung an Politik und Regierung, das Recht auf Bildung, Religionsfreiheit, Pressefreiheit und vieles mehr – Rechte, die unseren Eltern während der Apartheid in Südafrika eklatant verweigert wurden, die sie sich nicht einmal vorstellen konnten. Was das Westjordanland und den Gazastreifen betrifft, so sehe ich BDS nicht über die Menschenrechtsverletzungen sprechen, wenn sie von den palästinensischen Behörden und nicht von Israel begangen werden.
In Gaza leben die Palästinenser:innen unter dem autoritären Regime der Hamas. Den Menschen wird der Zugang zu grundlegenden Rechten verwehrt und die Menschen werden nach Willen der Hamas in Kriege hineingezogen. Im Westjordanland leben die Palästinenser:innen unter der Kontrolle eines Polizeistaats ohne Staat und einer korrupten Regierung.
Aktivist:innen, die sich gegen die Palästinensische Autonomiebehörde wenden, werden getötet und Demonstrierende verprügelt – nicht nur bei den Protesten gegen den Mord an Nizar Banat. Wenn BDS die Rechte der Palästinenser:innen am Herzen liegen, warum prangern sie dann nicht die Gewalt durch ihre eigenen Leute an? Haben sie Angst, die fragwürdige Unterstützung politischer Kräfte zu verlieren?
Kein Schritt in Richtung Frieden
BDS ist nicht nur anti-israelisch, sondern hat auch keinen Beitrag zum Aufbau des Staates Palästina geleistet. Während meines Besuchs in den Gebieten Rawabi, Ramallah und Bethlehem habe ich mit einfachen Bürger:innen vor Ort gesprochen – dort wurde mir klar, dass sie nicht wussten, auf was BDS abzielt. Bei meinen Gesprächen mit Aktivist:innen in diesem Stück Land wurde ebenfalls klar, dass sie alle Frieden wollen und ein Ende des anhaltenden Konflikts anstreben.
Um Frieden zu schaffen, müssen alle Parteien Kompromisse eingehen und sich an einen Verhandlungstisch setzen. Genau das Gleiche geschah in Südafrika zwischen 1990 und 1994. Ein Ausweg wäre, dass sich die internationale Gemeinschaft für eine friedliche und für alle Menschen vor Ort bessere Lösung den Konflikt um Israel-Palästina einsetzt. Es darf keinen Platz für egoistische Ziele geben.
Südafrika ist heute dort, wo es ist, weil die führenden Politiker:innen bereit waren, sich an einen Tisch zu setzen und zu verhandeln, und weil die internationale Gemeinschaft genau das getan hat. In Westasien sehen wir jedoch, dass sich alle Parteien vom Verhandlungstisch wegbewegen. Die internationalen Organisationen, die Medien und die Gemeinschaft als Ganzes können eine Rolle dabei spielen, den Konflikt zu beenden.