11.12.2025
“And here I am”: Kultureller Widerstand in Form eines Theaterstücks
Eingang des “Freedom Theaters” in Jenin, Westjordanland. Foto: Guillaume Paumier (Wikimedia Commons, CC 3.0)
Eingang des “Freedom Theaters” in Jenin, Westjordanland. Foto: Guillaume Paumier (Wikimedia Commons, CC 3.0)

Ahmed Tobasi und das Freedom Theater aus Jenin traten am 23. November 2025 erstmalig mit dem umstrittenen Stück „And here I am“ in Deutschland auf. dis:orient war bei der Premiere in Leipzig vor Ort.

Es ist ein ungewöhnlicher Ort für ein Theaterstück dieser Art. Weder befinden wir uns in einem der großen Leipziger Theater noch auf einer der kleineren, szenigen Bühnen im migrantisch geprägten Osten der Stadt. Die Aufführung findet stattdessen in der Alten Handelsbörse statt, einem im Stil des Frühbarocks erbauten Gebäude, direkt neben dem Leipziger Markt. In kürzester Zeit wurde hier eine provisorische Bühne installiert. Die Performance zieht ein für den Ort ungewöhnliches Publikum aus studentischen und aktivistischen jungen Menschen an.

Das Stück „And here I am“, das hier gezeigt wird, ist genauso ungewöhnlich für den Ort, wie der Ort für das Stück. Es wurde vom palästinensischen Schauspieler Ahmed Tobasi geschrieben und performt. Aufgewachsen in einem der im Januar gewaltsam geräumten Flüchtlingslager der Stadt Jenin, im Norden des Westjordanlands, und ausgebildet am Nordic Black Theater in Oslo, arbeitet er heute als künstlerische Leitung des Freedom Theaters in Jenin

Eine spontane Absage bei der Leipziger euro-scene

Die Aufführung ist ein großer Schritt für den Autor, die Kurator:innen und das Leipziger Team der Initiative Artists for Cultural Freedom. Nach mehr als einem Jahr haben sie das geschafft, was im vergangenen Jahr unmöglich gemacht wurde. Eigentlich sollte das Stück im Rahmen des 35. Leipziger Tanz- und Theaterfestivals euro-scene 2024 gezeigt werden. In letzter Minute wurde es jedoch aufgrund von Antisemitismusvorwürfen und damit verbundenen Ankündigungen der Stadt Leipzig und des Sächsischen Ministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus nach Rückforderungen von Geldern vom Veranstalter abgesagt.

Ein schwerer Schlag für Tobasi, für den die geplante Veranstaltung im Jahr 2024 seine erste Aufführung in Deutschland gewesen wäre. Auch für die Kunstfreiheit in Deutschland war es ein schwerer Schlag; seit dem 8. Oktober 2023 wird diese besonders für palästinensische Kunstschaffende massiv eingeschränkt und häufig unter einen Generalverdacht des Antisemitismus gestellt. Zahlreiche Stücke, zuletzt die geplante Bühnenadaption des Buches „Eine Nebensache“ der palästinensischen Schriftstellerin Adania Shibli im Maxim Gorki Theater in Berlin, wurden abgesagt.

Kultureller Widerstand gegen andauernden Kolonialismus

„And here I am“ erzählt Tobasis Lebensgeschichte: Sie beginnt mit seinem Aufwachsen in den Flüchtlingslagern von Jenin, die schon damals längst einen eigenständigen Teil der Stadt darstellten. Seine alltäglichen Erfahrungen in Kindheit und Jugend sind geprägt von Hilflosigkeit und Ungerechtigkeit im Angesicht der israelischen Besatzung. Auf der Suche nach Handlungsmöglichkeiten tritt er unüberlegt einer Gruppe des bewaffneten Widerstands bei. Trotz der ernsten Umstände spielt Tobasi humorvoll die wenigen Tage bei dieser Gruppe nach, während der er mit seiner Waffe nur sich selbst verletzt, aber auch die Ermordung eines seiner besten Freunde durch israelische Soldat:innen erlebt. Kurz nach dem Beitritt wird er selbst vom israelischen Militär verhaftet und verbringt mehrere Jahre im Gefängnis. Nach seiner Entlassung entdeckt er seine Passion für das Theater und migriert nach Norwegen.

Nun ist kultureller Widerstand seine Waffe gegen die Unterdrückung. Tobasi, ganz allein auf der Bühne, spielt alle Charaktere gleichzeitig: seine verstorbenen Freund:innen, die Gefängniswächter:innen und die Anführer:innen der verschiedenen Fraktionen innerhalb der Gefängnismauern. Auch den unter ungeklärten Umständen ermordeten ehemaligen Direktor des Freedom Theaters, Juliano Mer-Chamis, verkörpert er selbst.

Selten habe ich so viele Emotionen in einem Raum gesehen – sowohl bei Tobasi, der es auch als einzige Person auf der Bühne schafft, den Raum zu füllen, als auch innerhalb des Publikums. Mit seiner Performance gelingt es ihm, alle Zuschauer:innen in seinen Bann zu ziehen. Viele sind zutiefst ergriffen, einige zu Tränen gerührt, manche voller Freude.

Ein Appell für das Leben

In der anschließenden Fragerunde spricht Tobasi über den andauernden Kolonialismus in der Region, welcher laut ihm einerseits wirtschaftliche Ausbeutung und andererseits künstliche Feindbilder zwischen Palästinenser:innen und Israelis, Jüd:innen und Muslim:innen bedinge. In diesem Zuge spricht er auch über seine Motivation für das Schreiben und das Theater: „Ich spreche von Menschlichkeit als Verantwortung eines Künstlers. Ich habe mein Leben im Krieg verbracht. Ich sehe es als meine Verantwortung und Aufgabe, dass ich nicht mit ansehen muss, wie eine andere Gemeinschaft, andere Menschen oder andere Kinder im Krieg aufwachsen.“

Er thematisiert zudem die aktuelle Lage im Westjordanland und was es heißt, unter israelischer Besatzung aufzuwachsen: „Der Westen, Israel und die USA haben uns unseren Weg sehr deutlich vorgezeichnet: Palästinensische Kinder haben nicht viele Möglichkeiten; entweder sie enden als Märtyrer:in, Gefangene oder Behinderte.“ Die wahre Kunst sei es, laut Tobasi, Widerstand zu leisten und dabei nicht, wie so viele seiner Jugendfreund:innen, als Märtyrer:innen zu sterben: „Widerstand ist schön. Widerstand ist kreativ. Es geht um Leben.“

 

 

Alexander Waiblinger studiert Sozial-und Kulturanthropologie mit einem Fokus auf arabisch-sprachige Regionen in Sub-Sahara Afrika (an der Universität Leipzig). Er interessiert sich für Themenfelder wie postkoloniale Theorie, Politische Ökologie und Protestbewegungen.
Redigiert von Martje Abelmann, Sören Lembke