Ameer Fakher Eldins Debütfilm „The Stranger“ tourt seit Monaten die großen Festivals der Welt, sahnt einen Preis nach dem anderen ab. Was macht die Arbeit des jungen Talents aus den Golanhöhen so einzigartig? Und was kommt als nächstes?
Beim Q&A nach der Filmvorführung scheint sich Fakher Eldin sichtlich unwohl zu fühlen, wie jemand, der nicht besonders gerne im Rampenlicht steht, aber sehr wohl die Notwendigkeit dessen versteht. Er beantwortet die Fragen ruhig, aber ernsthaft, immer mit einem höflichen Lächeln im Gesicht. Ich merke, dass er sich Mühe gibt, seine Verärgerung zu verbergen, als ihm immer wieder dieselben Fragen gestellt werden; etwa ob sein Film von Camus' gleichnamigem Werk „Der Fremde“ inspiriert sei.
Wir setzen uns mit einem Bier aus dem Supermarkt und einer Zigarette auf eine Treppe, weg vom Festivalgeschehen. Das Gespräch entwickelt sich sehr schnell zu einer natürlichen Unterhaltung.
Fakher Eldin wurde in Kiew geboren, wuchs aber in Majdal Shams auf, einem kleinen Dorf auf den Golanhöhen. Heute lebt der Regisseur in Berlin und Hamburg. Schon in jungen Jahren, als er begann, mit einem alten Camcorder Aufnahmen von seinem Dorf zu machen, wusste er, dass er einmal Filme drehen wollte. In seinen Zwanzigern begann Fakher Eldin mit der Arbeit an seinem ersten großen Projekt, „The Stranger“, das er komplett autodidaktisch schrieb, Regie führte und schnitt. Der Film war sofort ein unerwarteter Erfolg; nur ein Bruchteil von Debüts schafft es jemals so weit.
2021 vertrat „The Stranger“ Palästina bei den Academy Awards. Seitdem tourt er die großen Filmfestivals der Welt, von der Premiere in Venedig über Toronto und Berlin bis nach Amman und New York. Dabei sahnt er einen Preis nach dem anderen ab. Zuletzt gewann „The Stranger“ in der Kategorie „Bester arabischer Film“ beim Cairo International Film Festival und wurde bei den diesjährigen Asia Pacific Screen Awards in den beiden Spitzenkategorien „Beste Regie" und „Beste Kamera“ nominiert.
Für sein zweites Werk „Yunan“ konnte Fakher Eldin Schauspiegrößen wie Hanna Schygulla, den libanesischen Schauspieler und Filmemacher Georges Khabbaz und Sibel Kekilli, bekannt durch ihre Rolle als Shae in Game of Thrones, als Hauptdarsteller:innen gewinnen.
Wer ist das junge Filmtalent, das es in nur wenigen Monaten an die ganz großen Leinwände geschafft hat? Was zeichnet seine Arbeit, was macht ihn als Künstler aus?
„Dies ist kein Film zur Unterhaltung. Sondern ein Film, um etwas über die Verzweiflung zu lernen.“
Das ist der vielleicht treffendste Kommentar, den ich zwischen den vielen Kritiken zu „The Stranger“ finden konnte. Fakher Eldins Film überrascht mich. Im Hintergrund der wunderschönen und gleichzeitig melancholischen Landschaftsszenen, fallen weit in der Ferne leise die Bomben vom Himmel. Der Film ist langsam, fast stoisch; manchmal so sehr, dass ich nervös werde, weil Fakher Eldin mich so lange im mit rotem Velours bezogenen Kinosessel ‚gefangen‘ hält. Bald merke ich, dass ich vergeblich auf einen Handlungsstrang im klassischen Sinne warte.
Fakher Eldin erzählt mir, dass er nie eine konventionelle Handlung im Sinn hatte. „The Stranger“ ist vielmehr eine Charakterstudie der Hauptfigur Adnan, die er selbst auch erst während des Schreib- und Drehprozesses mit dem palästinensischen Schauspieler Ashraf Barhom nach und nach „kennenlernte“. Adnan ist ein Mann mittleren Alters, der als nicht lizenzierter Arzt aus Russland auf die Golanhöhen zurückkehrt. Er steckt sichtlich in einer Krise. Tag für Tag lässt er seine Frau und seine Tochter zurück, um auf den Obstplantagen zu arbeiten und seinen Kummer in Alkohol zu ertränken.
Die Hauptfigur stößt in der klaustrophobischen Welt, die Fakher Eldin an die Leinwand malt, auf dicke Mauern, egal in welche Richtung wir ihn gehen sehen. Er ist gefangen in seinem alternden Körper und Geist, gefangen in seiner eigenen Dorfgemeinschaft, der er ein Fremder ist, in erfolglosen Beziehungen und in einem politischen Kontext, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. „Adnan sehnt sich verzweifelt nach einer utopischen Vorstellung seiner Heimat, die es nie geben wird", erklärt Ameer. Eine Zukunft der Golanhöhen ohne Besatzung.
Im Kontext gefangen? Die Golanhöhen
Die Golanhöhen sind eine Hochebene von 1.300 Quadratkilometern, das ist die Hälfte des kleinsten deutschen Bundeslandes Saarland, und liegen im Gebirge zwischen Syrien und Israel. Das ehemals syrische Gebiet wurde im Sechstagekrieg 1967 von Israel erobert und ist seitdem besetzt.
Der Grund, warum Israel so sehr darauf bedacht ist die Kontrolle über das Gebiet zu behalten und Syrien ebenso entschlossen ist, es zurückzuerobern, ist seine strategische militärische Lage, die von Israel als „Pufferzone“ zwischen dem mit Iran verbündeten Syrien und Israel angesehen wird. Israel baut in den Golanhöhen kontinuierlich illegale Siedlungen, die mittlerweile rund 95 Prozent der Golanhöhen ausmachen. Heute leben etwa 27.000 syrische Drusen in den fünf Dörfern auf dem Golan.
„Indem wir Adnan folgen, können wir die politische Situation durch seine innere Welt reflektieren. Seine Vertreibung kann als Metapher für die Golanhöhen verstanden werden. Adnan dient dazu, das Gefühl auf den Golanhöhen zu charakterisieren. Er ist entfremdet und unerwünscht, genau wie die Golanhöhen in den letzten Jahrzehnten.“
Trotzdem schafft es der Film, weit über seinen geografischen Kontext hinaus universelle Themen zu konfrontieren und sie in Gefühlswelten zu übersetzen: Entfremdung, existentielle Verzweiflung, Depression. Es handelt sich bei „The Stranger“ nicht um ein klassisches Drama über eine so genannte „Konfliktregion“ mit kulturellen Stereotypen, die auf den Blick des üblichen internationalen Kinopublikums zugeschnitten sind. Wer ein packendes Drama über einen sogenannten „Krisenkontext“ erwartet, wird von Fakher Eldins Arbeit enttäuscht sein.
Identität verkaufen?
Ich frage Fakher Eldin, ob er sich bewusst dagegen entschieden hat, der Nachfrage nach orientalistischen Narrativen auf dem Kunstmarkt, der oft einfache Erzählungen über Konflikte und kulturelle Identität bevorzugt, nachzugeben? Er lächelt: „Ich wurde oft gebeten, als drusischer Filmemacher aus den Golanhöhen einen Film zu machen, das hat mich wirklich gestört. So etwas wie einen drusischen oder christlichen Regisseur gibt es nicht.“
In den letzten zehn Jahren ist die Vermarktung von Kulturprodukten mit bestimmten Identitätsbezeichnungen sehr beliebt geworden. Das wachsende Bewusstsein dafür, wie Marginalisierung, oder sagen wir: Leiden, mit Ethnizität, Rasse, Geschlecht, Sexualität, Nationalität usw. zusammenhängt, führte zu einer hohen Nachfrage nach Erzählungen von Tragik, die am besten direkt mit der Lebenserfahrung der Kulturschaffenden zusammenhängt.
Vor allem nach dem Sommer 2015 stieg in der Berliner Kulturlandschaft das Interesse an „Identitäten“ aus der WANA-Region rapide an, insbesondere an Geschichten von Konflikt, Tragödie, Flucht und "Integration". „Kochen mit syrischen Flüchtlingen“, „Exil-Theater“ und „Flüchtlings-Rockband“; so wurden Veranstaltungen für ein überwiegend weißes Publikum häufig beworben. Diese von weißen, europäischen politischen und kulturellen Institutionen geäußerte Nachfrage wird für Kulturschaffende zu einem ‚natürlichen Anreiz‘, ihre Kunst so zu gestalten und zu vermarkten, dass sie in den orientalistischen Rahmen des Kulturmarktes reinpasst.
So sind Künstler:innen, die als „Andere“ – in diesem Fall als ‚orientalische Andere‘ – wahrgenommen werden, oft vor die Herausforderung gestellt, sich jener Nachfrage, aber auch essentialisierenden Rezeptionen ihrer Arbeit zu entziehen.
„Was das angeht, ändert sich gerade einiges“. Fakher Eldin beobachtet, „der große Hype um das ganze Flüchtlingsthema ist vorbei, jetzt können wir anfangen die tatsächlichen Geschichten zu erzählen.“
Ein Filmemacher von dem wir einiges erwarten können
„The Stranger“ ist nur der erste Teil von Fakher Eldins Trilogie „Home“. In einem Interview mit Variety erklärt er: „Der erste Film, ‚The Stranger‘, handelt von einem Fremden inmitten seines Volkes. Im zweiten Film geht es um einen Fremden unter Fremden. In allen drei Filmen geht es um das Thema Heimat.“
Die Dreharbeiten für seinem kommenden Spielfilm „Yunan“ beginnen voraussichtlich schon im nächsten Jahr. Hier will Fakher Eldin auf dem Ansatz der Charakterstudie aufbauen und das Thema der Entfremdung weiter vertiefen. Dieses Mal beschäftigt sich der Regisseur mit einem desillusionierten Schriftsteller im Exil, der sich auf eine abgelegene Insel in der Nordsee reist, um mit seinem Leben abzuschließen.
„Es wird nicht die konventionelle Art und Weise sein, wie das Thema Exil in Deutschland behandelt wird, es geht viel tiefer als das“, sagt Fakher Eldin. „‚Yunan‘ ist eine Geschichte von Erlösung und Wiedergeburt. Sie handelt von den Entfernungen, die sich unaufhaltsam auftun, wenn wir ins Exil gehen, zwischen der unvergesslichen Vergangenheit und der Gegenwart, zwischen der Gegenwart und einer unerreichbaren Zukunft“ , führt er in einem Interview mit dem Filmmagazin Deadline aus.
Ameer Fakher Eldin ist zweifellos ein Filmemacher, ein Kulturschaffender, auf den man in den kommenden Jahren gespannt sein kann. Mit seinen scharfen Beobachtungen und seinem kritischen Blick versteht er es, das Publikum die Tiefen der menschlichen Erfahrung fühlen, beobachten und reflektieren zu lassen; jenseits der üblichen oder erwarteten Erzählungen von Konflikt und Elend.