02.12.2020
Normalisierung mit Israel – eine erneute Farce internationaler Politik
Planierraupe, Westjordanland 2006. Foto: Jonas Moffat, Open Source: https://www.flickr.com/photos/joeskillet/223394646/2.0, Licence: Generic (CC BY 2.0), no changes made.
Planierraupe, Westjordanland 2006. Foto: Jonas Moffat, Open Source: https://www.flickr.com/photos/joeskillet/223394646/2.0, Licence: Generic (CC BY 2.0), no changes made.

Die Vereinten Arabischen Emirate, Bahrain und nun auch Sudan normalisieren ihre politisch-ökonomischen Beziehungen mit Israel. Was das für Palästina bedeutet, kommentiert Majed Abusalama.

In den letzten Monaten ereignete sich ein weiteres Theater auf der internationalen Politikbühne, als die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain und zuletzt auch Sudan verkündeten, ihre Beziehungen mit Israel normalisieren zu wollen. Während Politiker*innen und Regierungen des globalen Nordens die Ankündigungen begrüßten, haben Araber*innen auf den Straßen, in Graswurzel-Bewegungen und in sozialen Medien die Normalisierungsabkommen scharf kritisiert.

Die Protestierenden machten deutlich, dass nicht sie, sondern lediglich die nicht gewählten Herrscher*innen ihrer Länder die Normalisierung mit Israel unterstützen. Die Enttäuschung der Emiratis, Bahrainis, Sudanes*innen, sowie der vieler anderer Araber*innen und Minderheiten in WANA zeigt, dass sie Normalisierung mit Israel in all ihren Formen als Verrat ansehen.

Für die meisten Palästinenser*innen und Araber*innen kam die Normalisierung zwischen Israel, Bahrain und den VAE jedoch nicht überraschend. Vielen war bewusst, dass die Beziehungen hinter verschlossenen Türen längst normalisiert waren. Der einzige Unterschied ist, dass sich die Länder jetzt nicht länger schämen, es öffentlich zu machen.

Scheinargumente

Die VAE argumentieren zwar, dass es ihnen mit den Normalisierungsabkommen gelungen sei, Israel im Juli zu dem Versprechen zu bewegen, seine Annexionspläne für das palästinensische Westjordanland aufzuschieben. Allerdings hat Israel das Westjordanland schon vor langer Zeit de facto annektiert und behandelt es auch weiterhin wie israelisches Staatsgebiet. In Verletzung des Völkerrechts hat die israelische Regierung dort seit 1967 über 200 illegale Siedlungen und Außenposten errichtet, in denen mittlerweile 620.000 israelische Siedler*innen leben. Der zerstörerische Einfluss der Siedler*innen hat negative Auswirkungen auf das Leben aller Palästinenser*innen im besetzten Westjordanland. Von den andauernden Massakern und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im abgeriegelten und unbewohnbarem Gazastreifen ganz zu schweigen.

Geplatzte Versprechen

Es ist eindeutig, dass Israel seine Versprechen vom Oslo Abkommen 1993 nicht gehalten hat und andere Friedensvorschläge ignoriert. So zum Beispiel die Arab Peace Initiative von 2002, die vorsah, dass sich israelische Siedler*innen und Besatzungstruppen aus allen seit 1967 besetzten arabischen Gebieten zurückziehen und eine gerechte Lösung für die palästinensischen Geflüchteten gefunden wird. Vorschläge für eine Ein-Staat-Lösung in dem alle Israelis und Palästinenser*innen gleiche Rechte genießen werden ebenfalls ignoriert.  

Die verschärfte Politik der Trump Administration und die Komplizenschaft andere Länder des globalen Nordens, treibt Palästina noch stärker in die Isolation. Der diktierte Frieden von oben, um den sich Regierungen des globalen Nordens seit Jahren bemühen, hat schon lange nichts mehr mit den realen Bedingungen in Israel und Palästina zu tun. Stattdessen befeuert er den Unmut der lokalen Bevölkerung darüber, dass die Politik des globalen Nordens versagt hat. Darin, das palästinensische Recht auf Rückkehr und Selbstbestimmung anzuerkennen und den Verbrechen und der kolonialen Siedlungs- und Apartheidpolitik der israelischen Regierung in Israel und Palästina etwas entgegen zu setzen.

Zurückgelassen

In der Zwischenzeit läuft die längste Militärbesatzung der Welt ungestört weiter. Millionen palästinensische Geflüchtete leben nach wie vor in Flüchtlingslagern der unterfinanzierten United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees  (UNRWA) im Westjordanland, im Gazastreifen sowie in Jordanien, Syrien und dem Libanon. Sie alle fühlen sich im Stich gelassen von den zynischen Manövern der VAE, Bahrain und dem Sudan, die einst vorgaben, sie zu unterstützen.

Der Widerstand gegen jegliche Normalisierung mit Israel, ist somit eng verbunden mit Israels langjähriger Unterdrückung von Palästinenser*innen und Araber*innen.  Araber*innen betrachten Israel nicht als normales Nachbarland, sondern als die Kolonialmacht Palästinas und einen Aggressor, der auch weitere arabische Gebiete wie die syrischen Golanhöhen und den Süd-Libanon besetzt hält, beziehungsweise besetzt gehalten hat. Israel wie einen „normalen” Staat zu behandeln, würde bedeuten, seine Kolonialherrschaft über die Palästinenser*innen ebenfalls zu normalisieren.

Die Anti-Normalisierung

Das Versäumnis der VAE, Bahrain und dem Sudan, sich fortwährend für die Palästinenser*innen und ihre Rechte auszusprechen, ist wohl die deutlichste Verletzung solcher Anti-Normalisierungsaufrufe. Darüber hinaus werden die jüngsten Abkommen nicht zu Stabilität in der Region führen, sondern Misstrauen, Wut und Chaos säen. Denn bei diesen Abkommen geht es nicht um einen gerechten Frieden für die Region, sondern um Komplizenschaft zwischen Israel und autokratischen arabischen Monarchien und Diktatoren. Die einzigen Akteure die von diesen Deals profitieren, sind Donald Trump, rechte Parteien und Israel.

Palästinenser*innen lehnen Koexistenz mit der israelischen Besatzung, Unterdrückung und Apartheid ab. Vor allem lehnen sie es aber ab, Koexistenz als Mittel für Frieden oder politisches Vertrauen zu etablieren.  Alle die an wirklichen Frieden glauben, sollten staatliche Normalisierungen, wie die jüngsten Abkommen mit der VAE, Bahrain und dem Sudan ebenfalls zurückweisen. Stattdessen müssen wir uns für eine „Normalisierung“ zwischen den Völkern einsetzen, die zu einem langfristigen Frieden führen kann. Andernfalls werden Annexionen, Siedlungsbau, Apartheid, Besatzung und Menschenrechtsverletzungen weiter andauern.

Alternativen

In diesem Sinne haben Palästinenser*innen in den letzten Jahrzehnten alle Menschen die an Gerechtigkeit glauben, einschließlich Juden und Jüdinnen sowie mutige Israelis, eingeladen, sich dem Widerstand gegen Israels Apartheidpolitik anzuschließen und zu einem wirklichen, langfristigen Frieden beizutragen.

Solch eine gerechte und friedliche Zukunft ist möglich, wenn die Ideologie des Zionismus überwunden wird, die sowohl Juden und Jüdinnen als auch Palästinenser*innen schadet. Die Liste der Schritte die Israel unternehmen müsste, um nicht länger als eine Besatzungsmacht zwischen arabischen Ländern wahrgenommen zu werden, sondern als ein echter Teil der Region, ist zwar lang, aber nicht unerfüllbar. Die Grundvoraussetzung ist, dass sich Israel von allen besetzten arabischen Gebieten zurückzieht, seine Apartheidpolitik aufgibt und palästinensische Geflüchtete nach Hause zurückkehren können. Solch ein Bottom-Up Ansatz, angeführt von Araber*innen und Palästinenser*innen würde allen Bewohner*innen im kolonisierten Palästina Frieden und Versöhnung bringen. 


Dieser Text erschien zuerst in englischer Sprache bei „Inside Arabia“ und wurde von dis:orient ins Deutsche übersetzt.


 

Majed Abusalama ist Doktorand in „Kritischer Humangeografie und regionalen Studien“, palästinensische Forschungsgruppe, an der Universität Tampere (Finnland). Majed ist Menschenrechtsverteidiger und schreibt regelmäßig für Jadaliyya, Aljazeera English, TheNewArab, Mondoweiss und andere. Aufgewachsen im Jabalia Flüchtlingslager in Gaza, lebt er...
Redigiert von Henriette Raddatz, Tobias Grießbach
Übersetzt von Matthias Flug