Letzten Dezember verließen die USA und Israel die UNESCO. Die Entscheidung wurde vor allem mit dem Ärger über einige gegen Israel gerichtete Resolutionen der UN-Organisation begründet. Es wäre aber zu kurz gegriffen, die Aufkündigung der Mitgliedschaft einfach als Reaktion auf pro-palästinensische Resolutionen zu verstehen. Stattdessen reiht sich der Austritt nahtlos in die instrumentelle Logik der amerikanischen Beziehungsgeschichte mit der UNESCO ein. Israel, Amerikas nahöstlicher Juniorpartner, muss der amerikanischen Entscheidung folgen. Was ist passiert? Ein Kommentar von Daniel Marwecki
Washington und Tel Aviv kündigten ihren Rückzug schon im Herbst 2017 an. Wegen UNESCO-Regularien konnte der aber erst jetzt vollzogen werden. Natürlich bedauert das Pariser Sekretariat der Organisation den Schritt. Die alltägliche Arbeit der “United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation” beinflusst der Austritt aber nicht wirklich. Die UNESCO-Weltkulturerbestätten in beiden Ländern werden weiter gepflegt, Washington wird weiterhin eine beobachtende Rolle in der Organisation spielen.
Wichtiger noch: die UNESCO muss seit 2011 ohnehin schon ohne amerikanische Gelder auskommen. Die wurden nämlich von der Obama-Administration eingefroren, nachdem der “Staat Palästina” in die Organisation aufgenommen wurde und die UNESCO damit zur ersten UN-Organisation wurde, die einen palästinensischen Staat anerkannte. Natürlich war die israelische Regierung mit der Entscheidung nicht einverstanden - aber aus der UNESCO austreten wollte man noch nicht.
Eine UNESCO-Resolution aus dem Jahr 2016 ignorierte dann das jüdische historische Erbe in der Ostjerusalemer Altstadt. Der Text benannte den Tempelberg nur mit seinem arabisch-islamischen Namen, al-Haram al-Sharif. Im Juli 2017 erkannte die UNESCO die Altstadt Hebrons und das Patriarchengrab im besetzten Westjordanland als palästinensisches Weltkulturerbe an. Zwar erwähnt die Resolution die Bedeutung Hebrons für alle drei monotheistischen Religionen. Die Entscheidung und der palästinensche Antrag aber spiegeln ein Geschichtsverständnis, in dem für jüdische Geschichte zwischen Jordan und Mittelmeer wenig Platz ist.
Selbstverständlich ist das falsch und man muss kein Freund der israelischen Besatzung sein, um das zu kritisieren. In Israel und Palästina folgt Geschichtsschreibung dem Nullsummenspiel zweier nationaler Ansprüche auf denselben Boden. Für Differenzierung zwischen religiöser Bedeutung und nationalstaatlicher Besitzforderung gibt es da wenig Raum (was übrigens in Tom Segevs Buch, Es war einmal ein Palästina, wunderbar historisch herausgearbeitet wird).
Was haben “die Palästinenser” nun von der Entscheidung? Ein Symbolsieg im Welttheater der Vereinten Nationen macht noch keinen Staat und ändert nichts an der Besatzungsrealität. Mahmoud Abbas, der greise Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde, kann damit auch kein längst verlorengegangenes Vertrauen der Palästinenser*innen zurückgewinnnen.
USA und UNESCO: Nur eine Frage der Nützlichkeit? Eine historische Einordnung
Wie lässt sich nun der amerikanische und israelische Austritt erklären? Das amerikanische Außenministerium begründete den Schritt im Oktober 2017 mit “wachsenden Zahlungsrückständen bei der UNESCO, der Notwendigkeit fundamentaler Reform in der Organisation, und bleibender Voreingenommenheit gegen Israel.”
Zuerst also hatten die USA unter Trump kein Interesse, die seit 2011 eingefrorenen Zahlungen an die UNESCO wiederaufzunehmen oder gar rückzuzahlen. Damit passt die Entscheidung zu der “America First” Doktrin der Trump-Administration, die dem Multilateralismus offen abschwört. Trump’s aktueller Sicherheitsberater, John Bolton, meinte einmal, dass es “keinen Unterschied machen würde, wenn das UN-Sekretariat in New York um 10 Stockwerke einstürzt.”
Laut Barak Ravid von der liberalen israelischen Tageszeitung Ha’aretz haben die amerikanischen Diplomat*innen des State Department ihre israelischen Kolleg*innen nicht einmal vorher über die Austritts-Entscheidung informiert. Israel konnte sich schwerlich gegen eine amerikanische Entscheidung stellen, die angeblich zu seinen Gunsten gefällt worden ist. Der amerikanische Austritt ist also kein Gefallen an Israel, sondern folgt eigenem Interesse. Es wäre aber auch verkürzt, den Austritt alleinig als Ausdruck einer Trump’schen go-it-alone Mentaliät verstehen. Denn am amerikanischen UNESCO-Abgang ist nicht viel Neues dran.
Die UNESCO wurde nach dem zweiten Weltkrieg als Club westlicher Staaten gegründet. Ihre kulturelle, erzieherische und soziale Arbeit war wichtig für den liberalen Neuaufbau des von Nazideutschland zerstörten Europas. Diese Aufgabe war aber ungefähr in dem historischen Moment erledigt, als die Mitgliedszahlen der Organisation rasant anwuchsen, und zwar mit den großen Dekolonisierungswellen der 50er und 60er Jahre. Im Kalten Krieg und vor allem durch die Bewegung der blockfreien ehemaligen Kolonien verloren die USA Einflussmöglichkeiten: Washington zahlte, ohne die UNESCO steuern zu können.
Es gibt verschiedene Gründe, warum der Israel-Palästina-Konflikt so unglaublich viel Platz in der internationalen Politik einnimmt. Ein Grund ist, dass Amerika und Westeuropa im Kalten Krieg den jüdischen Staat vor allem als Antwort auf den Holocaust verstanden. Für ehemalig kolonisierte Länder lag es aber näher, Israel als eines der letzten europäisch-kolonialen Projekte zu begreifen. Israel und Palästina wurden damit auch zu einer Spielfläche für den weit größeren Konflikt zwischen ‘dem Westen’ und dem ‘globalen Süden’ über grundlegende Fragen westlicher Herrschaft und (post)-kolonialer Souveränität.
1974 reagierten die USA auf ihren Bedeutungsverlust in der UNESCO und froren ihre Zahlungen ein, nachdem die UN-Organisation die Palestinian Liberation Organisation (PLO) anerkannt hatte. 1983 verliess Washington unter Ronald Reagan dann die Organisation zum ersten Mal und begründete das unter anderem mit der “Feindseligkeit” der Organisation gegenüber “der freien Gesellschaft, vor allem dem freien Markt und der freien Presse.” Das von Margaret Thatcher regierte Großbritannien folgte zwei Jahre später nach.
Das Reagan/Thatcher Gespann sah in der UNESCO, dominiert von Ländern des globalen Südens, vor allem ein Hindernis für ihre globale neoliberale Revolution. Es war der Republikaner George W. Bush und nicht der Demokrat Bill Clinton, der die USA dann knapp 20 Jahre später wieder in die UNESCO zurückführte. Die USA bereiteten gerade ihre völkerrechtswidrige Intervention in den Irak vor und etwas multilaterale Kolorierung konnte da nicht schaden.
Rückblickend ist der amerikanische Austritt also wenig überraschend. Für Israel stellt sich die Situation etwas anders dar. Das Land wurde ein Jahr nach seiner Gründung UNESCO-Mitglied, blieb es, trotz aller Widrigkeiten und unzweifelhafter Feindseligkeit, bis heute. Seinem mit Abstand wichtigsten Partner mag es aber nicht widersprechen, ganz im Gegenteil: der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu führt aktuell seine Nähe zu Trump als Argument im Wahlkampf an. Israel schwimmt in der Bugwelle amerikanischer Aussenpolitik. Wo diese genau hinführt, vermag seit einigen Jahren kaum jemand mehr zu sagen.