Derzeit profitieren Streaming-Dienste wie Netflix stark von der Corona-Pandemie – oft zu Lasten von Palästinenser:innen. Ihre Geschichten werden auf exotisierende und rassistische Weise erzählt. Ein Beispiel dafür: die Serie Fauda. Ein Kommentar.
Nachdem ich im Internet über die Dämonisierung der Palästinenser:innen in der Serie Messiah gelesen hatte, tauchte in meinem Facebook-Feed Werbung für die israelische Fernsehserie Fauda (Arabisch für Chaos) auf. „Also Fauda habe ich schon genug in meinem Leben“, dachte ich. Trotzdem beschloss ich, mir die erste Staffel der Serie anzusehen.
Die Serie basiert auf den Erlebnissen der Autor:innen als Soldat:innen in einer Mista'aravim-Einheit der israelischen Armee. Das lässt vermuten, dass sie in ihrer Armeezeit schwerwiegende Menschenrechtsverbrechen begingen. Anhaltspunkte dafür liefern Szenen der Serie, in denen eklatant illegale Aktivitäten und Operationen einer Undercover-Einheit dargestellt werden, die es tatsächlich gegeben hat.
Was es für mich noch schwieriger macht, Fauda anzusehen, ist zu wissen, wie die Serie produziert wurde: Fauda wurde in Kafr Qasim gedreht, einem palästinensischen Dorf, das an der Grünen Linie liegt. Die Geschichte dieses Dorfes ist schmerzvoll: Im Oktober 1956 ordnete Israel im Zuge der Suez-Krise eine Ausgangssperre an.
Der zuständige Kommandant der israelischen Armee, Issachar Shadmi, befahl den israelischen Besatzungstruppen auf kryptische Weise, diejenigen zu erschießen, die sich draußen aufhielten. Viele Landarbeiter:innen konnten aber nicht rechtzeitig über die geänderte Sperrzeit informiert werden. Als wenig später einige von ihnen nach Hause zurückkehrten, eröffneten die Besatzungstruppen das Feuer. Dabei töteten sie insgesamt 49 Palästinenser:innen, darunter befanden sich 13 Frauen, 23 Kinder und ein Baby im Mutterleib.
Ein weiterer problematischer Aspekt der Serie ist der Zeitpunkt der Dreharbeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das Produktionsteam eine solche Serie während des Gaza-Krieges im Jahr 2014 drehen konnte, der mehr als 2202 Palästinenser:innen das Leben kostete, darunter 526 Kindern. Wessen Geschichte erzählt Fauda also wirklich? Und auf welche Weise?
Die Dichotomie der Darstellung: Beherrschung versus Unterwerfung
Die Macher:innen von Fauda möchten dem Publikum möglichst nachvollziehbar und spannend erzählen, wie Palästinenser:innen von israelischen Soldat:innen militärisch kontrolliert und manipuliert werden. Die Serie zeigt die Darsteller:innen der Undercover-Soldat:innen als sexy, stark, potent und extrem loyal.
Sie stehen in scharfem Kontrast zu dem Bild, das von den Palästinenser:innen gezeichnet wird. Diese sind betrügerisch, verwirrt, einschüchternd, sozial unterdrückt, illoyal und erinnern an liederliche kleine Jungs, die weder Rücksicht nehmen noch Macht haben.
Ihre Lebensräume umgibt stets eine geheimnisvolle Aura. Diese Darstellung ist orientalisierend und beispielhaft für einen sensationslüsternen Orientalismus, der sich durch alle drei Fauda-Staffeln zieht. Die Macher:innen reduzieren die Körper der palästinensischen Schauspieler:innen auf ihren rein physischen Wert und setzen deren Kampf für Gerechtigkeit zum einfachen Katz-und-Maus-Drama herab.
Der Serie gelingt es sogar, die Figur des beliebten, palästinensischen Freiheitskämpfer Abu Ahmed als einen inkompetenten und unfähigen Mann darzustellen. Wenn er unglücklich ist, geht Abu Ahmed auf Schokoladen-Fresstour. Sein Spitzname „Panther“ wirkt so als eine unterschwellige Beleidigung der Black-Panther-Bewegung, die für die Freiheit der Schwarzen in den Vereinigten Staaten kämpfte. Auch ist die Darstellung der palästinensischen Freiheitskämpfer:innen verzerrt. Sie wirken inkompetent, hoffnungslos, nutzlos und dumm. Ihr einziger Zweck ist es in der Serie, so viele Israelis wie möglich zu töten.
Diese Reduktion palästinensischer Körper und Räume ist nicht nur in der Serie eingebettet, sondern findet sich auch in der gesamten Ideologie des zionistischen Denkens wieder – von der Nakba im Jahr 1948 bis heute. Edward Said argumentierte, die Macht über die Repräsentation sei der Schlüssel zur Befreiung. In diesem Sinne muss das Bild des „Orient“ dekolonisiert, dekonstruiert und zurückerobert werden.
Ich bin auch wütend darüber, wie die Autor:innen von Fauda uns Palästinenser:innen als bloße Aggressor:innen und Terrorist:innen darstellen. Nicht in einer einzigen Szene von Fauda zeigen die Macher:innen auch nur einen Hauch von Respekt für den palästinensischen Widerstand gegen die israelische Apartheidspolitik.
In der gesamten Serie sind es die israelischen Soldat:innen, die als zivilisiert und ehrwürdig dargestellt werden. Sie bewahren selbst in ausweglosen Situationen Haltung. Die vermeintlich „sympathischen“ palästinensischen Charaktere sind diejenigen, die kollaborieren, die sich nicht gegen die israelische Apartheid auflehnen, wie die Ehefrau des „Panthers“ Abu Ahmed. Israel dagegen entgeht einer Verurteilung, obwohl ihm derzeit Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden.
Auch die Repräsentation von Frauen ist aus feministischer Sicht höchst problematisch. Generell sind israelische Frauen weiß, stark, sexy, zivilisiert und zutiefst einfühlsam. Im Gegensatz dazu kommen palästinensische Frauen in Fauda als grausame, schwache, unachtsame und nur zu starken israelischen Männern hingezogene Charaktere vor.
Beispielsweise fällt die palästinensische Ärztin Shirin auf die Tricksereien des Hauptkommandanten der Militäreinheit Doron Kavillio rein. Mit Leichtigkeit verführt er sie und spielt den Liebhaber, um Informationen über den „Panther” zu sammeln. Nisreen, Abu Ahmeds Frau, ist ein weiteres Beispiel für die Verlogenheit der Serie. In einer Folge wird sie gezwungen, mit dem Mossad, dem israelischen Auslandsgeheimdienst, zusammenzuarbeiten, um im Gegenzug eine Erlaubnis zur Flucht aus Palästina zu erhalten.
So stellen Serien wie Fauda oder Messiah die Dynamiken zwischen Männern und Frauen auf eine orientalistische Weise dar. Sie eignen sich die lokale Handlungsfähigkeit der palästinensischen Frauen stark an und geben sie als rückständig, unehrlich, irrational und in einigen Szenen sogar barbarisch wieder. Das einzige Interesse der Frauen scheint die Befriedigung ihrer Männer zu sein.
So negieren die Macher:innen die vielen Opfer, die palästinensische Frauen in unserem und ihrem langen Kampf für Befreiung erbracht haben. Denn seit Jahrzehnten kämpfen palästinensische Frauen für ihre Selbstbestimmung und ziehen dabei gegen zwei mächtige Gegner ins Feld: gegen den israelischen Siedlerkolonialismus und gegen die patriarchalen Strukturen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft.
Wie eng die Verflechtungen zwischen beiden sind, zeigt die feministische Tal'at-Bewegung deutlich, der Tausende von Frauen angehören. Ihr Motto lautet „Es gibt kein freies Land ohne freie Frauen“. Palästinensische Frauen sind daher ebenso Rebellinnen, wie Rosa Luxemburg und Hannah Arendt es waren – und als solche müssen sie dargestellt werden.
Soft Power: Wenn die Unterhaltung zur Propaganda wird
Manche mögen sagen: „Fauda ist doch nur ein Drama. Was kümmert dich das?“. Doch ein Drama ist wirkmächtig. Denn die Serie nutzt aus, dass viele Zuschauer:innen sie für einen Thriller halten, während sie in Wirklichkeit ein Vehikel der politischen Propaganda Israels ist.
Die zweite Staffel zum Beispiel enthält einen Handlungsstrang, in dem Mitglieder des selbsternannten Islamischen Staates aus Syrien kommen, um Israel zu bekämpfen. Das ist schlicht provokant. Einmal mehr werden hier Israels Aktionen im Namen der Selbstverteidigung heruntergespielt.
Dabei erhöht Fauda die visuelle Machtasymmetrie zwischen beiden Seiten und blendet die Realität vor Ort aus: Palästinenser:innen wird ihr Recht verweigert, als normale Menschen zu leben, sie werden ihres Rechts auf Gesundheit beraubt, ihnen wurde verboten, ohne eine israelische Genehmigung zu reisen oder in ihre Häuser zurückzukehren – und das seit 73 Jahren. Doch die legitimen Beschwerden und den Kampf der Palästinenser:innen für Gerechtigkeit ignoriert die Serie. Stattdessen rückt sie die „islamische Bedrohung“ in den Fokus und nährt so schlimmste Stereotypen. Fauda kehrt alles genau so um, wie es in der israelischen Propaganda üblich ist. Die Serie setzt damit alle Palästinenser:innen mit Terrorist:innen oder deren Sympathisant:innen gleich und verzerrt die Wirklichkeit.
Ich bin gegen die ganze Waffenindustrie, weil ich mein Leben lang in einem „Versuchslabor” gelebt habe. Ich möchte keine Dramen sehen, in denen Frauen vergewaltigt werden oder Gewalttaten gegen Kinder und alte Menschen heruntergespielt werden.
In der allerersten Folge der Serie überfällt eine Undercover-Einheit unter der Leitung von Doron Kavillio eine palästinensische Hochzeit, um den „Panther" gezielt zu töten. Sie werden entdeckt und die Mission scheitert. Doch auf der Flucht töten sie den Bruder des „Panthers“, Bashir, den Bräutigam und weitere Palästinenser:innen.
Das alles wird als Tötung für eine gerechte Sache gerechtfertigt, weil der „Panther“ ein „Terrorist“ ist. Was ist das für ein „Drama“, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechtfertigt und Verbrecher:innen verherrlicht, während es den Zuschauer:innen Angst vor meinem Volk macht?
Der Artikel „Wie Fauda den widerwärtigsten Aspekt von Israels Besatzung romantisiert hat“ in der israelischen Tageszeitung Haaretz hebt solche Parallelen hervor. Die Autorin Hagar Shezaf präsentiert die Geschichte von verdeckten Mista'aravim, die als palästinensische Journalist:innen getarnt die größte palästinensische Universität Birzeit stürmten und einen Studentenführer verhafteten. Aktionen wie diese finden gegen palästinensische Student:innen in den besetzten Universitäten der Westbank ständig statt. Shezaf argumentiert, dass die israelischen Medien, anstatt sich über die Razzia in einer palästinensischen Universität mitten in Ramallah zu empören, „ihr höchstes Lob aussprachen: 'Genau wie 'Fauda'.“
Kriegsverbrechen gegen Palästinenser:innen in Unterhaltung zu verwandeln, ist unmoralisch und rassistisch. Palästinenser:innen so darzustellen, ist orientalistisch und entmenschlicht sie. All diese verzerrten Darstellungen sind sinnbildlich dafür, wie Israel versucht, nicht nur die Palästinenser:innen, sondern auch andere Gruppen in der Region als entweder unzivilisiert oder modernisiert und zum „Westen“ gehörend zu kategorisieren. Niemals jedoch werden diese Menschen „normal“ dargestellt. Sie sind nur der Feind, der Fremde und vor allem der „Andere“. Ich habe nur eine Staffel von Fauda gesehen. Sie hat mich wütend gemacht und widert mich an.
Ich habe angefangen, mir vorzustellen, wer die Menschen sein könnten, die sich diese Serie ansehen und wie sie auf uns Palästinenser:innen reagieren könnten. Denn sie erleben uns nur als furchterregende und „exotische“ Kreaturen, die an Orten leben, in die sich nur spezielle Sicherheitseinheiten trauen.
Werden sie danach Angst vor uns haben und unsere Städte und Häuser meiden? Ich frage mich: Wenn ich nicht unter israelischer Apartheid und Kolonialismus in Gaza aufgewachsen wäre und nie Westasien und Nordafrika besucht hätte, würde auch ich glauben, dass Israel eine „belagerte Demokratie“ mit einer „Armee von hohen moralischen Werten“ ist?
Wann werden unsere Geschichten, Ideen und Erzählungen endlich gesehen und gehört?
Netflix muss Fauda sofort verbieten und zwar mit der Begründung, dass die Serie die israelischen Kriegsverbrechen beschönigt. Wenn Netflix eine solch offenkundig rassistische Sendung ausstrahlt, übernimmt der Streamingdienst weder soziale noch politische Verantwortung. Im Gegenteil, das Unternehmen finanziert und bietet weiterhin heuchlerische Filme an, wie The Angel, The Spy Who Fell to Earth und die Serie The Messiah, in der es von Stereotypen und palästinensischen Selbstmordwesten nur so wimmelt. Diese Produktionen entstanden im Zuge des „Kriegs gegen den Terror"“ und sind gleichzusetzen mit Zero Dark Thirty oder Homeland.
Solche Filme verstärken Vorurteile, Rassismus und Abgrenzung. Sie tragen dazu bei, dass eine Politik der Apartheid zunehmend universell wird. So erscheinen nur noch die neoliberal-kapitalistischen und mehrheitlich weißen Staaten als stark. Das Unternehmen lässt visuelle Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu und beschönigt dabei neoliberale Regime.
Für Marginalisierte hält Netflix dagenen nur eine kleine Nische bereit. Es ist ein moralisches Versagen der Filmindustrie, dass die Zensur und das Brandmarken von Palästinenser:innen, Muslim:innen und Araber:innen als Terrorist:innen geduldet wird. Der globale Süden verkommt zu einem Produkt der Unterhaltung, des Tourismus und des Neokolonialismus. Damit schüren diese Filme Ängste, Vorurteile und Stereotypen, wovon aber nur diejenigen profitieren, deren Pässe im globalen Norden ausgestellt werden.
Wann werden sich Schwarze, Indigene, Kaschmiris, Iraker:innen, Vietnames:innen, Iraner:innen und Afghanen:innen mit ihren Ideen und Erzählungen bei Netflix und in der visuellen Sphäre repräsentiert fühlen? Seit Jahrzehnten starten sie Aufrufe, damit sie endlich selbst Filme machen können, die ihre Geschichten und Narrative jenseits kolonialer und kapitalistischer Interessen erzählen.
Es braucht einen kulturellen Boykott, der es der Öffentlichkeit ermöglicht, ihre Ignoranz abzulegen und echte Werte der Empathie, Solidarität und des Mitgefühls zu entwickeln. Eines Tages werden wir, das palästinensische Volk, unsere Filme auf die gleiche Weise machen, wie schwarze Amerikaner:innen und Südafrikaner:innen ihre Filme produzieren.
Wir werden unsere Geschichte und unsere Erzählung im Angesicht von Faschismus und Kolonialismus zurückfordern. Es ist ein langer Weg bis dorthin. Einer, der damit beginnt, solche Unternehmen wie Netflix zu entlarven, die eine Form der Diskriminierung und Hassrede so schmieden und zulassen, dass sie im Namen der Unterhaltung akzeptiert werden.