28.04.2024
Rasselnde Säbel und schlaflose Nächte
Die Angst in der iranischen Bevölkerung ist groß, dass sie am Ende die Leidtragenden sind. Grafik: Zaide Kutay.
Die Angst in der iranischen Bevölkerung ist groß, dass sie am Ende die Leidtragenden sind. Grafik: Zaide Kutay.

Während die Entscheidungstragenden in Iran und Israel die Säbel rasseln, tanzen viele im Westen im Rhythmus mit. Dabei sind es die Menschen in Iran und Israel, die besorgt zittern müssen, und Palästinenser:innen, die weiterhin sterben.

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne des:orientierungen, die jeden zweiten Freitag erscheint.

Am 1. April führte ein israelischer Luftangriff auf die iranische Botschaft in Damaskus zum Tod mehrerer hochrangiger Kommandanten der iranischen Revolutionsgarde. Zwei Wochen später erfolgte die iranische Reaktion, mit einem Drohnenangriff auf weite Teile des israelischen Staatsgebiets.

Es kommen Erinnerungen an die Eskalation mit den USA 2020 hoch. Ein fünftägiges Fiasko, das am 3. Januar mit dem Tod des Kommandanten Qasem Soleimani der Quds-Einheit durch einen amerikanischen Luftangriff im Irak begann, und am 8. Januar mit dem Niederschießen des Passagierflugzeugs PS752 über Teheran durch zwei iranische Raketen endete, bei dem 176 Menschen ums Leben kamen. Ein traumatisches Erlebnis, welches die Reaktionen auf die jüngste Eskalation mit Israel deutlich prägt. Die Angst ist groß, dass sich auch diesmal die von der iranischen Regierung versprochene „harte Vergeltung” gegen die iranische Bevölkerung richtet.

Parallel zu den üblichen staatlichen Trauerveranstaltungen und Demonstrationen gegen Israel und den Westen, entsteht online eine Gegenbewegung. Der ehemalige Leiter des Verbands der Familien der Opfer vom Flug PS752 Hamed Esmailion schreibt auf Instagram: „Niemand wird an eurer Trauer teilhaben” und deutet im gleichen Zug darauf hin, dass Lufthansa ihre Flüge in den Iran bis auf weiteres eingestellt hat. Viele distanzieren sich von der Islamischen Republik und einige solidarisieren sich mit Israel. Solidarität mit Israel im Iran hat meines Erachtens mehrere Gründe. Einige tun es sicherlich, weil sie am negativen Bild Israels zweifeln, das von der Regierung seit Jahren gezeichnet wird. Andere, weil sie der Regierung keine Rückendeckung für eine weitere Eskalation geben möchten. Die Revolutionsgarde kündigte an, dass sie gegen Online-Solidarität mit Israel vorgehen werde.

Als am 13. April erste Berichte im Iran über gesichtete Drohnen erschienen, dauerte es zwei bis drei Stunden, bis diese Israel erreichten. Es wurde klar, dass der Gegenangriff nun unwiderruflich erfolgt. Wie so oft in Krisenmomenten, teilten in dieser Zeit viele, auch sonst öffentlich unpolitische Menschen, in den sozialen Medien ihre Angst vor Krieg und ihr Gefühl der Machtlosigkeit. Die Fotografin Yalda Moaiery schrieb auf Instagram: „Wir sind in WANA, wo wir bis zum Morgen [wach bleiben] müssen, um zu sehen wo die Raketen einschlagen werden.” Jedem ist bewusst, dass ihr Schicksal davon abhängt, ob die Angriffe einen wesentlichen Schaden in Israel anrichten. „Ich wünschte ich wäre die 17-Jährige Teenagerin in den USA, die nicht weiß wo WANA ist; wo Iran liegt; was Krieg heißt; was Inflation bedeutet; was der Unterschied zwischen dem offiziellen Wert und dem Marktwert des Dollars ist”, postet eine Straßenverkäuferin aus Rascht. „Warum feiern einige auf den Straßen? Denkt ihr es ist etwas Gutes passiert?”, schreibt Tierschützer Alireza Shahrdari als Reaktion auf diejenigen, die den Vergeltungsschlag Irans begrüßten. In schweren Zeiten greifen viele bei fehlenden Worten auf Humor zurück. Am nächsten Morgen erhalte ich von Israelis und Iraner:innen die gleiche Nachricht: „Der erste Direktflug von Iran nach Israel seit 1979.” Es droht ein Krieg, den sich scheinbar keine der beiden Völker wünschen.

Die Selbstverteidigungsspirale

Unabhängig davon, wie diese Angriffe offiziell gerechtfertigt werden, wäre die jüngste Eskalation vermeidbar gewesen, wenn der Angriff auf die Botschaft in Damaskus nicht stattgefunden hätte. Dieser Angriff seitens Israels hat den bisherigen Status Quo unterbrochen, der durch Proxies und indirekte Konfrontationen geprägt war, und mit dem sowohl Israel, als auch die Islamische Republik zufrieden schienen.

In Iran spricht die Regierung von ihrem Recht auf Selbstverteidigung, da sie einen Angriff auf die Botschaft als einen Angriff auf iranischen Boden wertet. Das Pentagon bestätigt, dass Israel für den Angriff verantwortlich sei und Israel rechtfertigt den Angriff damit, dass das Konsulat effektiv als Militärbasis gedient habe und somit ein legitimes Ziel sei. Sowohl in Iran, als auch in den USA und Israel ist man sich über die Fakten weitgehend einig. Nur das deutsche Außenministerium scheint sich zu weigern, diesen Angriff jemandem zuzurechnen.

Aber wieso? Warum verschweigt die Bundesregierung Fakten? Seit sechs Monaten steht die Bundesregierung bedingungslos auf der Seite Israels, begründet dies mit der deutschen Staatsräson und betont dabei immer wieder Israels „Recht auf Selbstverteidigung”. Trotz steigender Todeszahlen in Gaza, einer menschengemachten Hungersnot und dem Vorwurf des Völkermords vor dem internationalen Gerichtshof, bleibt Deutschland bei seiner Position und behauptet, dies sei mit internationalem Recht vereinbar. Nun fordert die Islamische Republik Iran dieses Recht ein und geht damit gegen Israels und Deutschlands Position. In Deutschland wird scheinbar bereits das Narrativ zurechtgelegt, das eine bedingungslose Unterstützung Israels im Falle des Krieges weiterhin rechtfertigt.

Israels "Carte blanche" wird durch sein skrupellosen Handeln in Gaza deutlich, welches laut neuesten Zahlen mehr als 34.000 Palästinenser:innen das Leben gekostet hat. Dabei sollte doch die katastrophale Lage in Gaza, sowie die Eskalation mit Iran Grund dafür sein, dieses Recht kritisch zu betrachten. In einer immer vernetzteren Welt, in der nationale Grenzen weniger wichtig sein sollten als die unantastbare Würde eines Menschen, gibt es da noch Platz für ein solch eingeschränktes Verständnis von Sicherheit? Sollte es nicht die Rolle der internationalen Gemeinschaft sein, zur Konfliktresolution beizutragen?

Die Aufmerksamkeitsökonomie

Durch das Recht auf Selbstverteidigung ist niemand sicher. Durch sie wird der Tod tausender Palästinenser:innen in Kauf genommen; israelische Geiseln sitzen seit über 200 Tagen in Gaza fest und das Leben der Menschen in Iran und Israel ist bedrohter denn je. All das begünstigt eine Spirale der Gewalt, die letztlich vor allem die Zivilbevölkerungen trifft. Keiner der relevanten Akteur:innen hat ein Interesse daran, zu deeskalieren. Das Spiel mit dem Feuer, das in einem ungewollten Krieg enden könnte, bietet zugleich eine Ablenkung von internen Problemen.

Israel steht schon lange wegen der hohen Anzahl an zivilen Opfern sowie den schrecklichen Lebensbedingungen in Gaza international in der Kritik. Dazu stand Israel jüngst aufgrund des Berichts zur Nutzung der künstlichen Intelligenz „Lavender” zur Bestimmung militärischer Ziele im Fokus internationaler Medien. Seit Wochen steht das Westjordanland in Flammen, wo Siedlergewalt gegen Palästinenser:innen weiter zunimmt. In den USA steht Präsident Biden seit Monaten wegen seiner unkritischen Israel-Politik in den eigenen Reihen unter Druck. Amerikanische Hilfsgelder an Israel wurden deshalb zum ersten Mal in der Geschichte an die Einhaltung des internationalen Rechts gekoppelt. In Iran trat am selben Tag des Angriffs auf Israel das neue „Sitten und Hijab”-Gesetz in Kraft, welches eine Verschärfung der Maßnahmen gegen Frauen und eine Rückkehr der Sittenpolizei auf den Straßen vorsieht.

Durch die Angriffe wurde der Fokus weg vom Gaza-Krieg auf einen potenziellen Krieg mit Iran gelenkt. Die U.S.-amerikanisch-israelischen Beziehung wurden durch die militärische Kooperation wieder gestärkt und die monatelange Arbeit progressiver Demokrat:innen um einiges zurückgesetzt. Die Islamische Republik wird von einigen vermeintlichen Anti-Imperialist:innen als Held gefeiert, während bekannte Szenen von schreienden Frauen, die von der Sittenpolizei festgenommen werden, durch das Netz kursieren. Nur diesmal bekommen sie wenig Aufmerksamkeit.

Durch die Angriffe wurde der Fokus weg vom Gaza-Krieg auf einen potenziellen Krieg mit Iran gelenkt. Die U.S.-amerikanisch-israelischen Beziehung wurden durch die militärische Kooperation wieder gestärkt und die monatelange Arbeit progressiver Demokrat:innen um einiges zurückgesetzt. Die Islamische Republik wird von einigen vermeintlichen Antiimperialist:innen als Held gefeiert, während bekannte Szenen von schreienden Frauen, die von der Sittenpolizei festgenommen werden, durch das Netz kursieren. Nur diesmal bekommen sie wenig Aufmerksamkeit.

Der Feind meines Feindes…

Viele sprechen bei Konflikten in der Region von Komplexität, von dieser ist aber in jeglichen Analysen keine Spur. Beim Streben nach Eigeninteressen und Zielen scheint alles erlaubt zu sein. Während ich das schreibe veröffentlicht der bekannte palästinensische Content-Creator Salem Barahmeh ein Video, indem er die Strategie der Islamischen Republik romantisiert, durchgehend den jetzigen Führer Ali Khamenei mit dem Revolutionsführer von 1979 Ruhollah Khomeini verwechselt und seine Entscheidungen auf absurde Weise mit Bergsteigen und Militärstrategien des antiken Persischen Reichs verbindet.

Die israelische politische Kommunikationsbeauftragte Emily Schrader, die sich seit Jahren hauptsächlich auf den Iran fokussiert und durch Metaphern zur jüdischen Beziehung mit dem persischen Reich der Antike an die nationalistischen Strömungen im Iran zu appellieren versucht, behauptet die Menschen im Iran würden sich einen Angriff Israels auf Iran sogar wünschen und bezieht sich in ihrer stark generalisierten Annahme auf einzelne Graffitis in Iran. In Deutschland nutzen Iran-Aktivist:innen den Angriff Irans auf Israel als Gelegenheit, um dafür zu werben, die iranische Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste zu setzen. Dabei verschweigen sie - wie die Bundesregierung - den Angriff Israels auf Damaskus, skizzieren den Angriff Irans als Ergebnis jahrelanger Vernichtungsfantasien der Islamischen Republik, appellieren mit altbekannten Bildern von staatlichen Demos und dem „Countdown zur Vernichtung Israels” am Palästina-Platz an die deutsche Staatsräson. Vielleicht denken sie, das sei realpolitisch geschickt, aber die gleichen Argumente könnten auch zu weiteren Eskalationen einladen.

Ich möchte hiermit die antisemitischen Tendenzen in Iran nicht verharmlosen; in der Nacht des Angriffs gab es auch Menschen, die auf den Straßen feierten, خیبر خیبر یا صهیون (dt. Kheybar Kheybar oh Zion) riefen und den heutigen Konflikt mit Israel auf einen religiösen reduzieren. Es sollte uns jedoch möglich sein, hinter die Fassade des jahrzehntelangen Konflikts zu sehen und uns nicht in dem Lärm der Drohungen und im Rasseln der Säbel zu verlieren. Es sollte uns möglich sein, Ungerechtigkeiten zu verurteilen, wo sie stattfinden und Aktivismus auf Basis von Fakten zu betreiben. Analysen über Iran und Israel dürfen vereinfacht mit der Uhr auf Teherans Palästina-Platz anfangen und enden, oder als rein religiöser Konflikt dargestellt werden. Die historische Beziehung Irans, sowohl zu jüdischen Menschen als auch zu dem Staat Israel, sowohl vor, als auch nach der Islamischen Revolution, sind vielschichtiger als die deutsche Sichtweise es erlaubt.

Mehr Arbeiten der Illustratorin Zaide Kutay finden sich auf ihrem Instagram-Account.

 

 

 

 

 

 

Mohammad ist ein Student aus Berlin. Er ist zwischen Iran und Deutschland aufgewachsen und schreibt vor allem über grenzübergreifende Diskurse und Entwicklungen, historische Zusammenhänge in Iran, sowie Rassismus und Migration.
Redigiert von Sophie Romy, Regina Gennrich