08.12.2017
Was bedeutet „Freundschaft mit Israel“?
"There is another way" - Es gibt einen anderen Weg. Den zu gehen ist auch die Aufgabe ausländischer Freunde der Konfliktparteien. Foto: Trocaire/Flickr (https://flic.kr/p/HdKSAQ), Lizenz: cc-by 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)
"There is another way" - Es gibt einen anderen Weg. Den zu gehen ist auch die Aufgabe ausländischer Freunde der Konfliktparteien. Foto: Trocaire/Flickr (https://flic.kr/p/HdKSAQ), Lizenz: cc-by 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Jörn Böhme, Nahost-Referent der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und ehemaliger Leiter des Israel-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, fragt sich angesichts der aktuellen Entwicklung, was die deutsche Freundschaft mit Israel heute bedeuten kann – und was nicht. Ein persönlicher Kommentar.

In Israel gilt der US-amerikanische Präsident Donald Trump vielen als ein wirklicher Freund Israels. Diese Kräfte fühlen sich durch die Anerkennung von Jeruslam als Hauptstadt Israels durch Trump in dieser Meinung bestätigt.

Aber: Voraussetzung für Freundschaft mit Israel ist die Bejahung des demokratischen Staates Israel mit einer jüdischen Mehrheit in den international anerkannten Grenzen von 1967.

Israel ist jedoch ein Staat, der seit nunmehr über 50 Jahren Millionen von Palästinensern grundlegende demokratische Rechte verweigert. Deshalb ist das Eintreten für eine Zwei-Staaten-Regelung ein zweiter zentraler Bestandteil von Freundschaft mit Israel. Nur diese Option erlaubt es, die Fortexistenz und Entwicklung von Israel als einem demokratischen Staat mit jüdischer Mehrheit zu bejahen, ohne den Palästinensern das Selbstbestimmungsrecht zu verweigern.

Seit den 2000er Jahren ist die Forderung nach einer Zwei-Staaten-Regelung endlich internationaler Konsens. Die Entwicklungen vor Ort entfernen sich aber immer weiter von dieser Struktur hin zu einer Ein-Staaten-Realität. So stellt sich vehement die Frage, wie man heute noch jenseits von hohlen Erklärungen glaubwürdig für eine Zwei-Staaten-Regelung eintreten kann.

Notwendig ist die Kombination einer Anerkennung des Staates Israel in den Grenzen von 1967 ohne Wenn und Aber mit einer konsequenten Politik der Differenzierung zwischen dem Kernland Israels in den Grenzen von 1967 und den von Israel besetzten und kontrollierten Gebieten. Beziehungen zu Israel dürfen weder direkt noch indirekt eine Fortsetzung der israelischen Besatzung unterstützen.

Die BDS-Bewegung, die israelische Regierung und die Grenzen von 1967

Eine solche Politik führt zu Konflikten sowohl mit der israelischen Regierung, wie mit der Bewegung BDS (Boycott, Divestment, Sanctions). Für die israelische Regierung und diejenigen Kräfte, die sie unterstützen oder ihr verständnisvoll gegenüberstehen, sind die besetzten Gebiete mehr oder weniger Teil Israels. Wer dagegen auf den Grenzen von 1967 beharrt, solange die Konfliktparteien sich nicht auf einen endgültigen Grenzverlauf geeinigt haben, gilt schon als israel-feindlich.

Auch für die BDS-Bewegung spielen die Grenzen von 1967 keine Rolle. 2005 von palästinensischen Nichtregierungsorganisationen gegründet, ist die BDS-Bewegung aber inzwischen vor allem international aktiv. Sie fordert u.a. die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge und lässt bewusst die Frage offen, in welchem Format der Konflikt am Ende geregelt werden soll. Sie fordert bewusst keine Zwei-Staaten-Regelung. Damit setzt sie sich dem Verdacht aus, einen demokratischen Staat Israel mit jüdischer Mehrheit für das eigentliche Problem des Konfliktes zu halten. Meiner Meinung nach trifft das für viele ihrer Aktivisten auch zu.

Als Freund Israels liegt mir aber daran, diesen Staat zu erhalten und mit denjenigen politischen Kräften dort zusammenzuarbeiten, die sich ebenfalls für ein Ende der Besatzung einsetzen. Deswegen lehne ich einen generellen Boykott Israels ab und trete für eine Zwei-Staaten-Regelung ein. Für mich hat die Ablehnung von BDS nicht primär damit zu tun, dass ich ein nicht-jüdischer Deutscher bin und Verantwortung für die Folgen der von Deutschen angerichteten Menschheitsverbrechen übernehmen will. Für mich ist die Strategie von BDS auch dann politisch falsch, wenn sie von Spaniern, Briten, US-Amerikanern oder Südafrikanern vertreten wird, egal ob sie Juden oder Nicht-Juden sind.

Rechte und die Frage des Formats ihrer Durchsetzung

An dieser Stelle kommt in Diskussionen oft der Einwand, dass es der BDS-Bewegung primär um die Durchsetzung von Rechten gehe und nicht um das Format, in dem diese durchgesetzt werden. Das stimmt, aber im Zusammenhang mit dem Staat Israel und dem israelisch-palästinensischen Konflikt ist genau das das Problem. Ein Ansatz, der die Rechte prioritär über das Format setzt, kann nicht konfliktdeeskalierend wirken.

In Israel wird jeder Ansatz, der zu einem Ende der jüdischen Mehrheit im Staat führen könnte, als Bedrohung des Staates wahrgenommen. Vor dem Hintergrund der jüdischen Geschichte sowie der Lage vieler Minderheiten im Nahen Osten ist das verständlich. Akzeptiert man aber Israel in seiner jetzigen Struktur, hat das zwei Konsequenzen, die im Widerspruch zu den Forderungen der BDS-Bewegung stehen:

Erstens kann es dann kein uneingeschränktes Recht auf Rückkehr der geflohenen und vertriebenen Palästinenser und ihrer Nachkommen geben. Das bedeutet nicht, dass die Lage der palästinensischen Flüchtlinge nicht verbessert werden kann. Dafür liegen zahlreiche Vorschläge vor, die von Entschädigung über die Aufnahme in einem künftigen palästinensischen Staat oder in Drittstaaten bis zur Verbesserung ihrer Rechte in den arabischen Aufnahmestaaten reichen. Auch politisch liegt inzwischen eine Kompromissformel für den Umgang mit diesem Thema vor. In der Friedensinitiative der Arabischen Liga aus dem Jahr 2002, die inzwischen mehrfach bekräftigt wurde, ist die Rede davon, es müsse eine „vereinbarte“ gerechte Lösung des Problems der palästinensischen Flüchtlinge in Übereinstimmung mit der Resolution 194 der Vereinten Nationen gefunden werden. „Vereinbart“ bedeutet, dass dem auch die israelische Regierung zustimmen muss.

Die palästinensische Minderheit in Israel

Die zweite Konsequenz ist die Lage der palästinensischen Minderheit in Israel. Diese ist gegenüber der jüdischen Mehrheit in vielfältiger Weise diskriminiert. So kann z.B. gemäß dem sogenannten Rückkehrgesetz jeder Jude oder jede Jüdin nach Israel einwandern und Staatsbürger/in werden. Für Palästinenser gibt es dieses Recht nicht. Seit der zweiten Intifada dürfen nicht einmal Ehepartner, die aus der Westbank stammen, mit ihren palästinensischen Ehepartnern in Israel dort zusammenleben. In der Bezeichnung von Israel als „jüdischem und demokratischem Staat“ steckt also eine Spannung, ein Widerspruch zwischen „jüdisch“ und „demokratisch“.

Vor dem Hintergrund der im Laufe der Geschichte an Juden verübten Verbrechen habe ich Verständnis für das Rückkehrgesetz und stelle es nicht infrage. In der Konsequenz bedeutet das das Eingeständnis, dass es nicht von heute auf morgen völlige Gleichheit zwischen den jüdischen und den palästinensischen Staatsbürgern Israels geben wird. Das muss allerdings nicht heißen, alle Formen der Diskriminierung zu akzeptieren. Auch jenseits des Rückkehrgesetztes gibt es ein weites Feld von Diskriminierungen, wo sich der Einsatz für mehr Gleichberechtigung lohnt. Die Frage hier ist, ob sich alles ändern muss, damit sich irgendetwas ändert.

Wechselwirkungen zwischen BDS und israelischer Regierung

Ein wesentliches Problem in der internationalen Auseinandersetzung über den israelisch-palästinensischen Konflikt, besteht darin, dass sich die derzeitige israelische Regierung und die BDS-Bewegung gegenseitig bestärken. Sie brauchen einander geradezu, weil sie sich wechselseitig benutzen. Die israelische Regierung baut die BDS-Bewegung zu einer großen Bedrohung auf und bezeichnet sie als terroristisch und antisemitisch.

Sie denunziert die Politik der Differenzierung zwischen dem Kernland in den Grenzen von 1967 und den besetzten Gebieten als generellen Boykott Israels. Sie kritisiert also etwa die nach den Gesetzen der EU erforderliche korrekte Kennzeichnung von Produkten aus israelischen Siedlungen als BDS, obgleich die EU vielfach ihr Interesse an engen Beziehungen zu Israel betont hat. Die BDS-Bewegung ihrerseits nimmt diese Positionen der israelischen Regierung als Beleg für die eigene Bedeutung und ihren Erfolg. Auf der Strecke bleiben die Perspektive der Zwei-Staaten-Regelung und ein aktives Eintreten dafür. Für die BDS-Bewegung sowie die israelische Regierung ist das kein Problem, sind doch beide ohnehin gegen eine Zwei-Staaten-Regelung.

Ist die BDS-Bewegung antisemitisch?

Die israelische Regierung verlangt, dass die BDS-Bewegung überall und immer pauschal als antisemitisch verurteilt wird. Doch damit wird diese Bewegung vor allem aufgewertet und denjenigen wird Unrecht getan, die keine Antisemiten sind und die diese Bewegung unterstützen, weil sie empört über die andauernde israelische Besatzung sind und darauf verweisen, dass die Bewegung gewaltfrei ist. Mit dem pauschalen Vorwurf des Antisemitismus wird man sie kaum davon überzeugen können, dass diese Bewegung einen politisch kontraproduktiven Ansatz hat.

Die Frage, was einen Freund Israels ausmacht, muss endlich konkreter, offener und kontroverser diskutiert werden.

Dass die Verhältnisse zwischen Deutschland und Israel heute so intensiv, vielfältig und freundschaftlich sind, wird angesichts des Menschheitsverbrechens der Shoah – der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch Deutsche – häufig als ein „Wunder“ beschrieben.

Der mantraartig verwendete Begriff des Wunders verschleiert vieles, was für eine ernsthafte Diskussion der Frage, was Freundschaft mit Israel ausmacht, offengelegt werden müsste. Er verschleiert, dass es in den Beziehungen zwischen Staaten vor allen Dingen um Interessen und Machtpolitik geht – weshalb natürlich auch der Begriff der Freundschaft zur Charakterisierung der Beziehungen hinterfragt werden kann. Er verschleiert die zahlreichen Spannungsmomente zwischen israelischen und deutschen Regierungen, zuletzt im Jahr 2017 die Verschiebung der geplanten Regierungskonsultationen und das vom israelischen Ministerpräsidenten verweigerte Gespräch mit dem deutschen Außenminister, weil dieser sein Treffen mit Vertretern israelischer regierungskritischer Nichtregierungsorganisationen nicht absagte.

Solidarität mit Israel oder mit der israelischen Regierung?

Jörg Lau beschrieb bereits im November 2011 in der ZEIT ein Dilemma der deutsch-israelischen Beziehungen treffend: „Die israelische Regierung erwartet Solidarität von Deutschland. Doch in Berlin machen sich Zweifel breit – bis hinauf in die siebte Etage des Kanzleramts, wo Angela Merkel residiert –, ob Solidarität mit dieser Regierung nicht immer öfter in Widerspruch gerät zur Solidarität mit Israel.“ Und die israelische Regierung von 2011 war noch nicht so rechtsnationalistisch wie die jetzige.

Mit dieser israelischen Regierung wird eine Regelung des israelisch-palästinensischen Konfliktes entsprechend des internationalen Konsenses, nämlich einer Zwei-Staaten-Regelung, nicht zu machen sein. Im israelischen Kabinett tritt nur noch eine Minderheit für eine Zwei-Staaten-Regelung ein. Ministerpräsident Netanyahu hat gerade erst infrage gestellt, ob ein eigener Staat das Richtige für die Palästinenser sei und erneut die Forderung nach der Räumung israelischer Siedlungen in der besetzten Westbank als „ethnische Säuberung“ bezeichnet.

Die Defininitionshoheit darüber, was Freundschaft mit Israel ausmacht, darf nicht der israelischen Regierung überlassen werden

Was heißt dies für die Frage, was einen Freund Israels ausmacht? Das bedeutet zunächst, dass die Definitionshohheit über die Frage, was einen Freund Israels ausmacht, nicht der israelischen Regierung überlassen werden kann. Für sie sind Freunde Israels nur diejenigen, die ihre Politik unhinterfragt unterstützen. Alle anderen sind Ignoranten, Feinde Israels, Verräter oder Antisemiten. In Israel beginnt dies bei Nichtregierungsorganisationen, die der Besatzung kritisch gegenüberstehen, geht über Kulturschaffende bis hin zum Obersten Gerichtshof und zum israelischen Präsidenten, der kürzlich die Politik der Regierung als Gefahr für die israelische Demokratie kritisierte. Nicht-Juden in Israel oder aus dem Ausland, die sich kritisch äußern, treffen diese Vorwürfe natürlich ebenfalls.

Es ist kein Ausdruck von Freundschaft mit Israel, wenn Bürgermeister von München und Frankfurt/Main im Jahr 2017 entgegen der erklärten Position der Bundesregierung die Schirmherrschaft für Veranstaltungen übernehmen, bei denen der 50. Jahrestag der „Vereinigung Jerusalems“ gefeiert wird.

Es ist kein Ausdruck von Freundschaft mit Israel, wenn die Bundesregierung Israel vier Korvetten liefert und diese teilweise bezahlt. Die mit dieser Lieferung verbundenen Korruptionsvorwürfe sind schon jetzt zu einer Belastung der deutsch-israelischen Beziehungen geworden.

Es ist dagegen ein Ausdruck von Freundschaft mit Israel, Nichtregierungsorganisationen dort zu unterstützen, die sich gegen den rechtsnationalistischen Populismus stemmen und sich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und gegen die Fortsetzung der Besatzung einsetzen.

Nicht die fortgesetzte Rede vom Wunder der deutsch-israelischen Beziehungen ist dazu geeignet, diese zu stärken, sondern die offene und kontroverse Auseinandersetzung darüber, was vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und im Kontext der aktuellen Konfliktlage zwischen Israel und Palästina und im Nahen Osten Freundschaft mit Israel bedeutet – und was nicht.

 

Jörn Böhme, Referent für Nahost und Nordafrika in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag; ehemaliger Israel-Referent von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und ehemaliger Leiter des Israel-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Mitglied des diAK (Deutsch-Israelischer Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten). Autor (zusammen mit Christian Sterzing) von "Kleine Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts" (Frankfurt/Main 2018, Wochenschau-Verlag). Er äußert in diesem Beitrag seine persönliche Meinung.   

Artikel von Jörn Böhme