Im palästinensischen Battir, südlich von Jerusalem, droht die israelische Sperranlage Familien von ihren Feldern abzuschneiden und eine Jahrtausende alte Kulturlandschaft zu zerstören. Dorfbewohner und Umweltschützer klagen. Inzwischen besteht die Hoffnung auf eine „alternative Lösung“. Allerdings verdrängen die Argumente für den Umweltschutz die Rechte der Betroffenen. Im Dorf befürchten manche eine „grüne Normalisierung“.
Battir ist paradiesisch grün: auf mehrere tausend Jahre alten Terrassen bauen die Dorfbewohner hier an steilen Berghängen Gemüse an. Im Tal winden sich Eisenbahnschienen, die Jerusalem mit der Küste verbinden. Die Strecke wurde schon in osmanischer Zeit angelegt. Auch heute noch verkehren hier einige Züge täglich, doch in Battir halten sie nicht mehr.
Das malerische Dorf birgt umstrittene politische Grenzlinien. Quer durch die Ländereien Battirs verläuft die sogenannte Grüne Linie, festgelegt zum Waffenstillstand von 1949 und angedacht als Grenze eines zukünftigen Staates Palästina. Noch ist diese Trennlinie kaum sichtbar. Aufgrund einer Klausel im 1949er Waffenstillstandsabkommen, ausgehandelt mit Moshe Dayan persönlich, können die Bauern bis heute ihre Felder auch auf israelischer Seite der Grenze bestellen. Im Gegenzug für die Sonderregelung verpflichteten sich die Dorfbewohner, den sicheren Zugverkehr auf Israels Bahnlinie zu gewährleisten. Bis heute wurde die Abmachung nicht gebrochen. Das Idyll aber soll bald ein Ende haben: Pläne des Verteidigungsministeriums sehen vor, die Sperranlage um das Westjordanland mitten durch Battirs berühmte Kulturlandschaft zu bauen. Dorfbewohner und Umweltschützer klagen vor Gericht.
Internationale Medien beklagen die Zerstörung des „Paradieses"
Seit 2004 Pläne für die Sperranlage öffentlich wurden, wurde Battir besondere Aufmerksamkeit zuteil. Politische Institutionen in Palästina und Israel beschäftigten sich seitdem mit dem Fall und die Kulturorganisation der Vereinten Nationen (UNESCO) berät darüber, Battir zum Welterbe zu erklären.
Internationale Medien berichteten ausführlich über die drohende Zerstörung durch die Sperranlage. Prestigeträchtige Blätter wie der britische Guardian und die New York Times beklagten, die Mauer bedrohe „Battirs antike Terrassen“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung feierte gar das „Palästinenserdorf Battir“ für seinen „Widerstand durch Denkmalschutz“. Doch in der umfassenden Berichterstattung über die Bedrohung der „paradiesischen“ Landschaft sind die Menschen vor Ort in den Hintergrund gerückt. Die Auseinandersetzung mit der Sperranlage an sich – immerhin vom Internationalen Gerichtshof für völkerrechtswidrig erklärt – findet kaum Erwähnung.
Fragen zu Umwelt, Kulturerbe, Lebensunterhalt, Freiheit – Battirs Widerstand siedelt sich irgendwo dazwischen an. In vielerlei Hinsicht spiegelt der Fall damit sowohl Kreativität als auch Fragmentierung des palästinensischen Widerstands gegen die Mauer wider. Eine Reihe von sehr aktiven Initiativen haben sich auf lokaler Ebene gebildet, die Art und Weise ihrer Argumentation und Aktionen aber unterscheidet sich stark von Ort zu Ort. Eine ganze Bandbreite an Formen der Opposition hat sich so entwickelt und reicht von friedlichen wöchentlichen Demonstrationen bis hin zu alltäglicher Unterwanderung der Besatzungsvorschriften. Die große Schwäche und gleichzeitig Stärke der Initiativen ist ihre örtlich begrenzte Basis. Eine Vernetzung der Dorfkomitees miteinander findet erst seit einigen Monaten und in begrenztem Ausmaß statt.
Widerstand in Palästina kann damit sowohl als Auseinandersetzung mit der Besatzung als auch als innerpalästinensische Auseinandersetzung verstanden werden. Wie die Problematik von unterschiedlichen AkteurInnen dargestellt wird und welche Ziele man sich setzt, ist ständig in Aushandlung begriffen.
Israels Naturschutzbehörde hat sich vor Gericht gegen die übliche Sperranlage ausgesprochen
Im Fall Battirs haben Gegner der Sperranlage eine besondere Koalition gebildet: Umweltorganisationen und Anwohner klagen gemeinsam gegen die Sperranlage. Sogar die israelische Behörde für Naturschutz sprach sich inzwischen gegen die geplante Mauer aus. Ihre Anliegen aber überschneiden sich nur teilweise. Während Umweltschützer den Erhalt der Kulturlandschaft betonen, geht es den Anwohnern auch um ihren Lebensunterhalt und ihre Bewegungsfreiheit. Vor Gericht stellen sie sich jedoch Seite an Seite gegen die Barriere.
Seit 2004 sind bei der Dorfverwaltung verschiedene Verfügungen des israelischen Militärs eingegangen, die Land für den Bau der Sperranlage konfiszieren. Bewohner des Dorfes legten daraufhin vor israelischen Gerichten Widerspruch gegen den geplanten Mauerbau ein. Die Anlage, so ihre Beschwerde, würde sie von ihren Feldern abschneiden und die Kulturlandschaft mitsamt des Jahrhunderte alten Bewässerungssystems zerstören.
2012 dann sprang ihnen auf Bitte des Dorfrates die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth Middle East (FoEME) bei, die schon länger in der Gegend aktiv ist. In ihrer Klage betonten die Umweltschützer, dass Landschaftsschutz in Battir auch in Israels Interesse sei. Das gab der Klage der Dorfgemeinschaft neues Gewicht.
Die Klage von FoEME zwang die israelische Naturschutzbehörde, offiziell zu dem Fall Stellung zu nehmen. Zur Überraschung Vieler sprach sich die staatliche Stelle gegen den Bau der Mauer in Battir aus. Die Sicherheitslage habe sich seit der Planung der Sperranlage 2005 deutlich verbessert, so die Begründung, und damit sei es nun von öffentlichem Interesse „diese besondere und wertvolle Gegend zu schützen“ und „Alternativen“ zur Mauer in Betracht zu ziehen.
Zaun statt Mauer, schlägt das Verteidigungsministerium vor
Am 1. Mai fanden sich die Parteien zur zweiten Runde der Anhörungen vor dem Obersten Gerichtshof zusammen. Das Verteidigungsministerium schlug hier vor, statt einer Mauer einen elektronisch gesicherten Zaun mit Sicherheitsschleuse für die Bauern zu errichten. Anwohner und Umweltschützer aber weisen diesen Vorschlag zurück. Auch der Zaun mache den Zugang zu den Feldern abhängig von der Willkür der Soldaten am Checkpoint, so die Landwirte; auch Draht und Patrouillenstraßen zerstörten die Landschaft, ergänzten die Naturschützer.
Dabei haben Umweltschutzorganisation in Palästina eine schwierige Rolle. FoEME ist eine grenzübergreifende Organisation mit Büros in Israel, Jordanien und den besetzten Gebieten. Gegründet in den hoffnungsvollen Jahren der Oslo-Abkommen, setzte sie sich zum Ziel, über Themen wie die gemeinsame Wassernutzung sowohl die Ressourcenverteilung zu klären, als auch den grenzübergreifenden Dialog zu fördern. Inzwischen beschuldigen kritische Intellektuelle in Palästina sie der „Normalisierung“, ein abwertender Begriff für Initiativen aller Art, die palästinensische Themen mit Israel verbinden, ohne sich explizit den Kampf gegen die Besatzung auf die Fahnen zu schreiben.
Für die Menschen in Battir ist das mehr als ein kritisches Label. Die Bewohner diskutieren vehement, wie sie die Zusammenarbeit mit den Umweltschützern gestalten sollen.
In den Hügeln der Westbank sind die Konfliktparteien nicht ebenbürtig
„Wir dürfen nicht vergessen, dass wir es in Palästina nicht mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun haben“, sagt Hassan Muamer, Leiter des Landschafts- und Ökomuseums in Battir. Seine Initiative setzt sich aktiv für den Schutz und die auch zukünftig nachhaltige Nutzung der Kulturlandschaft Battirs ein. Mit Förderung der UNESCO hat sein Team detaillierte Karten der Gegend erstellt und Wanderwege renoviert, die nun lokalen und internationalen Touristen offenstehen. „Wenn FoEME uns vorschlägt, israelische Wandergruppen hierher zu bringen, um Aufmerksamkeit zu schaffen, kann ich dem unmöglich zustimmen. Wie soll das gehen, wo ich doch genau weiß, dass Palästinenser die andere Seite des Tals nicht betreten dürfen?“
Trotz allem entschied man sich dafür, die israelischen Umweltschützer im Widerstand gegen die Sperranlage zu involvieren. Diese Wahl scheint zu dem Dorf zu passen, das sich nicht vor Kompromissen scheute, um die Dorfgemeinschaft zu erhalten. „Seit der ersten Intifada hat es hier keine Proteste mehr gegeben“, berichtet Muamer, „wir haben uns für Landwirtschaft als Widerstand entschieden.“
Alle Arbeiten in den Terrassen aber unternehmen sie hier mit großer Vorsicht. „Wir können bestehende Strukturen ausbessern, aber wir sehen davon ab, Neues zu errichten. Warum einen Abriss riskieren?“ Rund drei Viertel des palästinensischen Grund und Bodens hier gelten als C-Gebiet und stehen damit unter israelischer Kontrolle. Die übrigen Teile des Dorfes sind B-Gebiet, hier ist die Palästinensische Autonomiebehörde zuständig für die zivile Verwaltung. Um in C-Gebieten legal zu bauen, bedarf es der Genehmigung der israelischen Militärverwaltung, illegal errichtete Gebäude bekommen regelmäßig Abrissbefehle. Das im April zerstörte Makhrour Restaurant, keine fünf Kilometer entfernt von Battir, bewies einmal mehr, mit welcher Konsequenz solche Befehle umgesetzt werden.
Die Grenzlinie wird Tag und Nacht kameraüberwacht
Der Abriss des Makhrour, vermuten Beobachter, sei ein Zeichen dafür, dass der Bau der Sperranlage im Süden Jerusalems nun in die heiße Phase gehe. In der Gegend klafft eine der letzten Lücken in der Sperranlage rund um die Westbank. Ende April stimmten Richter dem kontroversen Verlauf der Anlage um das katholische Kloster Cremisan im Nachbartal zu. Im angrenzenden Dorf Al-Walaja sind die Bauarbeiten in vollem Gange. Gleichzeitig wachsen die Siedlungen in der Hügellandschaft rapide.
Obwohl Battir bislang vom Bau der Sperranlage verschont geblieben ist, wird die Grenze hier nicht weniger strikt kontrolliert: Auf einer Bergkuppe hat das israelische Militär eine Überwachungskamera installiert, die – so bestätigten Patrouille-Soldaten den Anwohnern – das Gebiet rund um die Uhr überwacht. „Sobald jemand die unsichtbare Grenze übertritt, kommen Kontrolleure der Grenzpolizei“, beschreibt es der Bürgermeister Battirs, Akram Bader. Sollten die Umweltschützer das Gericht davon überzeugen können, die physische Barriere abzulehnen, ist noch strengere Überwachung die wahrscheinlichste Alternativlösung. Von Freiheitsrechten spricht niemand mehr.
Eine englischsprachige Fassung des Artikels mit ähnlichem Inhalt erschien Anfang Mai auf der Webseite des Alternative Information Centers.