Nach Israels Angriffen auf Iran gerät die Zivilbevölkerung erneut zwischen die Fronten: Einerseits ist sie den Angriffen schutzlos ausgeliefert, andererseits bleibt sie dem Druck des Regimes ausgesetzt. Ein Bericht aus Teheran.
„Ich hätte nie geglaubt, dass wir zum zweiten Mal nach dem Irak-Iran-Krieg Kriegsflüchtlinge werden. Wir versuchen, unsere Kinder zu schützen, sie sollen nicht wie wir Kriegstraumata erleben. Ich hoffe, uns gelingt es.“, erzählt mir meine Schulfreundin Amira, die eigentlich einen anderen Namen trägt. Wird ihr Name öffentlich, ist ihre Sicherheit nicht mehr garantiert.
Der Krieg hat Iran erneut erreicht – plötzlich und brutal. Noch bevor das volle Ausmaß der Verwüstung greifbar wurde, hatten viele Iraner:innen Grund zur Freude: Die Tötungen einiger hochrangiger Kommandanten der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) wurden gefeiert.
„Weißt du, uns normalen Menschen in Iran wäre es unmöglich gewesen die Hauptakteure dieses Regimes loszuwerden.“ fährt Amira fort. „Wie viele Menschen mussten 2022 ihr Leben in den Protesten lassen, und wie viele hätten es noch in der Zukunft, um diese Diktatur zu stürzen?“ In ihrer Stimme liegt eine gewisse Zuversicht, der Krieg richte sich ausschließlich gegen die Hauptakteure des Regimes und das Atomwaffenprogramm.
Rauch in Teheran. Bild: privat
Zwischen Fluchtgedanken und Resignation
Nachdem meine Familie und ich Amira mühsam zwei Tage später trotz Internetsperren über WhatsApp erreichen, wirkt sie besorgt. Die anfängliche Euphorie war verblasst. Sollen sie Teheran verlassen? Schaffen sie das trotz Benzinrationierung? Können sie trotz der langen Staus ihr Ziel sicher erreichen? Die Entscheidung, in Teheran zu bleiben, fällt schwer. Amira berichtet von zivilen Opfern – ein paar hunderte Menschen – genaue Zahlen kennt sie nicht. Bombardierungen sind zu hören, aber Warnsirenen gibt es keine. Bunker oder Zufluchtsorte auch nicht. Ich kann raushören, wie ihre Wut auf die Regierung wächst. Das Regime propagiert seit 48 Jahren die Vernichtung Israels, führte einen achtjährigen Krieg gegen den Irak, aber kann keine Schutzmaßnahmen für die eigene Bevölkerung bereithalten?
Die Menschen trauen den offiziellen Berichten der Islamischen Republik schon lange nicht mehr. Plötzlich dominiert im Fernsehen ein patriotischer Ton: Von Liebe zu Iran und seiner glorreichen Geschichte ist die Rede. Loyalität und Solidarität mit dem System werden beschworen. Es ist die Rede von erfolgreichen Angriffen auf Israel und einem normalen Leben in Teheran.
Zeitgleich verbreitet sich in den sozialen Medien folgende Story: „Wenn ihr 1988 nicht tausende politische Gefangene hingerichtet hättet, wenn ihr 1999 Studierende nicht überfallen und verhaftet hättet, wenn ihr 2009 die Wahlbetrügereien und den Verrat an den Stimmen des Volkes unterlassen hättet, wenn ihr 2019 nicht 1.500 Unschuldige auf offener Straße ermordet hättet, wenn ihr 2022 Mahsa, Nika, Sarina, Mehrshad, Ghazal, Siavash, Hadis, Asra, Kian und unzählige Andere nicht ermordet hättet, wenn ihr so viele unschuldige Menschen nicht hingerichtet hättet, wenn ihr Iran und seine Schätze nicht beraubt und zerstört hättet, wäre niemand auf die Idee gekommen, den Iran anzugreifen. Denn das Volk hätte hinter euch gestanden.“
Ein Post der auf Instagram kursiert. Autor:in unbekannt.
Die Perspektiven der Diaspora
Die Kommunikation nach außen ist stark eingeschränkt, das Internet nahezu abgeschaltet. Nach Evakuierungsaufforderungen aus den USA und Israel ist in der iranischen Diaspora die Sorge groß – viele haben noch Familie vor Ort. Bekannte helfen sich gegenseitig. Wenn es einer Person gelingt, eine Verbindung mit Iran aufzubauen, wird auch nach dem Zustand anderer Bekannter gefragt. Die Nachrichten sind meist kurz und knapp, von Familienmitgliedern erfahren wir: „Wir sind aus Teheran raus, uns geht es gut. Es gibt noch genug Lebensmittel und Medikamente. Macht euch keine Sorgen.“
Viele Gruppen und Aktivist:innen in der Diaspora, die sich während der „Frau, Leben, Freiheit“-Protestbewegung organisiert und vernetzt hatten, versuchen sich erneut zu reaktivieren. Auch wenn sie sich als Verstärker:innen der Stimmen der Menschen in Iran sehen, fehlt eine Einheit dieser Stimme. Sowie in Iran selbst sehen einige den Krieg als einzigen Weg, das autoritäre, theokratische Regime endlich loszuwerden. Andere warnen davor, dass Demokratie nicht durch einen Krieg entstehen kann – der Demokratisierungsprozess des Irans könnte ins Stocken geraten.
Entscheidende Schritte der Demokratisierung gab es schon vor dem Krieg: Ende Mai diesen Jahres legte ein landesweiter Streik von LKW-Fahrer:innen das Transportnetz lahm. Auch Streiks von Lehrkräften und Pflegepersonal, sowie der stille Protest der Frauen in Großstädten, die sich nicht mehr an die Zwangshidschab-Gesetze hielten, waren Zeichen des Wandels. Durch den Krieg wurde all das unterbrochen: In Zeiten von Bomben und Chaos kämpfen Menschen nicht für Rechte und Freiheiten – sie kämpfen ums Überleben.
Diese Anzeichen eines zivilgesellschaftlichen Aufbruchs gelten als Akte des Widerstands. In der Diaspora ist es schwieriger – wegen fehlender Einheit und Angst vor Eskalationen sowie vor den Diffamierungen ihrer Botschaften mussten bereits einige Demonstrationen abgesagt werden.
Ein Regime ohne Skrupel
Der Eintritt der USA in den Konflikt machte die Situation unberechenbar. Es wurde klar: Das Regime schert sich nicht um das iranische Volk. Zahlreiche Menschen wurden bereits unter dem Vorwurf der Spionage für Israel verhaftet. Erste Hinrichtungen wurden vollstreckt. Der Krieg kommt also von zwei Seiten: Das Land wird durch den Krieg gegen Israel zerstört, zeitgleich wird das Volk durch das eigene Regime unterdrückt.
Sollte das Regime bestehen bleiben, ist die Angst der Bevölkerung vor Rache, Massenhinrichtungen und Erpressungen groß. Sollte das Regime gestürzt werden, stellt sich die Frage, durch was für ein Regime es ersetzt wird. Schon während der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung blieb diese Frage unbeantwortet. Sie verweist auf die fehlende flächendeckende Opposition, welche die Iraner:innen vereinen und stärken könnte. Diese ist ein zentraler Grund für das Fortbestehen des Regimes. Das Regime sichert sie durch Repression, Verhaftung politischer Aktivist:innen und durch Lobby-Arbeit im Ausland.
Der Wendepunkt
Iran erlebt eine Zeit umfassender Krisen. Die Welt darf nicht wegsehen, während ein Volk zwischen Hoffnung, Verzweiflung und gnadenloser Gewalt zerrieben wird. Die Stimmen aus Iran und der Diaspora erinnern uns daran, dass der Krieg nicht nur an der Front, sondern vor allem im Leben der Menschen tobt.