26.01.2025
Ein Krieg, den niemand versteht?
Ausschnitt des Covers der englischen Printauflage. „War on Gaza“ von Joe Sacco, Fantagraphics, 2024.
Ausschnitt des Covers der englischen Printauflage. „War on Gaza“ von Joe Sacco, Fantagraphics, 2024.

Demokratie, Dantes Hölle, Fake News, Freiheiten, Beihilfe, Steuern, Genozid, antikes Griechenland, Bomben, Käfig, Veni Vedi Vici. Was haben all diese Dinge gemeinsam? Sie sind Teil des neuen Graphic Novels „War on Gaza“ von Joe Sacco.

Joe Sacco, ein maltesisch-US-amerikanischer Journalist und Comiczeichner, hat eine neue Gattung erfunden: Comic-Journalismus. Sogar investigativen Comic-Journalismus. Seine Graphic Novels sind gezeichnete Reportagen, meistens aus Kriegsgebieten. Vor Ort lernt er Leute über seine lokalen Kontakte, oft Fixer:innen genannt, kennen. Er spricht mit ihnen, macht Bilder, nimmt Diskussion auf. Erst wenn er wieder zuhause ist, fängt er an zu zeichnen. Immer in schwarz-weiß. Seine Werke erinnern an herkömmliche Comics und Karikaturen wie Zeitungen sie veröffentlichen. So hat er angefangen, mit kleinen Beiträgen in verschiedensten Zeitungen. Viele der Bilder, der Personen sind eher Karikaturen, übertrieben, grotesk. Seine neueste Graphic Novel spielt im Gazastreifen. „War on Gaza“ (2024) gibt es noch nicht auf Deutsch, auf Englisch ist die Graphic Novel allerdings schon online verfügbar. 

Joe Sacco beschäftigt sich schon länger mit Palästina und den israelischen-palästinensischen Beziehungen. Zwischen 1993 und 1995 veröffentlichte er bei Fantagraphics neun Kapitel zu seinen Reisen in Israel und Palästina, die 2001 in einem einzigen Band „Palestine“ mit einem Vorwort Edward Saïd veröffentlicht wurden, 2004 folgte dann die deutsche Übersetzung. Im Jahr 2010 erschien „Footnotes in Gaza“, die deutsche Übersetzung „Gaza“ folgte 2011, zu den Geschehen in Israel und im Gazastreifen während der Suezkrise von 1956.

Joe Sacco studierte Journalismus. Schreiben funktionierte nach eigenen Angaben nicht so gut, also kam er zurück aufs Comiczeichnen, was er auch schon als Kind gemacht hatte. Er ist einer der wenigen Comic-Zeichner:innen, die noch alles per Hand zeichnen und auch selbst schreiben. Die neueren Comics und Graphic Novels werden meistens per Computer und mit Hilfe von Photoshop erstellt. Joe Saccos Comics fühlen sich dagegen wahrhafter an, man erkennt die Zeichnungsstriche, es ist angenehmer zu lesen. 

Neben seinen Graphic Novels zu Palästina schrieb und zeichnete er auch zum Bosnienkrieg: „Safe Area Goražde: The War in Eastern Bosnia 1992–1995“ (2000) und „The Fixer: A Story from Sarajevo“ (2003). 2020 wurde seine Graphic Novel „Paying the Land“ zum (kulturellen) Genozid an Indigenen in Kanada veröffentlicht. Für seine Graphic Novels erhielt er viele Preise und Stipendien. Unter anderem für „Palestine” den US-amerikanischen National Book Award 1996 in der Kategorie nonfiction und für „Footnotes in Gaza“ den Ridehour Book Prize 2010, ein Preis, der Whistleblower:innen und investigative Arbeit auszeichnet.

Ausschnitt aus „War on Gaza“ von Joe Sacco, Fantagraphics, 2024, S. 26.

War on Gaza“ ist ein satirisches Werk. In nur 32 Seiten macht Joe Sacco mit schwarzem Humor seine Opposition gegen Israels Genozid und der Beihilfe der US-Regierung unter Biden deutlich. Das Comic ist keine fließende Geschichte, es geht nicht um den Alltag des Krieges für Palästinenser:innen oder lange Entscheidungsprozesse der USA und Israels. Es sind einzelne sehr kurze Einheiten, manchmal nur eine Seite lang. Sie erzählen von Bombenlieferungen, die ganz Gaza zerstören; von Biden, der Fake News verbreitete; von Demokratie und deren Essenz Menschen auszugrenzen; von liberalen Rechtsordnungen, die gegen Freiheitsrechte wirken; von Joe Saccos Steuern, die die Bomben Richtung Gazastreifen mitfinanzieren; vom palästinensischen Widerstand, auf den die israelische Antwort Tötungen bis hin zu einem Genozid ist.

Ausschnitt aus „War on Gaza“ von Joe Sacco, Fantagraphics, 2024, S. 29.

War on Gaza“ ist, wie alle seine Comics zu Palästina, aus der ich-Perspektive geschrieben. Joe Sacco erzählt, Joe Sacco stellt Fragen, Joe Sacco beobachtet. Joe Sacco ist auch Teil des Comics, er kommt immer wieder vor, mit Anregungen oder einfach verzweifelt oder verständnislos, was die Leser:innen zum Nachdenken anregen soll. Warum dieser genozidale Trieb Israels? Warum senden die USA sowie Deutschland und Frankreich, Waffen nach Israel? Warum werden pro-palästinensische Meinungen unterdrückt? Warum scheint die Gesellschaft so machtlos? Antworten gibt Joe Sacco nicht, er verkörpert nur die Fragen und Gefühle einer Mehrheit.

War on Gaza“ liest sich in zehn Minuten, und dann noch einmal in 15, um sicherzugehen, dass man alles verstanden hat. Und vielleicht dauert es beim dritten Mal 30 Minuten, dann erst schaut man sich die Bilder richtig an. Dann erst versteht man den Zusammenhang zwischen den Karikaturen, die Staatsoberhäupter, die einen Genozid begehen oder unterstützen, darstellen, und dem Text. 

Ausschnitt aus „War on Gaza“ von Joe Sacco, Fantagraphics, 2024, S. 14.

War on Gaza“ erschien erst online bei The Comics Journal in einzelnen Kapiteln. Jede Woche ein neues, vom Januar bis Juli 2024. Anschließend kam es als Druckversion raus, erst die französische Übersetzung im Juli 2024 bei Futuropolis, anschließend die Originalversion im Dezember 2024 bei Fantagraphics.

Joe Sacco: War on Gaza, Fantagraphics, Seattle 2024, 32 Seiten, US $13.

Claire studierte in Berlin, Paris, Montréal und Tel Aviv Sozialwissenschaften mit einem Schwerpunkt in Rechtswissenschaften. Sie recherchierte und arbeitete viel zu Grundrechten in Demokratien und dem israelisch-palästinensischen Konflikt. 
Redigiert von Henriette Raddatz, Vanessa Barisch