15.12.2022
Stille Post
Die Journalistin Leyla (gespielt von Kristin Suckow) versucht vergeblich die Redaktion zu überzeugen. Copyright: Nina Reichmann
Die Journalistin Leyla (gespielt von Kristin Suckow) versucht vergeblich die Redaktion zu überzeugen. Copyright: Nina Reichmann

In dem Film „Stille Post“ kritisiert Florian Hoffmann das Fehlen marginalisierter Perspektiven im Kontext der Angriffe der türkischen Armee auf Cizre 2015 – und vergisst, sich selbst in die Kritik mit einzubeziehen.

Dies ist ein Beitrag unserer Reihe Re:zension. Hier stellen wir regelmäßig Bücher und Filme vor. Wenn Ihr Vorschläge für solche Werke habt oder mitmachen wollt, schreibt uns gerne an [email protected].

Aufmerksamkeit ist eine wichtige Ressource für Betroffene von Gewalt, aber sie ist oft nicht gleich verteilt. Diese Erkenntnis ist weder neu, noch überraschend. Relevant ist sie trotzdem, denn die Macht über die (Un-) Sichtbarkeiten von Perspektiven entscheidet, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir handeln. Im Spielfilm „Stille Post“ verarbeitet Florian Hoffmann seine Erfahrungen, als er Videomaterial von den Angriffen der türkischen Armee auf Cizre, eine kurdische Stadt im Südosten des Landes, an deutsche Medienhäuser schickte, denen die Angriffe aber nicht spektakulär genug waren.

Der Protagonist des Filmes, Khalil, arbeitet als Grundschullehrer in Berlin und lebt ein stilisiert unpolitisches Leben. Dann bringt seine Partnerin Leyla, eine Redakteurin in einer Nachrichtenagentur, ihre erste Story mit nach Hause: Videoaufnahmen von Militärangriffen auf Cizre. Als sie Khalil um Unterstützung und Übersetzung der Videos bittet, holt ihn seine Vergangenheit ein. Er erkennt seine mutmaßlich tote Schwester, eine Videoaktivistin, als Autorin der Videos.

Er bekommt von einer kurdischen Selbstorganisation den Kontakt zu seiner Schwester versprochen, unter der Bedingung, dass er das Videomaterial in die deutschen Medien bekommt. Dadurch soll die deutsche Öffentlichkeit von den Angriffen erfahren und die Politik zum Handeln bewegt werden. Seine Partnerin teilt die Videos in der Redaktion, die aber die Ressourcen nicht hat, diese zu überprüfen, und der es „zu unspektakulär“ ist. Khalil und Leyla arbeiten sich daran ab, Videobeweise der türkischen Angriffe auf die kurdische Stadt in die Medien zu bringen. Parallel dazu wird Khalil mit seiner kurdischen Identität in Deutschland und dem kurdischen Freiheitskampf konfrontiert, was sich oft klischeehaft anhand von türkischen, kurdischen und biodeutschen Kindern seiner Grundschulklasse entlädt.

Die Stille

Zentrales Thema des Filmes ist eine Medienkritik: Marginalisierte Perspektiven, in diesem Fall die von Kurd:innen im Staatsgebiet der Türkei, haben keine Sichtbarkeit in den deutschen Medien. Die „Stille Post“ bleibt stumm, solange sie nicht die Erwartungen der Medienhäuser, also dramatische Bilder von Bomben und Protesten, bedient. Die Kritik entfaltet sich durch einen sehr hohen Anteil an Originalvideos aus der belagerten Stadt. Die Zuschauer:innen erleben die fehlende Antwort der Medien so mit.

Doch die Kritik an fehlenden Perspektiven in den deutschen Medien trifft sehr schnell den Film selbst. Was man als kurdische Perspektiven auffassen kann, ist im Film eine eher flache und eindimensionale Repräsentation von Kurd:innen, deren einzige Merkmale eine Opferrolle und eine Unterstützung des Freiheitskampfes ist. Die tatsächliche Heterogenität von kurdischen Menschen, Umständen und Perspektiven wird an kaum einem Punkt sichtbar. Damit bleibt letztlich der Eindruck, dass der Film eher die Ansprüche und Orientalismen eines weißen Publikums bedient. Durch vereinfachte und flache Bilder und Erzählungen macht der Film doch wieder marginalisierte Perspektiven unsichtbar, anstelle sie aufzuzeigen.

Medienkritik oder Gesellschaftskritik?

In der Podiumsdiskussion mit drei Journalist:innen und dem Regisseur im Anschluss der Filmprämiere in Berlin wird schnell klar, dass auch die Medienkritik des Filmes verkürzt ist. Die Journalist:innen betonen ausführlich, dass die im Film dargestellte Logik von Redaktionen mit Sensationslust nach möglichst aufsehenerregenden Bildern leidender Menschen nicht der Realität entspräche. Mechanismen wie das zwei-Quellen-Prinzip seien zwar journalistischer Standard. Dem würden in der Praxis auch durch Satellitenbilder oder Hinzuziehen weiterer Quellen genügt.

In der Realität, so die Journalist:innen, wehre sich die Berichterstattung oft explizit gegen die Klick- und Konsumierbarkeit von Nachrichten und Bildern. Recherchen würden entgegen ihrer ökonomischen Verwertbarkeit umgesetzt. Und natürlich würden nicht alle Konflikte in einer gleichen Weise repräsentiert, resümieren die Journalist:innen einstimmig. Doch das im Film aufgezeigte Bild trifft nicht den Punkt.

Die Kernkritik des Filmes – die Stille in den Medien und Debatten zu bestimmten Themen – ist damit nicht gelöst. Die Frage bleibt offen, warum der Bürgerkrieg in Syrien im Vergleich zu dem im Jemen viel präsenter ist, um nur einen der vielen möglichen Vergleiche zu ziehen. Die Medien sind dafür nicht alleine verantwortlich. Die eigentliche Kritik richtet sich viel breiter an eine Gesellschaft, in der viele Perspektiven „Stille Post“ sind. Die Kritik ist damit auch eine Selbstkritik, die in Florian Hoffmanns Film sichtlich zu kurz kommt.

Die Protagonist:innen Khalil (Hadi Khanjanpour) und Leyla (Kristin Suckow), Copyright Nina Reichmann

Selbstkritik

„Stille Post“ bewegt sich nicht auf einem neutralen Standpunkt der Kritik, sondern ist selbst Teil der Verhandlung von Diskursmacht zu kurdischen Perspektiven in und außerhalb von Deutschland. Bereits die generelle Darstellung des Angriffes auf Cizre als „Konflikt“ macht die zugrundeliegenden Unterdrückungsstrukturen weitgehend unsichtbar. Die Rolle Deutschlands in Westasien wird nur vereinzelt als „Nato-Partner“ benannt. Tieferliegende Auseinandersetzungen zur Verantwortung Deutschlands bleiben in der schematischen Darstellung des scheinbar multi-kulturellen Klassenzimmers in der Berliner Grundschule aus.

Das überrascht mit Blick auf den Hintergrund des Regisseurs nicht. Florian Hoffmann kommt aus Berlin, studierte Ethnologie und arbeitete in der Entwicklungszusammenarbeit. Dadurch, aber auch als Regisseur des Filmes ist er Teil der Wissensproduktion zu Westasien und dem „Globalen Süden“. Mit dem Film tourt mittlerweile auch sein Name als Regisseur durch Deutschland und darüber hinaus. Er ist unweigerlich Teil der Diskursmacht zu Kurdistan, trotz, oder gerade aufgrund des Anspruches, die „Stille Post“ laut zu machen.

Für viele von staatlicher Gewalt gefährdete Personen ist es aufgrund von Repressionen nicht möglich oder extrem gefährlich, einen Film zu diesem Thema zu produzieren. Die „Stille“ überschattet unweigerlich weiterhin das Nicht-Gesagte und Nicht-Gesehene um den Film herum. Die Perspektiven des Regisseurs und Filmes sind alles andere als marginalisiert. Damit scheitert der Film letztlich an seinem Selbstanspruch. Die „Stille Post“ bleibt stumm.

 

 

Dominik ist politischer Geograph und setzt sich mit der Verhandlung von Identitäten in Räumen und an Grenzen auseinander. Aktuell arbeitet er in der politischen Kommunikation in Berlin.
Redigiert von Claire DT, Eyşan Rêbwar