18.07.2023
Umweltschutz in Palästina bedeutet Widerstand gegen die Besatzung
Eine Frau steigt die Terrassen von Battir empor. Foto: Autor des Artikels
Eine Frau steigt die Terrassen von Battir empor. Foto: Autor des Artikels
Blick auf die antiken Terrassen von Battir. Foto: Autor des Artikels
Blick auf die antiken Terrassen von Battir. Foto: Autor des Artikels

Das Dorf Battir ist Weltkulturerbe und verkörpert mit seinen landwirtschaftlichen Traditionen die palästinensische Kultur. Seine 4.000 Jahre alten Steinterrassen sind nun durch die geplante Industriezone einer israelischen Siedlung bedroht. 

Die Welterbestätte Battir ist geprägt von seiner intensiv bewirtschafteten Trockenmauerterrassen, seinen römischen Bädern, komplexen Bewässerungssystemen, historischen Wachtürmen zur Bewachung von Tieren und dem Anbau von Obst- und Gemüse – insbesondere Olivenbäumen. Geografisch liegt Battir in den besetzten palästinensischen Gebieten zwischen Jerusalem und Bethlehem.

Die Anerkennung als Welterbestätte war dabei keine Selbstverständlichkeit, sondern erforderte mehrere Jahre nationaler Bemühungen von Umweltorganisationen wie EcoPeace Middle East (im Folgenden EcoPeace). Diese Anstrengungen wurden umso notwendiger, als sich die Palästinensische Behörde gegen die Bewerbung von Battir als Welterbestätte entschied.

EcoPeace wurde 1994 nach der Unterzeichnung des Osloer Abkommens gegründet und besteht aus Umweltschützer:innen aus Israel, Palästina und Jordanien. In den letzten Jahren wurde die Arbeit der Regionalbüros durch starke Anti-Normalisierungskampagnen beeinträchtigt, die die regionale Zusammenarbeit insbesondere in Jordanien und Palästina in Frage stellten haben. Trotz dieser Kampagnen setzt EcoPeace weiterhin auf regionale Zusammenarbeit, für einen gemeinsamen Umweltschutz, Wirtschaftswachstum, und eine zukünftige Zwei-Staaten-Lösung.

Beitar-Illit dagegen ist eine jüdisch-israelische Haredi-Siedlung zehn Kilometer südwestlich von Jerusalem in den besetzten palästinensischen Gebieten und gilt mit seinen 63.220 Einwohner:innen (2021) als eine der größten und am schnellsten wachsenden Siedlungen Israels. Sie ist fünf Kilometer von dem palästinensischen Dorf Battir entfernt und grenzt an die 2014 eingerichtete UNESCO-Pufferzone für das Weltkulturerbe Battir.

Ein Industriegebiet droht Wassersysteme in der Region zu verschmutzen 

Obwohl Battir international als Welterbe anerkannt ist, könnten seine antiken Terrassen und Bewässerungssysteme bald unwiderruflich zerstört werden, da in Beitar-Illit der Bau einer 632,87 Hektar großen Industriezone innerhalb der Pufferzone des Welterbes geplant ist.

Dieses Industriegebiet würde „das lebenswichtige Regenwasserabflussgebiet Wadi Jama zementieren, was den Grundwasserspiegel reduzieren und einen der wenigen verbliebenen ökologischen Korridore verkleinern würde. Zudem würde es die Bewegungsfreiheit der Einwohner:innen von Battir einschränken und möglicherweise zum Eindringen industrieller Giftstoffe in die unterirdischen Wasserquellen führen“, so ein israelischer Wasserexperte, der anonym bleiben möchte.

Der Einspruch von EcoPeace im Jahr 2021 kritisierte: „Diese Industriezone dringt in das Kerngebiet des Kulturerbes ein, welches sich auf einem Gebiet mit hoher hydrologischer Empfindlichkeit für die Gebirgsgrundwasserleiter befindet. Damit kann das Strömungsregime verletzt und die Wasserquellen bedroht werden“. Israel unterzeichnete 1999 die UNESCO-Welterbekonvention und verpflichtete sich damit zur Einhaltung der Bestimmungen für das Welterbe.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Battir um seinen Erhalt und Schutz ringen muss. Der aktuelle Fall ereignet sich weniger als zehn Jahre nach dem geplanten Bau einer israelischen Militärmauer, die zur Zerstörung der alten Terrassen und Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Landwirt: innen hätte führen können. Erst nach einem dreijährigen Rechtsstreit, zahlreichen Einsprüchen von EcoPeace und anderen Umweltorganisationen, sowie der Erklärung von Battir zum Weltkulturerbe im Jahr 2014, entschied der Oberste Gerichtshof Israels 2015 gegen den israelischen Staat und somit gegen den Bau der Mauer um das Dorf.

„Meine Enkel ziehen es nicht einmal in Erwägung, landwirtschaftliche Tätigkeiten zu erlernen“

Auch diesmal gelang es EcoPeace den Bau der Industriezone im Mai 2021 vorerst zu stoppen, nachdem sie unter Berufung auf Schutz der Umwelt und des Weltkulturerbes rechtlichen Einspruch erhoben hatten. Der daraufhin von der israelischen Zivilverwaltung temporär festgelegte „Schwebestatus“ schafft nun im Leben der Bauern und Bäuerinnen von Battir eine Atmosphäre der Unsicherheit. Somit bleibt die Zukunft der Terrassen und des Lebensunterhalts ihrer Bewohner:innen ungeklärt.

„Während die Berufung die Bauarbeiten vorübergehend stoppen konnte, hat sich im Leben dieser Familien Ungewissheit breitgemacht“, so ein palästinensischer Forscher für Klimawandel und Internationale Beziehung, der ebenfalls anonym bleiben möchte. Da zudem die israelische Zivilverwaltung als unberechenbar gilt, erschwert sich die Planung für EcoPeace und Battirs Einwohner:innen.

Besonders die jüngere Generation ist von der Situation geprägt: „Meine Enkelkinder ziehen es nicht einmal in Erwägung, landwirtschaftliche Techniken und Anbaumethoden zu erlernen. Stattdessen ziehen sie weg. Sie sehen keine Zukunft in Battir. Denn sie haben das Gefühl, die Zerstörung unseres Landes stehe unmittelbar bevor. Ich weiß, wenn ich einmal tot bin und mein Kind tot ist, dann wird unser Land weder gepflegt noch kultiviert, und Israel wird es sich nehmen“, so eine ältere Frau aus Battir. Viele Familien erinnert diese Ungewissheit an frühere Erfahrungen von Verlust des Landes und ihrer Lebensgrundlage.

„Warum sollte ein Kind seine Zeit und seine Zukunft investieren, um zu lernen, wie man auf einem Feld arbeitet, das eines Tages gestohlen wird“, fragt eine weitere Frau. Angesichts der anhaltenden Proteste gegen die Justizreform, den steigenden Haus- und Lebensmittelpreisen und dem wachsenden Einfluss rechtspopulistischer Parteien befürchten EcoPeace und die Menschen in Battir, dass es in Zukunft zu weiteren Bauvorhaben und aggressiverem Vorgehen durch Siedler:innen kommen könnte. 

Artenvielfalt, die Fruchtbarkeit der Böden und der Umwelttourismus wären direkt betroffen

Das geplante Industriegebiet mit dem Namen English Forest Industrial Estate wurde 2018 vom ehemaligen ultra-orthodoxen Innenminister Aryeh Deri vorangetrieben. Er behauptete, es würde Arbeitsplätze für die in den Siedlungen lebenden Menschen schaffen. Die Einwohner:innen von Battir betrachten den Bau als eine Ausweitung der Siedlung und der Besatzung. Zumal die Industriezone auf wichtigen Regenwassereinzugsgebieten gebaut werden soll und damit unterirdische Grundwasserströme und Quellen bedroht. „Dieser Bau und die damit einhergehende Umweltzerstörung würde sich unweigerlich auf die Fruchtbarkeit und Qualität des Bodens und damit auch auf den Ackerbau auswirken“, so Abu Arra, Bildungsreferent im EcoPeace-Büro Ramallah. 

Die Terrassen sind für Bauern und Bäuerinnen die Haupteinnahmequelle, deren Zerstörung würde ihnen demnach die Lebensgrundlage entziehen. Auch der Umwelttourismus ist gefährdet, da die Industriezone die Bewegungsfreiheit der Palästinenser:innen weiter einschränken würde. Im Zuge der Erweiterung der Siedlung durch das Industriegebiet würden Straßen umgeleitet, zugepflastert oder durch Kontrollpunkte blockiert. „Dies wird einheimische Interessierte und internationale Tourist:innen von einem Besuch abhalten“, so Abu Arra.

Eines der Felder in den Terrassen von Battir. Foto: Autor des Artikels

Die Schulausflüge von EcoPeace, durch die circa eintausend Schüler:innen im Jahr nach Battir kommen, würden aufgrund von zunehmenden Sicherheitsbedenken der Familien weniger werden. Außerdem „wird die Industriezone den ökologischen Korridor, der die Tierwelt und die biologische Vielfalt in diesem Gebiet verbindet, beeinträchtigen“, so Lamis Qdemat, eine palästinensische Wasser- und Menschenrechtsexpertin. Eine derartige Verengung des ökologischen Korridors führt potentiell zu einem Verlust der genetischen Reproduktionsvielfalt, schließlich zum Aussterben mancher Spezies wie der Berggazelle, sowie zu einem allgemeinen Verlust von Artenvielfalt.

Anderen Dörfern droht das gleiche Schicksal

Der Fall Battir macht deutlich, dass die militärische Besetzung der palästinensischen Gebiete den Alltag erschwert und das gemeinsame Umwelt- und Kulturerbe gefährdet. Er verdeutlicht die unumgängliche Wechselbeziehung zwischen Umwelt- und Menschenrechten.

Gleichzeitig ist Battir nur ein Beispiel von vielen. Viele andere Dörfer und Ökosysteme in den besetzten palästinensischen Gebieten sind durch bestehende, expandierende und neue Siedlungen sowie durch den Ausbau der Mauer und Zaunanlagen bedroht. Dank der nationalen und internationalen Unterstützung und der Anerkennung Battirs als UNESCO-Welterbe konnte die Zerstörung vorerst gestoppt werden.

 

 

Artikel von Anonym
Redigiert von Claire DT, Vanessa Barisch