12.05.2023
Iranische Diaspora: Teil des Problems oder der Lösung?
Das Engagement der iranischen Diaspora hat der Gesellschaft in Iran ein Gefühl von Einheit und Hoffnung gegeben. Grafik: Zaide Kutay
Das Engagement der iranischen Diaspora hat der Gesellschaft in Iran ein Gefühl von Einheit und Hoffnung gegeben. Grafik: Zaide Kutay

Die Massenproteste seit dem vergangenen September in Iran wirkten und wirken weiterhin über die Grenzen hinaus, vor allem auf die iranische Diaspora-Community. Doch die Diaspora überschätzt ihre Bedeutung.

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne des:orientierungen, die jeden zweiten Freitag erscheint.

Seit dem vergangenen September wird in Iran protestiert. Die Proteste begannen durch den Tod einer 22-jährigen Kurdin in Polizeigewahrsam in Teheran. Sie war aufgrund ihres angeblich nicht ausreichenden Hijabs festgenommen worden. Da das Land im Vorfeld durch den Widerstand von Frauen gegen die allgemeine Hijab-Pflicht angespannt war, führte der Tod von Jina Mahsa Amini zu der größten Protestwelle seit der Etablierung der Islamischen Republik. Gleich mit dem Ausbruch der Proteste wurden politische Persönlichkeiten und Gruppen im Ausland aktiver. Ältere Akteur:innen der iranischen Exil-Szene, die mit der Zeit an Bedeutung verloren hatten, versuchten, wieder eine wichtige Rolle in der „Opposition“ zu spielen. Etwa haben die Monarchist:innen rund um den Sohn des Schahs angefangen, sich zu organisieren.  Zudem entstanden Dutzende, wenn nicht Hunderte, neue Gruppierungen und Kollektive iranischer Migrant:innen rund um den Globus, die sich bis dahin, sei es bewusst oder unbewusst, von politischen Entwicklungen in Iran ferngehalten hatten. Die Zusammenarbeit zwischen diesen älteren, „professionellen“ Politiker:innen und den jüngeren, die neu in der Szene sind und keinen großen politischen Hintergrund haben, wurde – und wird – von unvermeidlichen Konflikten und Schwierigkeiten begleitet. Nichtsdestotrotz wurde diese „Einigkeit“ im Ausland, diese aktive Solidarität von Auslandsiraner:innen mit ihren „Landsleuten“, positiv wahrgenommen. Das konnte man auch an den Reaktionen auf die große Demonstration in Berlin am 22. Oktober sehen.   

Von verräterischen Ausgewanderten zu engagierten Unterstützer:innen

 Zur Propaganda der Islamischen Republik gehört seit Jahrzehnten: Die Iraner:innen, die das Land verließen, seien nichts anders als „Verräter:innen“. Die, die ins Exil müssten, seien ja ohnehin „Verbrecher:innen“, die geflohen seien, um einer Strafe zu entkommen. Aber auch diejenigen, die freiwillig auswandern, sei es fürs Studium oder zum Arbeiten, auch ihnen sei ihr „Heimatland“ nicht wichtig. Sie hätten keine Bindung mit ihrem Land und ihren Landsleuten, heißt es in Medien des Gottesstaates immer wieder. Auch in der offiziell erlaubten Popkultur des Landes wird den Auslandsiraner:innen immer wieder ein vermeintlich verräterisches Verhalten verübelt.

Innerhalb der ersten Monate der landesweiten Proteste wurde diese Propaganda durch das immense Engagement von ausgewanderten Iraner:innen zunichte gemacht. Ein Höhepunkt war durchaus die überraschend große Demonstration in Berlin am 22. Oktober, an der laut Polizei 80.000 Menschen teilgenommen haben.

Außerdem haben infolge der Geschlossenheit der Protestierenden auf den iranischen Straßen oppositionelle Figuren im Exil, die einander jahrelang aus dem Weg gegangen sind oder gar in verschiedene Streitigkeiten verwickelt waren, an einem Tisch gesessen, „um die Proteste im Land zu unterstützen“ – zumindest laut offiziellen Angaben.

 Weitere individuelle und kollektive Aktionen durch emigrierte Iraner:innen in den USA und in Europa haben der iranischen Gesellschaft im Inland – vielleicht nur für einen kurzen Moment – das Gefühl gegeben: Ihre im Ausland lebenden Mitbürger:innen hätten doch nicht nur sich selbst gerettet (durch ihr Auswandern), sondern ihnen seien weiterhin Iran und seine Entwicklung wichtig. Sie würden sich dafür engagieren.    

Die überschätzte Bedeutung der iranischen Diaspora

 Es ist nicht zu bestreiten, dass die iranische Diaspora-Community keine unwichtige Rolle bei der Unterstützung der Proteste in Iran gespielt hat. Vor allem mit Blick auf die Medienlandschaft ist deutlich zu sehen, dass ohne Exil-Medien, ohne Engagement der im Exil lebenden Journalist:innen und auch Bürgerjournalist:innen in sozialen Medien, keine Berichterstattung über die Entwicklungen und auch über die Ermordeten und Inhaftierten zustande gekommen wäre. Hätten sich iranische Informatiker:innen und IT-Expert:innen im Ausland nicht für die Entwicklung von VPNs und anderen Tools zum Umgehen der Internet-Einschränkungen eingesetzt, hätten die Protestierenden in dem Land ein wichtiges Mittel, mit dem sie sich organisieren und gegenseitig informieren, verloren. Dass in den letzten Monaten die internationale Gemeinschaft und die Zivilgesellschaft mehrerer Länder immer wieder das Verhalten der Islamischen Republik verurteilt und sie sogar unter Druck gesetzt haben, liegt zum Teil auch an den Anstrengungen der iranisch-migrantischen Community der jeweiligen Länder.

Das Problem fängt jedoch da an, wo die Rolle und der Einfluss „vom Ausland“ größer dargestellt werden als sie tatsächlich sind. Dass das Ausland, beziehungsweise die iranische Diaspora, erst dann wirklich aktiv wird, wenn innerhalb des Irans gegen das System protestiert wird, legt nahe, dass die eigentliche Veränderung letztendlich nur aus Iran und durch vor Ort lebende Akteur:innen, die ihr Leben für diesen Kampf riskieren, passiert.

Mehrere Gründe könnten die überschätzte Bedeutung der ausgewanderten Iraner:innen erklären. Politische Aktivist:innen tragen bewusst zu dieser Übertreibung bei. Es ist nur natürlich, dass diese sich und ihren Einfluss größer inszenieren als er wirklich ist. Nur so können sie dem Wunsch nachgehen, auch im zukünftigen Iran eine tragende Rolle zu spielen. Aber auch die psychischen Aspekte sind nicht zu übergehen: Die ausgewanderten Iraner:innen sind empfänglich für die Vorstellung, ohne sie ginge es nicht. Sie wollen weiterhin ein Teil ihres Landes sein und zu seinen Entwicklungen beitragen. Unter diesen Bedingungen waren Ende des vergangenen Jahres die Schreie nach „Einheit in der Opposition“ so laut, dass die vermeintliche Einheit zum Hauptthema in Medien und politischen Foren sogar wichtiger als tausende inhaftierte Protestler:innen wurde. Alle sollten ihre politischen Differenzen beiseitelegen und sich zusammenschließen, hieß es. Daraus entstanden tatsächlich einige Gruppen, die wichtigste: die Alliance for Democracy and Freedom in Iran. Daran war unter anderem Reza Pahlavi, Sohn des letzten Schahs, beteiligt. Auch Hamed Esmailion, damals noch Sprecher der Vereinigung der Familienangehörigen der Opfer des Fluges PS752, hat sich angeschlossen. Esmailion ist seit 2020 einer der wichtigsten Akteur:innen in der iranischen Opposition. Die mittlerweile weltberühmte Frauenrechtsaktivistin Masih Alinejad und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi waren ebenfalls Mitglieder dieser Allianz.

Niederschmetternde Lehre

Mittlerweile ist es zu einem sich wiederholenden Muster geworden: Sobald – vor allem durch gewaltige Unterdrückung – die Straßen Irans wieder ruhig werden und Massenproteste nicht mehr möglich sind, fallen auch die sich im Ausland zusammengeschlossenen Gruppen und Persönlichkeiten auseinander und fangen an, sich gegenseitig anzufechten. Die Alliance for Democracy and Freedom in Iran durfte kein anderes Schicksal erleben: In den letzten Wochen haben sich die genannten Figuren eine nach der anderen aus der „Allianz“ zurückgezogen. Als erstes kündigte der Sohn des letzten Schahs an, dass er nicht mehr mitmachen würde. Dann war Hamed Esmailion dran, die vielleicht beliebteste Figur unter denen, die sich keine Rückkehr zur Monarchie vorstellen können und gar nicht wollen.

 Die Entstehung dieser Allianz hatte große Hoffnungen in der Gesellschaft geweckt: Endlich würden die Spitzenfiguren der Opposition, auch wenn sie sich über viele politische Fragen nicht einig sind, zusammenarbeiten, hieß es immer wieder. Durch den Zerfall dieses Bündnisses wird ein Gefühl des Zweifels und der Hoffnungslosigkeit verstärkt, das kurzfristig schmerzhaft sein kann für diejenigen, die ihre Hoffnung auf solche Allianzen im Ausland gesetzt hatten.

 Aus diesen Entwicklungen könnten jedoch die iranische Gesellschaft und die iranische Demokratiebewegung eine Lehre ziehen: Eine Allianz, an der Menschen und Gruppen mit total unterschiedlichen politischen Einstellungen beteiligt sind, kann nicht funktionieren. Das gemeinsame Ziel, die Islamische Republik zu stürzen, ist keine ausreichende Basis für politische Zusammenarbeit, oder mindestens für eine sinnvolle, nachhaltige politische Zusammenarbeit. Ein politisches Bündnis von politisch unterschiedlichen Persönlichkeiten und Parteien ist in der Tat ein unpolitisches Bündnis, das zu wirklichen politischen Entwicklungen nicht beitragen kann. Solche Bündnisse, solche durch bloßen Druck entstandene Allianzen, führen nur dazu, dass die politische Energie und der politische Wille der Demokratiebewegung verschwendet werden. Die politischen Akteur:innen, die sich eigentlich auf die Organisationen der unzufriedenen Gesellschaft und die Erhöhung des Drucks auf den Staat konzentrieren sollen, beschäftigen sich nur mit sich selbst und ihrer vermeintlichen Einheit, die aber nicht anhält. 

Mehr Arbeiten der Illustratorin Zaide Kutay finden sich auf ihrem Instagram-Account.

 

 

 

Omid Rezaee ist ein iranischer Journalist. 2012 verließ er seine Heimat, nachdem er aufgrund seiner journalistischen und politischen Tätigkeiten einige Monate im Gefängnis verbracht hatte. Bis Ende 2014 berichtete er aus dem Irak vor allem über den Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat. 2015 kam er nach Deutschland und schreibt seitdem...
Redigiert von Sophie Romy, Regina Gennrich