Die einen rühmen die verbindende Kraft der Kulturdiplomatie, andere sehen sie als Speerspitze handfester Wirtschaftsinteressen. Was leistet deutsche „soft diplomacy“ heute – und was gibt es zu kritisieren?
Im grellen Licht der Überzeichnung sieht man die Dinge klarer: Das ist der versteckte Anspruch der Comedyserie „Das Institut – Oase des Scheiterns“, deren zweite Staffel im Frühjahr 2020 im BR Fernsehen ausgestrahlt wurde. Das fiktive deutsche Kulturinstitut in einem ebenso fiktiven „Kisbekistan“ fährt vieles auf, was man der Kulturdiplomatie unterstellt: Vordergründig sind alle weltoffen und engagiert, doch hinter der Fassade treten immer wieder deutsche Leitkultur-Arroganz und latenter Rassismus zu Tage. Auf Augenhöhe geschieht hier wenig. Das ist sehr oft sehr lustig – aber wieviel Wahrheit steckt darin?
Unverkennbar ist die fiktive Organisation dem Goethe-Institut nachempfunden. Die Münchner Zentrale des offiziellen deutschen Kulturinstituts wird 2021 stolze 70 Jahre alt, und genauso lange begleitet sie der Vorwurf, sie sei die versteckte Speerspitze handfester Wirtschaftsinteressen.
Historisch betrachtet trifft das durchaus zu: „Mit dem beginnenden 20. Jahrhundert entstand der Drang nach kultureller Beeinflussung anderer Völker, der in den Propagandafeldzügen der faschistisch regierten Länder kumulierte“, schreibt Horst Harnischfeger 2018 in „Aus Politik und Kultur“, einer Schriftenreihe des Deutschen Kulturrats. Kein Wunder, dass sich die Bundesregierung heute um ein anderes Framing bemüht. Genau genommen tun Politiker*innen das schon seit Jahrzehnten. Kulturdiplomatie diene dem partnerschaftlichen Dialog und eröffne Gesprächskanäle, die der Politik verschlossen blieben, hieß es bereits 1975 in einem Bericht der Enquete-Kommission „Auswärtige Kulturpolitik“ des Bundestages.
Gerade in der WANA-Region soll „soft diplomacy“ heute vor allem stabilisierend wirken. Die „weiche Diplomatie“ ist seit langem ein Pfeiler deutscher Außenpolitik, rückte seit den Aufständen von 2011 aber noch stärker in den Fokus. Unter dem damaligen deutschen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wurde im Auswärtigen Amt die „Transformationspartnerschaft mit der arabischen Welt“ entwickelt. Bis heute laufen unter diesem Dach zahlreiche Projekte, vor allem in Ägypten und Tunesien, aber auch in Marokko, Libyen, Jordanien, Libanon, Jemen und Irak.
Deutsche Kulturdiplomatie stärkt auch Diktaturen
Auch wenn das Auswärtige Amt die Programme in zwei Kategorien teilt – einerseits für Kultur und Bildung, andererseits zur Stabilisierung: Die Ideen liefern dieselben Köpfe, das Geld kommt aus denselben Töpfen. „Stabilisierung“ aber bedeutet immer auch: Kontrolle über Migrationsbewegungen, brutaler gesagt: Fluchtabwehr, vor allem durch die nordafrikanischen Staaten. Indirekt werden also auch Diktatoren durch die deutsche Kulturdiplomatie gestärkt, etwa Abdel Fattah al-Sisi in Ägypten. Das ist natürlich nicht ausschließlich so. Es wäre unfair, die vielfältigen Projekte und engagierten Menschen, die sie umsetzen, über einen Kamm zu scheren. Aber: Ganz so „soft“ ist die Diplomatie eben auch nicht.
Zu den sogenannten „Kulturmittlern“ zählen neben dem Goethe-Institut auch das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa), der Deutsche Akademische Auslandsdienst (DAAD), die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und auch die Deutsche Welle. Vom Ausland betrachtet, etwa aus den WANA-Ländern, sind die Unterschiede oft schwer erkennbar. So gab es im Rahmen der Transformationspartnerschaft seit 2011 verschiedene Journalist*innenprogramme, die teils federführend vom Goethe-Institut, andernorts aber von der GIZ oder von der Deutschen Welle organisiert wurden.
Allerdings: „In der Region“, so eine unter Diplomat*innen verbreitete Formulierung, wissen viele Menschen sehr genau, wie sie die Projekte und Programme gut für sich nutzen. Illusionen macht sich kaum jemand. „Natürlich schwingt immer ein Hauch des Kolonialen mit“, sagt die Tunesierin Azza Chaabouni, die als Dozentin, Kuratorin und Editorin im Filmbereich arbeitet. „Aber wir sind keine Opfer.“ Ihr gegenüber seien die Goethe-Leute immer respektvoll entgegengetreten, beim französischen Pendant des Goethe-Instituts, dem Institut français, habe sie allerdings durchaus anderes erlebt: „Vielleicht liegt es an unserer gemeinsamen Kolonialgeschichte, jedenfalls hieß es dort oft: Wir zeigen euch jetzt mal, wie dies und das funktioniert.“
„Soft diplomacy ist ein Verteidigungsmechanismus“
Dass die deutschen Organisationen in der Regel respektvoll auftreten und die Augenhöhe suchen, hört man häufig. Dennoch ist die strukturelle Ungleichheit hoch: Hier der deutsche Staat als großzügiger Geber von Geld, Expertise und sonstiger Unterstützung, dort die Empfänger*innen. Was das dem Staat bringt? „Soft diplomacy ist ein Verteidigungsmechanismus“, sie diene dazu, eigene Interessen zu bewahren, glaubt Nada Sabet. Die ägyptische Kulturmanagerin und Regisseurin hat in den vergangenen Jahren an mehreren Programmen des Goethe-Instituts teilgenommen. Auch ein gewisses Schuldgefühl spiele eine Rolle: „Je besser es jemandem geht, desto mehr möchte er oder sie altruistisch handeln. Zumindest in Teilen gilt das auch für die politische Ebene.“
Dabei spielt vor allem ein Wort eine große Rolle – in den politischen Leitlinien wie auch in den Einzelprogrammen: Nachhaltigkeit. Ifa, GIZ und DAAD möchten nicht mit der Gießkanne Geld verteilen, sondern Anstöße geben, Impulse setzen. Hilfe zur Selbsthilfe heißt das viel beschworene Mantra deutscher internationaler Zusammenarbeit. Zweifellos funktioniert das oft gut: Der Bibliotheksbus des Kairoer Goethe-Instituts zum Beispiel sollte Kindern abseits der großen Städte Lust aufs Lesen machen. Über die Jahre erreichten die beiden ägyptischen Projektmitarbeiter nach eigenen Angaben mehrere tausend Kinder. Das Institut selbst nahm sich sehr zurück und übergab den 2013 aus Deutschland importierten Bus schließlich an eine ägyptische Stiftung.
Doch wie nachhaltig können sich Beziehungen entwickeln, wenn die Leiter*innen der deutschen Institute alle paar Jahre weiterziehen, genauso wie die Führungsebene darunter? „Dann verändern sich auch die Projekte, je nachdem, wie ihre Interessen sind, was zu ihren Zielen passt oder was gerade im Trend liegt“, sagt Nada Sabet. „Von Nachhaltigkeit kann in diesem System keine Rede sein.“ Vielleicht stößt hier auch der deutsche Glaube an das Amt als Personifizierung einer beruflichen Rolle an seine Grenzen. Viele Menschen möchten eben nicht übergangslos mit „der neuen IL“ – so die Kurzbezeichnung für die Institutsleitung – kommunizieren, sondern mit einer Katharina, einem Stefan, einem Menschen.
Es sind vor allem die kleinen, weniger staatstragenden Projekte, die zeigen, was neugieriger, nicht rein interessengeleiteter kultureller Dialog leisten kann. Der Fotograf Sebastian Backhaus fotografierte, vor der Corona-Krise, vor allem in Irak und Syrien. Seine Fotos werden international veröffentlicht. Ende 2019 kaufte er einen Schwung Einwegkameras, verteilte sie an Kinder einer Gemeinde im Nordirak und brachte ihnen bei, wie man fotografiert. Die Bilder sollen bald auch in Deutschland gezeigt werden.
„Wir wollen die Menschen hierzulande für die Realitäten vor Ort im Irak sensibilisieren“, sagt Backhaus. „Damit drehen wir das Ganze endlich mal um, jetzt erklären die irakischen Kinder mal den Deutschen was.“ Das von der GIZ beauftragte Projekt habe tolle Ergebnisse gebracht, trotzdem fragt er sich: „Warum bin ich eigentlich der Fotograf, der aus Deutschland eingeflogen wird, und warum macht es nicht einer der exzellenten Fotojournalisten, die im Irak geboren sind und die Sprache sprechen?“
Brain drain und handfeste Wirtschaftsinteressen
Apropos Sprache: Die Kernaufgabe der Goethe-Institute ist der Deutschunterricht. Lernende aus aller Welt sitzen in den Kursen, um – ja, warum eigentlich? Damit Ägypterinnen in Callcentern billig deutsche Mobilfunk-Kunden betreuen? Natürlich, Sprachkenntnisse sind ein Schlüssel zur Welt, und es ist allemal besser, in einem Callcenter zu arbeiten, als auf der Straße zu leben. Aber die Kosten für die Kurse sind trotz Teilfinanzierung durch deutsches Steuergeld happig. Weil viele Menschen nach Deutschland möchten, sieht das Goethe-Institut die Sprachkurse als vorgelagerte Integrationsmaßnahme. Kritiker*innen halten entgegen: Es sei eher eine Selektionsmaßnahme.
Manche Widersprüche sind schwer aufzulösen. Kompliziert wird es vor allem, wenn die deutsche und europäische Innenpolitik von dem berührt wird, was im Ausland passiert. Wenn etwa eine angehende Ärztin aus Amman im Goethe-Institut Deutsch lernt und Netzwerke knüpft, schließlich in Deutschland ihren Abschluss macht und in Hamburg arbeitet, fehlt sie dem jordanischen Gesundheitswesen.
Es ist ein klassisches Beispiel für den „Brain drain“, den zumindest manche der kulturdiplomatischen Projekte zusätzlich befeuern. Dieses Argument freilich wird von deutschen Rechtspopulist*innen missbraucht, wenn sie syrischen Wissenschaftler*innen sagen, sie sollen doch bitte „zurück“ und „ihr Land aufbauen“. Angesichts der dort zu erwartenden Verfolgung und Bedrohung ist das mehr als zynisch – aber es verfängt.
Wer will, kann im Titelsong der Serie „Oase des Scheiterns“ heraushören, dass hier die „Oase des Shaitans“ besungen wird – des Teufels im Arabischen. Das ist plump und subtil zugleich, und deshalb treffend für die Kulturdiplomatie als solche: Während des Janadriyah-Kulturfestivals in Riad 2016 etwa hatten auch die Firmen Lürssen und Airbus im deutschen Pavillon einen Stand. Beide stellen auch Militärtechnik her, die Stände waren die bestbesuchten.
Knallharte Wirtschaftsinteressen unter dem Deckmantel der „soft diplomacy“? Vorurteil erfüllt. Und doch zeigte sich nur wenige Meter entfernt die Stärke von Kulturpolitik, als sich eine saudische Frau, vielleicht Mitte zwanzig, versunken zu den Klängen einer Band bewegte. Die Musiker*innen waren auf Einladung des Goethe-Instituts gekommen. Am Ende des kleinen Konzerts sagte die Frau, sie habe gerade zum ersten Mal überhaupt in der Öffentlichkeit und unter Fremden getanzt. Das sei vielleicht im Urlaub in Dubai möglich gewesen, in Saudi-Arabien selbst war es damals noch verboten.
Transparenzhinweis: Der Autor hat in den Jahren 2012/13 und 2015/16 in Ägypten und Saudi-Arabien für das Goethe-Institut gearbeitet.