Das Filmfestival ALFILM in Berlin zeigt aktuelle Filme und ist Treffpunkt arabisch-sprachiger Filmschaffender. Auch die deutsch-arabische Community schätzt das Festival für Filme über marginalisierte Perspektiven und zu 75 Jahren Nakba.
Zum 14. Mal in Folge fand vom 26. April bis 2. Mai in Berlin das arabische Filmfestival ALFILM statt. Mit Filmen von Marokko bis Saudi-Arabien und von Somalia bis Syrien deckte das Festival eine einzigartige Vielfalt des arabisch-sprachigen Kinos ab und bot eine Plattform für aktuelle und historische Dokumentar-, Kurz- und Spielfilme. Vier Kinos waren die Spielorte – das Arsenal am Potsdamer Platz, das City Kino Wedding, das Cineplex an der Kulturbrauerei und zum ersten Mal das neu in einem Weddinger Hinterhof eröffnete Sinema Transtopia.
Auch in diesem Jahr waren die Kinos voll und nach Ende der Filme blieben zahlreiche Zuschauer:innen im Saal zur Fragerunde mit eingeladenen Filmemacher:innen, Produzent:innen oder Schauspieler:innen. Laut Iskandar Abdalla, einem der Festivalkurator:innen, gab es in diesem Jahr mehr Publikum als jemals zuvor. „Wenn wir auf die vergangenen Jahre zurückblicken, dann erkennen wir, dass die Sichtbarkeit des arabischen Films in Deutschland zunimmt und das Interesse daran stetig wächst“, sagt Iskandar zufrieden. Das Festival sei genau wie die Stadt Berlin beständig gewachsen, was auch daran liegt, dass Berlin zur Exilstadt für viele Menschen aus WANA geworden ist. Doch was macht das Festival so besonders?
ALFILM als Treffpunkt einer arabisch-deutschen Community
ALFILM hat sich in den 14 Jahren seines Bestehens als wichtiger Raum der arabisch-deutschen Community etabliert und zieht ein diverses Publikum an. Dieses besteht aus „internationalen Cineasten und Weltkinolieberhaber:innen, es gibt Menschen die sich für arabische Kunst und Kultur, Politik und Gesellschaft interessieren und Menschen, für die arabische Filme ein Stück Heimat anbieten“, erzählt Abdalla. Außerdem kommen eingeladene Filmschaffende aus WANA und der Diaspora zusammen, wofür Berlin einen einzigartigen Raum darstellt.
Die Wichtigkeit ALFILMs für die in Deutschland lebende arabisch-sprachige Exil-Community betonte auch der ägyptische Regisseur Tamer El Said in einem bewegten Kommentar. Sein Film In the Last Days of the City (2016) wurde im diesjährigen Spotlight Ghosts, Griefs, and Lost Dreams: Visions of the City in Arab Cinema gezeigt. In seinem Grußwort lobte er ALFILM für die einzigartige Vielfalt der Filme und Menschen, die in diesem Festival zusammenkommen sind und wie wichtig dieser Raum für ihn als mittlerweile in Berlin lebender Ägypter sei, der ein deutsch-arabisches Kind aufzieht.
Sein Film zeigt Kairo im Jahr 2009, zwei Jahre vor Ausbruch der Revolution. Der Filmemacher Khalid Abdalla versucht die Seele seiner Stadt einzufangen. Begleitet wird er dabei von befreundeten Filmemachern, die in Beirut, Baghdad und Berlin leben und ihm ihre Aufnahmen von den jeweiligen Städten schicken. Wie so viele Projekte aus WANA hat auch dieses einen pan-arabischen Charakter.
ALFILM als sicherer Ort für kontroverse Themen
Der Eröffnungsfilm des diesjährigen Festivals war The Damned Don’t Cry (2022) des marokkanischen Regisseur Fyzal Boulifa, der das sensible Thema der Sexarbeit aufgreift. Er zeichnet ein starkes Porträt einer alleinstehenden Mutter und ihrem Sohn, die sich am Rande der marokkanischen Gesellschaft stehend, mit Sexarbeit ihren Lebensunterhalt verdient. Auf verschiedenen Ebenen werden Fragen zu Macht, Gender, Homosexualität, Postkolonialität und Religion ausgehandelt vor dem Hintergrund einer atemberaubenden Kulisse des städtischen und ländlichen Marokkos.
In Marokko wird das Thema öffentlich gemeinhin nicht debattiert. Gerade deshalb war der eingeladene Produzent des Films Karim Debbagh gespannt auf die Reaktionen des Publikums, wie er ankündigte. Zum ersten Mal werde der Film hier „in einem arabischen Land gezeigt“. Schmunzelnd korrigierte sich Debbagh auf „ein arabisches Publikum“. Mit diesem und weiteren Filmen, rückte ALFILM nicht-normative Sexualität und das Aufbrechen traditioneller Geschlechteridentitäten in den Vordergrund und schuf damit einen Raum für Narrative abseits des gesellschaftlichen Mainstreams.
Im Fokus: Palästinensisches Kino 75 Jahre nach der Nakba
Einen thematischen Schwerpunkt legte ALFILM in diesem Jahr auf das palästinensische Kino 75 Jahre nach der Nakba (arabisch für „Katastrophe“, der Begriff bezieht sich auf die Vertreibung der Palästinenser:innen aus ihrer Heimat im Jahr 1948 nach der Staatsgründung Israels). In ihrer Eröffnungsrede betonte die Festivalleiterin Pascale Fakhry, es müsse in Deutschland möglich sein, über palästinensische Lebenswelten zu sprechen. Damit machte sie ein politisches Statement entgegen des Klimas des Schweigens, das in Deutschland beim Bekunden von Solidarität mit Palästinenser:innen herrscht.
Die Vielfalt aktueller palästinensischer Narrative wurde unter anderem in den Filmen Foragers (2022) von Jumana Manna, Alam (2023) von Firas Khoury, Mediterranean Fever (2022) von Maha Haj und Gaza mon amour (2020) von Arab und Tarzan Nasser abgebildet. Außerdem war der palästinensische Schauspieler Saleh Bakri Ehrengast des diesjährigen Festivals. Drei seiner neuesten Filme mit ihm als Hauptdarsteller wurden gezeigt: The Blue Caftan (2022) der marokkanischen Regisseurin Myriam Touzani, Beirut Hold’Em (2021) des libanesischen Regisseurs Michel Kammoun und Alam (2023) von Firas Khoury aus Palästina.
Nach dem Screening von Beirut Hold’Em, griff Bakri im Publikumsgespräch die Schwierigkeit auf, als palästinensischer Schauspieler in den Libanon zu reisen. Offiziell ist die Einreise für Palästinenser:innen, die auf israelischem Staatsgebiet leben, verboten. Diese eingeschränkte Mobilität ist eine große Herausforderung und macht den Dreh von Filmen mit Beteiligten aus beiden Ländern schwierig bis unmöglich. Auch zwischen anderen arabischen Ländern führen Einreisebeschränkungen zu geringerem Austausch der jeweiligen Filmszenen.
Trotz Visaschwierigkeiten bietet Berlin einen Raum der Vernetzung
Auch deshalb ist ALFILM so wichtig: Berlin bietet den Raum einer transnationalen Vernetzung für Filmschaffende in der Diaspora und aus WANA. Allerdings kam es auch dieses Jahr wieder zu den üblichen Einreiseproblemen. Laut Kurator Iskandar Abdalla können Gäste des Festivals häufig nicht anwesend sein, weil sie kein oder erst verspätet ein Visum erhalten. In Berlin angekommen, schwärmte der libanesische Filmemacher Omar Gabriel davon, dass es hier eine so große Plattform für seinen Film Soha (2022) gibt, der Teil der Kurzfilmreihe Renegotiating Gender Scripts war.
Diese Sichtbarkeit gibt es zuhause nicht, ob wegen fehlender Ressourcen oder staatlicher Zensur. Besonders hob er hervor, dass er hier die Gelegenheit habe, andere arabische Narrative kennenzulernen und mit Filmschaffenden in Kontakt komme. Filme aus WANA eröffnen dem Berliner Publikum Perspektiven und Blickwinkel, die wichtige Debatten in Deutschland entfachen. Für Filmschaffende aus WANA wiederum, ist ALFILM eine internationale Plattform und Berlin ein wichtiger Treffpunkt und Raum der Vernetzung über Nationalgrenzen hinweg.