Immer weniger jüdische Israelis sprechen Arabisch, obwohl viele von ihnen arabische Wurzeln haben. Viele jüdische Israelis drängen nach wie vor auf eine Einsprachigkeit des Staates, auch deshalb, weil sie Arabisch, die Sprache der größten sprachlichen Minderheit, als eine Sprache ihrer Feinde betrachten. Wie aber konnte aus der Muttersprache vieler Jüdinnen*Juden aus arabischen Staaten eine „Sprache der Feinde“ werden?
Am 19. Juli 2018 verabschiedete die Knesset ein Gesetz, das Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes definiert. Das Gesetz (englische Fassung) schreibt Hebräisch als alleinige Amtssprache Israels fest – Arabisch wird nun lediglich ein „Sonderstatus“ zugewiesen. Während der britischen Mandatsherrschaft waren Arabisch, Hebräisch und Englisch die drei Amtssprachen, wobei allein das Englische bindend war. Im neugegründeten Staat Israel wurden Arabisch und Hebräisch als offizielle Sprachen anerkannt, jedoch war nur die hebräische Fassung eines Gesetzes rechtsgültig. Seit der Staatsgründung ist Hebräisch die dominierende Sprache in nahezu allen Lebensbereichen.
Das neue Nationalstaatsgesetz ist also lediglich die juristische Zementierung der ohnehin schon vorherrschenden Marginalisierung des Arabischen. Sie ist Ausdruck der unter jüdischen Israelis verbreiteten Wahrnehmung des Arabischen als eine den Jüdinnen und Juden fremde Sprache. Für die Mehrheit der Israelis ist Arabisch ein Werkzeug der Kontrolle, Verwaltung und militärischen Aufklärung.
Flucht oder Übersiedelung – Umkämpfte Deutung der Einwanderung arabischer Juden nach Israel
Diese Betrachtung leugnet jedoch historische Tatsachen und ist Ausdruck eines in weiten Teilen konstruierten jüdisch-arabischen Gegensatzes. Kurz vor der Gründung des Staates Israel lebten zwischen 700.000 und 850.000 Jüdinnen*Juden in der WANA-Region, die meisten davon in arabischen Staaten. Zwar waren sie in der islamischen Welt durch ihren Status als dhimmi zumeist Bürger*innen zweiter Klasse. Doch ihre Rechte waren als Angehörige einer der Buchreligionen im Islam klar festgeschrieben – und damit stärker geschützt als im christlichen Europa. Antisemitische Pogrome, wie sie in Mittel- und Osteuropa vorkamen, waren in der arabischen Welt bis in die Moderne eine seltene Erscheinung.[1]
Der Konflikt um das ab 1920 britische Mandatsgebiet Palästina und die damit verbundenen Entwicklungen in der WANA-Region führten zum beinahe völligen Verschwinden jüdischen Lebens außerhalb Israels. Die Migration arabischer Jüdinnen*Juden nach Israel, die schon vor 1948 begann, intensivierte sich in den Jahren nach der israelischen Staatsgründung.
Zwischen 1948 und 1989 gab es sogar eine Mehrheit von Jüdinnen*Juden „afro-asiatischer“ (etwa irakischer oder jemenitischer) Herkunft, im Vergleich zu Jüdinnen*Juden „euro-amerikanischer Herkunft“ und jenen, die in Israel geboren waren.
Der in Mittel- und Osteuropa entstandene Zionismus setzte ebenso wie der arabische Nationalismus auf die identitätsstiftende Funktion von Sprache. Beide Bewegungen propagierten das Bild einer einzigen jüdischen beziehungsweise arabischen Nation. Der „arabische Jude“ war ein Grenzgänger, der in keine der in weiten Teilen exklusiven Bewegungen passte.
In Palästina, wo beide Bewegungen besonders deutlich kollidierten, mussten sich viele arabische Jüdinnen*Juden zum ersten Mal in ihrer Geschichte zwischen Jüdisch- und Arabisch-Sein entscheiden.[2]
Eine tragische Rolle spielten hierbei die Unfähigkeit oder auch die Unwilligkeit vieler arabischer Führungsfiguren, klar zwischen Zionist*innen einerseits und Jüdinnen*Juden andererseits zu unterscheiden.
Schließlich gab es auch arabische beziehungsweise palästinensische Jüdinnen*Juden, die die zionistische Ideologie genauso entschieden ablehnten, wie ihre nicht-jüdischen Nachbar*innen. Der politische Zionismus, der in Mittel- und Osteuropa entstand, war wie ein Großteil der europäischen Gesellschaften ebenfalls nicht frei von rassistischen und kolonialen Denkmustern.
Viele zionistische Denker*innen, die zum Großteil Aschkenasim waren (also aus Mittel und Osteuropa stammten), betrachteten die Menschen in der WANA-Region inklusive der dortigen jüdischen Gemeinden als rückständig und ihnen unterlegen. Die Namen der Operationen, durch die Jüdinnen*Juden aus dem Irak (1950/51) und aus dem Jemen (1949/50) nach Israel gebracht wurden, lauteten Operation „Ali Baba“ und „Fliegender Teppich“ – und standen damit exemplarisch für die vorherrschenden orientalistischen Stereotypen.[3]
Der neugegründete jüdische Staat verlangte gleichzeitig jedoch aufgrund der von ihm propagierten „jüdischen Arbeit“ jüdische Arbeitskräfte. Viele Zionist*innen aus Europa nämlich sprachen den „orientalischen“ Jüdinnen*Juden eine höhere Tauglichkeit für die Landwirtschaft zu, da diese durch ihren „orientalischen“ Lebensstil die damit verbundenen Entbehrungen gewöhnt seien.
Arabischkenntnisse – gesucht im Militär, abgelehnt in der Gesellschaft?
Das moderne innerisraelische Verhältnis zwischen dem Hebräischen und dem Arabischen lässt sich nicht vom israelisch-palästinensischen Konflikt trennen.
Da das Arabische für die israelische Mehrheitsgesellschaft unweigerlich mit den Feinden Israels verknüpft ist, ist es entsprechend marginalisiert. Doch nicht nur die Sprache der arabischen Jüdinnen*Juden stieß auf die Ablehnung der durch Aschkenasim geprägten Mehrheitsgesellschaft: Sie beteten „anders“, sprachen Hebräisch (wenn überhaupt) mit einem anderen Akzent, sahen anders aus, kleideten sich anders und auch ihre sonstigen Gewohnheiten unterschieden sich erkennbar von dem der europäischen – als „normal“ geltenden– Jüdinnen*Juden.
Jüdische Israelis, die aus arabischen Ländern emigrierten, werden oft als Mizrahim[4] bezeichnet und lernten früh, dass das Hebräische die Sprache ihrer neuen Heimat sein würde. Die Nachkommen dieser arabischen Jüdinnen*Juden sprechen nur noch selten Arabisch.
In der ersten Generation, die in den 70- und 80ern in Israel aufwuchsen, sprechen laut einer repräsentativen Studie, die 2015 auf einer Konferenz der Tel Aviv Universität vorgestellt wurde, noch ca. 25 Prozent fließend Arabisch, in der zweiten Generation fällt dieser Wert bereits auf 14 und in der dritten auf 1,3 Prozent.[5]
Die Studie zeigt auch, dass sich die Haltung zur arabischen Sprache von einem überwiegend positiven Bild in der ersten Generation von Eingewanderten aus arabischen Staaten zu einem überwiegend negativen Bild in der zweiten und dritten Generation gewandelt hat.
Die Tel Aviver Studie untersuchte auch die Arabischkenntnisse unter israelischen Jüdinnen*Juden im Allgemeinen, also unabhängig von ihrer Herkunft. Dabei gaben weniger als 10 Prozent aller jüdischen Israelis an, Arabisch gut sprechen oder verstehen zu können. Nur 1 Prozent der Befragten gaben an, ein arabisches Buch lesen zu können.
Zwar halten 60 Prozent der Befragten Arabischkenntnisse für das Leben in Israel relevant und finden, es sollte in Schulen unterrichtet werden. Dennoch entwickelt sich Arabisch im jüdischen Israel zunehmend zu einer toten Sprache. Allon Uhlmann, Dozent an der Macquarie University in Sydney, verwendet in seinem Buch „Arabic Instruction in Israel“ hierfür auch den Begriff der „Latinisierung des Arabischen“.[6]
Arabisch als sicherheitspolitisches Interessenfeld Israels
Trotz dieser Entwicklung gibt es in Israel zwei Bereiche, in denen das Arabische eine zentrale Rolle einnimmt: die Verwaltung der besetzten Gebiete sowie die militärische Aufklärung. In beiden Bereichen ist der israelische Staat auf eine ausreichende Zahl ihm loyal erscheinender, sprich vor allem jüdischer, Bürger*innen angewiesen, die Arabisch beherrschen.
Yonatan Mendel beschreibt in seinem Buch „The Creation of Israeli Arabic“ die enge Verbindung zwischen Bildungssektor und Sicherheitsapparat in Israel, die die Wahrnehmung des Arabischen in der israelischen Gesellschaft entscheidend prägte und weiterhin prägt.
Mendel beschreibt, wie das Studium des Arabischen zunehmend und insbesondere nach der Revolte in Palästina 1936 bis 1939 von Sicherheitsinteressen geprägt wurde. Damals kam es zum bis dato entschiedensten Widerstand von Teilen der palästinensisch-arabischen Bevölkerung, der sich gegen die durch die Briten nur unzureichend regulierte Einwanderung von insbesondere europäischen Jüdinnen*Juden richtete.
Das Studium des Arabischen, in Unterricht und Forschung, wurde in den 1930er Jahren noch überwiegend friedlich begründet und lag im Verantwortungsbereich des Erziehungsdepartments der Jewish Agency, der Organisation, die die Juden im Mandatsgebiet gegenüber der britischen Mandatsverwaltung vertrat. In den 1940er Jahren wurde die arabische Sprache zunehmend als Teil der Sicherheitspolitik wahrgenommen und Personal mit arabischen Sprachkenntnissen als kritische „Ressource“ für Militär und Nachrichtendienst erkannt.[7]
In Mendels Augen wurde das Arabische von der zionistischen Bewegung instrumentalisiert, um „den Einfluss über Palästina auszudehnen“. Im Rahmen dessen waren Arabischkenntnisse beispielsweise für die Informationsgewinnung unabdingbar. Er bezeichnet diese Entwicklung auch als Versicherheitlichung des Arabischen, den Wechsel von „der Sprache des Nachbarn zur Sprache des Feindes“.
Diese Umdeutung verstärkte sich laut Mendel vor allem nach dem Trauma des beinahe verlorenen Jom-Kippur-Krieges 1973 und dem – paradoxerweise – damit einhergehenden verstärkten Einfluss des israelischen Militärs auf den Arabischunterricht in Israel. Trotz aller öffentlichen Debatten über Frieden und Zusammenleben war das Arabische, welches in Israel unterrichtet wurde, primär an Sicherheitsinteressen ausgerichtet.[8]
Mendel vergleicht die Situation mit dem Studium des Englischen in der UdSSR bzw. des Russischen in den USA zur Zeit des Kalten Krieges. Das Arabische, das an jüdisch-israelischen Institutionen gelehrt wird, bezeichnet er als „Israeli Arabic“.
Die militärische und sicherheitspolitische Kontextualisierung der Sprache verursache bei jüdischen Sprecher*innen Angst vor Arabisch sprechenden Menschen. Gleichzeitig führe es dazu, dass nicht-jüdische Araber*innen sich vor Jüdinnen*Juden fürchteten, die „Israeli Arabic“ sprächen, da diese automatisch mit dem Militär- und Sicherheitsapparat des Staates assoziiert würden.
Arabisch als Brücke zur eigenen Kultur der Anderen
Ella Shohat, Professorin an der New York University, stammt selbst aus einer jüdisch-irakischen Familie und beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen Zionismus und Judentum in der WANA-Region sowie der Stellung arabischer Jüdinnen*Juden innerhalb der israelischen Gesellschaft.
So beschreibt sie unter anderem, wie es für jüdische Migrant*innen aus arabischen Ländern für die Anerkennung der israelischen Mehrheitsgesellschaft oft nicht ausreichte, nur Hebräisch zu sprechen. Viele eigneten sich daher entweder einen Aschkenasi-Akzent an, um Diskriminierung zu entgehen, oder lernten die „richtige Aussprache in religiösen Aschkenasi-Schulen.“
Die israelische Mehrheitsgesellschaft habe dabei fleißig mitgeholfen: So wurden die Namen der Einwander*innen teilweise von den kulturellen Prägungen ihrer persischen, arabischen und türkischen Umgebung „bereinigt“, indem die israelische Bürokratie ihnen bei der Einwanderung einfach neue gab.[9]
Am 31. März 2007 wurde durch ein Gesetz der Knesset die „Akademie der arabischen Sprache“ in Israel gegründet. Es ist abzuwarten, inwiefern diese Institution unter den nun erschwerten Umständen dazu beitragen kann, aus der „Sprache der Feinde“ wieder eine „Sprache der Nachbarn“ zu machen. Denn die Ent-„Securitisation“, die Loslösung des jüdisch-israelischen Arabisch aus seinem sicherheitspolitischen Kontext, hängt schlussendlich nicht von Gesetzen, sondern dem Verhältnis der jüdisch-israelischen Mehrheitsgesellschaft zu ihren arabisch-palästinensischen Nachbar*innen ab.
Egal ob diese inner- oder außerhalb Israels leben, kann sich dieses Verhältnis nur ändern, wenn Begegnungen nicht mehr in einem rein sicherheitspolitischen Kontext, sprich an Checkpoints und Gefängnissen stattfinden. Es ist wichtig, dass die jüdisch-israelische Gesellschaft Arabisch als eine lebendige Sprache der Interaktion begreift, die sowohl die Kommunikation mit ihren arabischen Nachbar*innen, als auch den Zugang zum eigenen jüdisch-arabischen Erbe möglich macht.
Michel Braun studiert Arabistik und Wirtschaft an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Sein Interesse gilt dem Israel-Palästina-Konflikt und dem modernen Verhältnis von Politik und Islam.
[1] Cohen, Mark R: https://www.jpost.com/Opinion/Op-Ed-Contributors/The-new-Muslim-anti-Sem...
[2] Shohat, Ella: The Invention of the Mizrahim. In: Journal of Palestine Studies 29 H. 1 (1999), S. 11.
[3] Shohat, Ella: The Invention of the Mizrahim. In: Journal of Palestine Studies 29 H. 1 (1999).
[4] Mizrahim bedeutet wörtlich «die, die aus dem Osten kommen» und beinhaltet auch Juden aus nichtarabischen Regionen wie z.B. der Türkei oder dem Iran.
[5] Shenhav, Yehouda and Others: Command of Arabic among Israeli Jews. Van Leer Institute Press (2015).
[6] Uhlmann, Allon: Arabic Instruction in Israel. Lessons in Conflict, Cognition and Failure. Boston (2017), S. 49.
[7] Mendel, Yonatan: The Creation of Israeli Arabic. Security and Politics in Arabic Studies in Israel. Basingstoke (2014), S. 34.
[8] Mendel (2014), S.125.
[9] Shohat, Ella: Sephardim in Israel. Zionism from the Standpoint of Its Jewish Victims. In: Social Text (1988), S.24.