Der Bundestag prüft ein Verbot der Grauen Wölfe. Ist das Vorgehen gegen die türkischen Rechtsradikalen ein Schritt in die richtige Richtung? Das lässt sich nur im gesamtgesellschaftlichen Kontext beurteilen, findet Leon Wystrychowski.
Bozkurtlar, „Graue Wölfe“, oder auch Ülkücüler, „Idealisten“, nennen sie sich selbst, von Beobachter*innen werden sie dagegen als größte rechtsradikale Gruppierung in Deutschland eingeschätzt. Zu ihren Symbolen zählen die drei Halbmonde auf rotem Untergrund und der sogenannte Wolfsgruß. Ihre Ideologie ist ein kruder Mix aus großtürkischem Nationalismus, folkloristisch- statt orthodox- oder politisch-sunnitischem Islam, vermeintlich prä-islamischer türkischer Mystik und europäischem Faschismus, den sie insbesondere dem Nationalsozialismus entlehnt haben.
Zentral ist dabei vor allem eine antikurdische, antialevitische, antisemitische und antikommunistische Ideologie. Ihre Mutterorganisation ist die 1969 von dem rechtsradikalen Militär Alparslan Türkeş (1917 - 97) gegründete Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) sowie deren Abspaltungen BBP und İyi Parti.
In Deutschland sind die türkischen Rechtsradikalen bereits seit Ende der 1960er Jahre aktiv, zum Teil unter Namen wie „National-Sozialistische Türkische Arbeiterbewegung“. Ab den 80ern organisieren sie sich meist unter weniger eindeutigen Labeln in Kultur- und Sportvereinen, Moscheegemeinden, den Unionsparteien und der SPD. Diese Strategie war allerdings nicht auf staatliche Beobachtung in der Bundesrepublik zurückzuführen, im Gegenteil, sondern auf den Militärputsch 1980 in der Türkei.
Dort wurde die MHP zwischenzeitlich offiziell verboten, während ihre Kader zugleich immer stärker mit dem Staat verschmolzen. Sie wurden zum Bestandteil dessen, was als „tiefer Staat“ (derin devlet) oder „Ergenekon“ zwar allgemein bekannt, aber bis heute nie ganz aufgeklärt wurde: Ein Komplex aus Eliten, hochrangingen Militärs, Rechtsradikalen, antikurdischer Konterguerilla und Mafia. Auch hier tauchten die Grauen Wölfe in staatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen ein und verübten zugleich immer wieder Terror gegen linke oder gewerkschaftlich organisierte Türkeistämmige sowie türkische Kritiker*innen, Kurd*innen und Alevit*innen.
Unterwandert oder integriert?
Rassismus, Gewalt gegen Minderheiten und politische Gegner*innen, Verbindungen zum organisierten Verbrechen — Gründe, die Grauen Wölfe zu bekämpfen, gibt es offenbar genug. Nur ist das in der Bundesrepublik nie passiert, jedenfalls nicht von staatlicher Seite. In den Verfassungsschutz-Berichten der 70er und 80er Jahre werden die MHP und ihre Ableger zwar als „extrem nationalistisch“ bezeichnet, aber explizit nicht als gewalttätig oder als Gefahr für das friedliche Zusammenleben in der BRD eingeschätzt.
In den 90ern und 2000ern kommen sie über Jahre sogar überhaupt nicht vor oder werden lediglich beim Namen genannt. 2011 schließlich widmet man sich erstmals seit Langem ausführlicher dem Thema: Die Grauen Wölfe werden als rassistisch, in erster Linie aber als „integrationshemmend“ eingeschätzt.
Tatsächlich waren die Bozkurts stets sehr gut integriert — jedenfalls in ihrer Rolle als Spalter*innen: Die BRD hatte in den 60ern gezielt Arbeitsmigrant*innen aus ländlichen Regionen der Türkei angeworben, weil sie hoffte, diese verstünden es nicht, sich gewerkschaftlich zu organisieren und seien somit leichter als billige Arbeitskräfte auszunutzen. So kam ihnen eine Bewegung, die unter den türkeistämmigen Arbeiter*innen Antikommunismus und spalterischen Ethnonationalismus verbreitete, durchaus gelegen.
Die Grauen Wölfe erhielten vor allem von CDU/CSU politische Rückendeckung; Unions-Politiker*innen mieteten Säle für MHP-Versammlungen und wurden umgekehrt als Ehrengäste eingeladen; an den Unis arbeiteten von Grauen Wölfen dominierte Listen mit dem Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) zusammen und auf Parteiebene traten Bozkurts in die Union, später auch in die SPD ein.
Bereits 1978 kam es zu einem Treffen zwischen dem langjährigen CSU-Spitzenpolitiker Franz-Josef Strauß und Alparslan Türkeş, einer der Gründer der MHP, bei dem Strauß versprach, für die MHP „ein günstiges politisches Klima in der Bundesrepublik“ schaffen zu wollen. Bei einigen seiner Aufenthalte in der BRD soll sich Türkeş gezielt mit westdeutschen Unternehmern getroffen haben. Inwiefern VS und BND gezielt am Aufbau der Grauen Wölfe beteiligt waren, ist strittig. Dafür sind Sympathien aus der Neonazi-Szene bekannt, wobei auch hier direkte Kontakte nie bewiesen wurden.
Bekämpft wurden die Grauen Wölfe von deutschen und türkeistämmigen Linken sowie den Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wandte sich 1976 an das Innenministerium und berichtete, dass türkeistämmige Arbeiter*innen von Bozkurt-„Schlägertruppen“ systematisch eingeschüchtert würden. Der VS-Bericht desselben Jahres wies diese Berichte zurück.
Dass deutsche und türkische Linke und deren Engagement gegen jedweden Rechtsradikalismus den westdeutschen Sicherheitsorganen problematischer erschienen als die Aktivitäten der Faschist*innen selbst, ist symptomatisch. Dies galt umso mehr während des Kalten Krieges, aber auch in den 90er Jahren, als in der Türkei ein blutiger Krieg zwischen Staat und PKK ausgetragen wurde.
Auch in Deutschland kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Anhänger*innen beider Kriegsparteien. Die BRD bekannte damals Farbe: In rassistischer Manier wurden Kurd*innen medial und politisch verhetzt, ein Betätigungsverbot für die PKK verhängt und jedes politische Engagement gegen die brutale türkische Kriegspolitik als „Terror-Unterstützung“ kriminalisiert, während die Grauen Wölfe ungeschoren blieben. Vor diesem historischen Hintergrund scheint das Gerede über die „Unterwanderung“ deutscher Politik und Zivilgesellschaft durch Bozkurts absurd. Der Einfluss der MHP wurde bewusst gefördert, weil er im Interesse von Politik und Wirtschaft lag.
Kulturkampf statt Kampf gegen Rechts
Seit Strauß und den bleiernen Neunzigern hat sich einiges geändert. Mit der Regierungsübernahme der AKP wurden die alten Eliten weitgehend zurückgedrängt und Ankara schlug — nachdem die Hoffnungen auf einen EU-Beitritt nicht erfüllt wurden — einen wendigen Kurs in Richtung Regionalmacht mit autonomerer Außenpolitik ein. Dabei ging die Türkei immer wieder auf Konfrontationskurs mit den westlichen Partner*innen, zuletzt vor allem mit Frankreich. Innenpolitisch stützt sich die AKP längst nicht mehr auf den Kompromiss aus liberalem, anatolischem und kurdischem Bürgertum von einst, sondern auf eine knappe Mehrheit mit der MHP. Die NATO arbeitet derweil in Syrien eng mit dem PKK-Ableger YPG zusammen, was das PKK-Verbot in Deutschland ad absurdum führt.
Darüber hinaus vermischt sich mit dem Faktor Islam als innen- wie außenpolitischem Feindbild zunehmend der Rassismus gegen Minderheiten in Deutschland und Westeuropa mit der Propaganda gegen Widersacher auf der politischen Weltbühne. Völlig verschiedene politische und soziale Sachverhalte werden dabei zu einem kulturalistischen Brei vermengt: So verweist der reale Einfluss Ankaras auf Türkeistämmige in Deutschland vor allem auf Ausgrenzungserfahrungen, die auch die dritte und vierte Generation noch trifft.
Die von Machterhalt und Expansionsdrang geprägte türkische Innen- und Regionalpolitik dagegen ist höchst pragmatisch, wie man an den wechselnden Allianzen sehen kann. Die Verbindungen der AKP zu islamistischen Parteien müssten zudem unterschieden werden nach religiös-konservativen Schwesterparteien wie der Muslimbruderschaft und jihadistischen Milizen, die als Söldner in Konfliktregionen fungieren. Dies alles wird aber von Medien und Politiker*innen fast aller Couleur mit dem Label „Islam“ etikettiert, anstatt zu differenzieren. Muslim*innen geraten so schnell unter Verdacht, Handlanger*innen „islamistischer Kräfte“ von der AKP bis zum IS zu sein.
Auch können sich Rechte als Verfechter*innen von Meinungsfreiheit und Säkularismus aufspielen und Linke tappen mit verkürzter Kritik an Islamismus und Konservativismus unter marginalisierten Gruppen immer wieder in die Falle des Kulturkampfs. Beispiele sind Anschläge auf Moscheen aus Protest gegen die türkische Staatspolitik oder Linke, die Erdoǧan in orientalistischer Manier als „Sultan“ bezeichnen und vor „Hinterhofmoscheen“ und „Parallelgesellschaften“ warnen.
Das gleiche gilt, wenn man unmittelbar nach den Anschlägen von Frankreich, Dresden und Wien DITIB mit dem IS in Verbindung bringt. Erkennt man den Unterschied zwischen dem Konservativismus von Muslimbruderschaft oder AKP und dem Jihadismus à la Daesh nicht mehr, findet man sich schnell in einem Lager mit Sebastian Kurz, der den „politischen Islam“ zum Strafbestand erklären möchte. Diese Gefahr besteht indes auch in der Debatte um die Grauen Wölfe. So charakterisierte Beatrix von Storch (AfD) diese als „islamistische“ Organisation.
AfD schafft breiten Konsens
Kann das aber ein Grund sein, eigene Kritik nicht zu äußern? Soll man etwa ein Bozkurt-Verbot nicht unterstützen, nur weil die AfD dafür eintritt? Sicher nicht. Wichtig ist aber, zu begreifen, welchen Doppelcharakter ein solches Verbot hat. Und die Fragen zu stellen: Wieso? Und wieso jetzt? Die Beziehungen zur Türkei sind seit Jahren angespannt. Trotz der Konflikte will man den NATO-Partner aber nicht verlieren. Zudem liegt Berlin viel am Antiflüchtlingspakt mit Ankara, der die EU stabilisieren hilft. In dieser Situation ist ein mögliches Verbot des AKP-Koalitionspartners nach dem Vorbild Frankreichs ein weiterer Akt im Theater deutscher Symbolpolitik, mit dem man der türkischen Regierung vor den Bug schießt, ohne größeren Schaden anzurichten. Zugleich kann man sich als solidarischer Partner Frankreichs verkaufen.
Vor allem aber sind die innenpolitischen Dimensionen zu begreifen: Die Grauen Wölfe haben in Deutschland offenbar ihre nützlichen Funktionen weitgehend verloren: Gespalten ist die türkeistämmige Community nach zwei Jahrzehnten AKP-Regierung ohnehin; die „kommunistische“ wurde durch die „islamische Gefahr“ abgelöst. Und auch das Verhältnis des deutschen Staates zur kurdischen Bewegung hat sich entspannt: Sowohl die PYD in Syrien als auch die türkisch-kurdische HDP werden hierzulande bis weit ins konservative Lager hinein gefeiert.
Türk*innen stehen dagegen seit längerem im Verdacht, allesamt AKP-Anhänger*innen zu sein. In diesen Diskurs reiht sich auch das Bozkurt-Verbotsverfahren ein. So erklärten die Grünen, die Grauen Wölfe seien „der verlängerte Arm Erdogans” und Thorsten Frei (CDU) bezeichnete sie als „nicht integrierbar“. Die AfD stellte das von ihr geforderte Verbot zudem als nächsten Schritt nach dem Betätigungsverbot der Hizbullah dar. Dieser Logik lässt sich zustimmen, zumal beide Verbotsverfahren von der AfD angestoßen wurden.
In beiden Fällen handelt es sich um Ableger gewählter Parteien, die Teil einer international anerkannten Regierung eines souveränen Staates sind. Beide werden zudem als „islamistisch“ und „ausländerextremistisch“ etikettiert. Und beide Parteien konnte auf keinerlei Unterstützung der Bundestagsparteien hoffen. Damit waren diese von der AfD initiierten Verbote geschickt ausgewählt und dürften als Einfallstor für weitere Vorstöße dienen. Der nächste logische Schritt dürfte ein Verfahren gegen die Muslimbruderschaft — beziehungsweise was dafür gehalten wird — sein. Wie es weiter geht, hängt davon ab, wer in Zukunft als „nicht integrierbar“ gilt.
Bei diesen Verboten geht es allerdings nicht nur um die jeweilige Organisation und deren Ideologie. Es sind immer auch die zugehörigen Communities betroffen, denn die Ansage ist klar: Wer sich als Türkischstämmige*r in Deutschland politisch außerhalb des bestehenden Parteienspektrums organisiert, gilt schnell als „Erdoǧan-Anhänger*in“, als „Links-„oder als „Rechtsradikale*r“. Wer dies als Kurd*in tut, steht höchstwahrscheinlich der PKK nah, Libanes*innen der Hizbullah, Tamil*innen der LTTE; Palästinenser*innen haben immerhin den „Luxus“, dass sie manchmal in Hamas-Anhänger*innen, PFLP-Unterstützer*innen oder BDS-Aktivist*innen unterteilt werden.
Engagierte Muslim*innen stehen ohnehin generell im Verdacht, Islamist*innen zu sein. Die Wirkung ist, dass sich die Betroffenen zunehmend weiter von politischer Teilhabe und vom Eintreten für ihre Interessen abwenden. So wirkt die Kriminalisierung migrantischer Strukturen, zunächst unabhängig von deren jeweiliger politischer Ausrichtung, generell als Druckmittel, diese meist marginalisierten Gruppen weiter zum Schweigen zu bringen. Die Frage, weshalb diese Menschen sich in diesen Strukturen organisieren, wird nicht gestellt. So kommt die Politik auch nicht in die peinliche Situation, sich zu fragen, wie ihr eigenes Verhalten dazu beigetragen hat, diese Organisationen zu stärken. Das ist der gesellschaftliche Kontext, in den ein mögliches Bozkurt-Verbot eingebettet ist.
Daraus wird ersichtlich, dass es sich nicht um einen späten antifaschistischen Sieg handelt. Zwar wäre ein solcher angesichts um sich greifender rechter und rassistischer Umtriebe wünschenswert. Dass deutsche Rechtsradikale aber seit Jahren ungestört agieren, gibt der zügigen Einleitung eines politischen Verfahrens zum Verbot der Grauen Wölfe einen weiteren bitteren Beigeschmack.
Diese Offensive gegen die Bozkurts bedeutet in erster Linie, dass es der AfD derzeit gelingt, mit ihren gegen migrantische Organisationen gerichteten Forderungen breitesten Konsens herzustellen und dass sie mit ihren Inhalten, obwohl die Anträge noch symbolisch abgelehnt werden, im Parlament ohne Schwierigkeiten durchmarschiert. Das ist die eigentliche Erkenntnis dieses Verfahrens. Diese Tatsache zeigt vor dem Hintergrund, dass die politische Linke mit derselben Forderung 50 Jahre lang gescheitert ist, wo wir in Deutschland derzeit politisch stehen.