Recep Erdogan hat die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Das Wahlbündnis aus der islamistischen AKP und der rechtsextremen MHP sicherte ihm die Mehrheit. Aber die Wahlergebnisse verdeutlichen auch die tiefe Spaltung der Türkei.
Wäre das Ergebnis aus dem Gefängnis in Edirne repräsentativ für die Türkei, würde die Türkei ab heute von einem kemalistischen Staatspräsidenten und das Parlament von einer absoluten Mehrheit der HDP regiert werden. In der Haftanstalt, die seit anderthalb Jahren die permanente Adresse des Präsidentschaftskandidaten der HDP, Selahattin Demirtaş ist, haben Erdogan und seine AKP keine einzige Stimme bekommen.
Doch nach der Auszählung der Stimmen zeichnet sich im Rest der Türkei ein enttäuschendes Ergebnis für diejenigen ab, die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel der Türkei hatten. Obwohl die AKP keine alleinige Mehrheit im Parlament erringen konnte, schafft sie es mit der MHP gemeinsam rund 53,6 Prozent der Stimmen für ihr Wahlbündnis zu erhalten. Damit steht zwar fest, dass Erdogans AKP sich die Regierungsmacht gesichert hat, doch im Vergleich zu den Wahlen im November 2015 hat die AKP acht Prozentpunkte verloren.
Dass die MHP ihren Stimmenanteil im zweistelligen Bereich halten konnte, war eine der großen Überraschungen des Abends. In den Umfragen der letzten Wochen lag sie immer deutlich unter der 10-Prozent-Hürde und hätte nur durch ihr Bündnis mit der AKP ihre Sitze im Parlament verteidigen können. Doch nun bleibt die AKP weiterhin auf die Unterstützung der MHP im Parlament angewiesen.
In erster Linie wurde ein Stimmenverlust an die ebenfalls rechtsextreme İYİ Parti von Meral Akşener befürchtet, die sich vor kurzem aus der MHP abgespalten hatte. Mit genau zehn Prozent des Stimmenanteils zieht die İYİ Parti zwar ins Parlament ein, bleibt jedoch weit unter den in Umfragen prognostizierten Ergebnissen. Somit vereinen die drei rechtesten Parteien des neuen türkischen Parlaments rund 63 Prozent der Stimmen auf sich.
İnce zerschlägt die Hoffnungen auf eine Untersuchung
Nachdem die ersten Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu Ajans (AA) um 18 Uhr MEZ veröffentlicht wurden, sprachen Vertreter der CHP und HDP bereits von massiver Manipulation der Ergebnisse. Noch während die Wahlurnen geöffnet waren, wurde von Wahlbetrug mit gefälschten Stimmzetteln und gewalttätigen Auseinandersetzungen in einigen Wahllokalen berichtet. Über den Abend hinweg bestanden dann eine große Differenz zwischen den Ergebnissen der AA, die einen klaren Sieg Erdogans in den Präsidentschaftswahlen anzeigte, und den offiziellen Zahlen des Hohen Wahlausschusses (Yüksek Seçim Kurulu, kurz YSK).
Laut der online-Plattform Adil Secim, die von Oppositionsparteien gegründet wurde, sei es in den ersten Stunden der Stimmauszählung sogar zur Stichwahl zwischen Erdogan und Muarrem İnce gekommen. Die staatliche Nachrichtenagentur behauptete dagegen von Anfang bis Ende einen zweifellosen Sieg Erdogans. Noch bevor alle Stimmen ausgezählt worden sind, verkündete Erdogan bereits um Mitternacht seinen Sieg. Auch İnce erklärte gegenüber dem Journalisten İsmail Küçükkaya, dass „der Mann gewonnen” habe. Er zerschlug damit die Hoffnung der Wähler, die auf eine Anfechtung der Wahlen oder zumindest auf eine ernsthafte Untersuchung der Vorwürfe der Wahlfälschung gewartet hatten.
Auch mit Null Minuten Sendezeit ins Parlament
Ebenfalls ein Sieger des Abends ist die HDP. Trotz aller Repressionen, denen die Partei in den letzten Jahren ausgesetzt war, schaffte sie es erneut, die 10-Prozent-Hürde zu überwinden. Da die Medien zum Großteil auf Seiten der Regierung stehen, erhielt die HDP, die immerhin die drittgrößte Partei im Parlament war, keine Minute Sendezeit während des Wahlkampfes. Auf einem Treffen von AKP-Bezirksvorsitzenden rief Erdogan im Juni sogar direkt dazu auf, zu „anderen Mitteln zu greifen“, um den erneuten Einzug der HDP ins Parlament zu verhindern. In den darauffolgenden Tagen häuften sich dann Berichte über Angriffe auf Wahlstände der HDP.
Trotz dieser Umstände ist die HDP mit 11,2 Prozent erneut die drittstärkste Partei im Parlament und auch ihr Präsidentschaftskandidat Demirtaş erkämpfte sich im Laufe des Abends den dritten Platz. Vor allem traditionelle Wähler der CHP liehen ihre Stimme an die Demokratische Partei der Völker, um die Parlamentssitze der AKP zu verringern. Dies führte wiederum zu einem sichtbaren Verlust im eigenen Lager.
Während İnce mit 30 Prozent in der Präsidentschaftswahl abschnitt, erreichte seine Partei lediglich 23 Prozent im Parlament. Damit fällt sie sogar noch hinter ihr damals schon niedriges Ergebnis vom November 2015. Gemeinsam mit der unerfüllten Hoffnung, İnce könnte zum Herausforderer Erdogans in einer Stichwahl der Präsidentschaftswahl werden, könnte dies zu einer grundlegenden Debatte um die Neuausrichtung der Partei führen.
Die Bestätigung Erdogans im Amt als Präsidenten mit nun noch größeren Befugnissen, die Verteidigung der Parlamentssitze der HDP trotz eines Wahlkampfs unter schwierigsten Bedingungen und der Stimmenverlust der CHP drücken die starke Spaltung der Gesellschaft in der Türkei aus. Die AKP ist eine der wenigen Parteien, die nicht die Aufhebung des Ausnahmezustandes zum Wahlversprechen machte, sondern deren politisches Programm diesen Ausnahmezustand zum Dauerzustand macht.
Die wirtschaftlichen Probleme bleiben
Mit dem Sieg der AKP steht wohl keine Lösung der wirtschaftlichen Probleme der Türkei in Aussicht. Durch den stetigen Wertverlust der türkischen Lira wird es für die Türkei zunehmend schwerer, die in Dollar aufgenommenen Schulden zu begleichen. Für die Bevölkerung wirkt sich das in rasant steigenden Lebenshaltungskosten aus. Bisher versuchte Erdogan, vom Bankrott bedrohte Unternehmen zu retten, indem er staatliches Geld hineinpumpen ließ – doch diese Politik wird er auf Dauer kaum weiterführen können.
Auch die Opposition, die für Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie wirbt, hat nach diesem Wahlergebnis wenig Anlass zur Hoffnung auf politische Beteiligungsmöglichkeiten. Diese Ziele zu verteidigen, sagte Pervin Buldan, Co-Vorsitzende der HDP, sei jedoch die Aufgabe ihrer Partei für die kommende Periode und dafür werde sie weiterhin kämpfen.