Pakistans Cricket-Star Imran Khan konnte die Parlamentswahlen am 25. Juli für sich entscheiden. Der ehemalige Playboy möchte das Land umkrempeln und fordert ein Ende der Korruption. Eines seiner Ziele hat sich bereits erfüllt: die Politikerdynastien Bhutto und Scharif wurden durch die Wahl geschwächt. Wird dafür das Militär im Hintergrund die Fäden ziehen, oder wird es tatsächlich ein Naya Pakistan – ein „neues Pakistan“ – geben?
Der 25. Juli stand in Pakistan unter keinem guten Stern: Zwar hatte die pakistanische Regierung zur Absicherung der Parlamentswahlen an jenem Mittwoch bereits im Vorfeld zu weitreichenden, sicherheitspolitischen Maßnahmen gegriffen. So schloss Islamabad am 24. und 25. Juli zwei Grenzübergänge zu Afghanistan, während die afghanische Regierung versprach, auf ihrer Seite der Grenze für Sicherheit zu sorgen. Auch wurden 340.000 Soldaten abkommandiert, um bei der Wahl für Sicherheit zu sorgen.
Wie sich zeigen sollte, waren diese Sicherheitsbedenken berechtigt – die Gegenmaßnahmen jedoch nicht ausreichend: am Wahltag tötete ein Selbstmordattentäter in der Stadt Quetta 128 Menschen.
Auch bei der Durchführung der Wahlen gab es Ungereimtheiten:
Wie die dpa-Korrespondentin Veronika Eschbacher, die für die Wahl extra aus Afghanistan nach Pakistan reiste, berichtete, war pro Wahlurne ein Soldat vorgesehen. Allerdings nahmen es die Soldaten nicht immer so genau und gingen zumindest in einem Wahllokal in Islamabad stetig ein und aus. Laut Eschbacher sollen sie sogar noch bei der Stimmauszählung anwesend gewesen sein.
Pro Wahlbox war ein Soldat vorgesehen. So genau war es dann in dieser Wahlstation in Islamabad aber nicht, die Soldaten gingen ein und aus. Die Militärs sollen auch bei der Stimmauszählung noch präsent sein. #pakistan pic.twitter.com/1TaPyiN56A
— Veronika Eschbacher (@VEschbacher) 25. Juli 2018
(mehr interessante Twitter-Accounts zu Pakistan finden sich auf zenith.de)
Aber der Wahltag brachte auch gute Nachrichten mit sich. Beispielsweise gab es bei dieser Wahl einen zehn Prozent-Schlüssel für Frauen. So mussten in jedem Wahlkreis mindestens zehn Prozent der abgegebenen Stimmen von Frauen stammen, damit das Ergebnis gültig ist. Dieses Gesetz, das speziell für sehr konservative Stammesregionen wie Khyber Pashtunkhwa auf den Weg gebracht worden war, ermöglichte es nun vielen Frauen in solchen Gegenden, zum ersten Mal zu wählen. Viele Frauen nahmen diese Gelegenheit wahr und traten erstmals in ihrem Leben den Gang zur Wahlurne an.
Imran Khan und der Kampf gegen Korruption
Am Ende machte Imran Khan mit seiner Partei der Gerechtigkeit (PTI, Pakistan Tehreek-e Insaf) das Rennen. Er holte 116 der 272 direkt wählbaren Sitze im Parlament. Weitere 70 Sitze sind für Frauen und Minderheiten reserviert und nicht direkt wählbar. Für eine Regierungsbildung sind 116 Sitze der insgesamt 342 also zu wenig. Allerdings kann Khan Berichten zufolge nun insgesamt 173der Stimmen im Parlament, unter anderem durch Unterstützung von Frauen und Minderheiten, auf sich vereinigen. Laut pakistanischer Verfassung braucht ein Kandidat im ersten Wahlgang des Parlaments mindestens 172 Stimmen, um vom Präsidenten als Premierminister vereidigt zu werden. Die entsprechende Wahl sollte ursprünglich am 11. August stattfinden, war jedoch auf den 18. verlagert worden.
Seine Direktwahl ermöglicht es Khan, eine Koalition mit seinen politischen Rivalen der beiden anderen großen pakistanischen Parteien, der Pakistanischen Muslimliga (PML-N) und der Pakistan Peoples Party (PPP) zu umgehen. In beiden Parteien dominieren Familien: in der PML-N die Scharif-Familie, in der PPP die Bhutto-Familie. Im Rahmen seines Anti-Korruption-Wahlkampfes brandmarkte Khan beide Familien bereits als korrupt und unterstellte ihnen, vom Feudalsystem im Land zu profitieren.
Khans gesellschaftlicher Gegenentwurf zur Macht der korrupten Führungselite gründet in einem islamischen Wohlfahrtsstaat. Als Vorbild nennt er den islamischen Propheten Muhammad. So wie dessen weltliches Reich in Medina für Witwen und Arme sorgte, so solle dies auch Pakistan tun. Es solle ein Land für alle Menschen, nicht nur für Eliten, werden. Mit diesem Versprechen konnte Khan in einem Land, in dem 29,5% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben und 2012 weniger als ein Prozent der Einwohner*innen Einkommenssteuer bezahlte, große Teile der Bevölkerung auf seine Seite ziehen. Nun setzt er darauf, dass die Wohlhabenden Pakistanis höhere Steuern zahlen und damit die Armen unterstützen. Für die Steuer benutzte er den Begriff zakat, die islamische Armensteuer.
Seine eigene Bescheidenheit zelebriert Khan derweil stets öffentlich. So ließ er sich nach der Wahl auf dem Weg zu einem Kongress in Peshawar filmen. Der Twitter-Account seiner Partei PTI betonte, dass für Khan keine Straßenblockaden oder ähnliches nötig seien – er nehme wie jeder andere am Verkehr teil.
No protocol, no road blockade, driving like an ordinary citizen of Pakistan :: PM elect @ImranKhanPTI along with his comrades passing through the roads of #Peshawar without causing any inconvenience to the Peshawar people #KPKUpdates pic.twitter.com/02bwcJhl1J
— PTI (@PTIofficial) 7. August 2018
Kritische Medien als Feindbild
Wird Khan also tatsächlich der Heilsbringer Pakistans, als der er sich ausgibt? Das ist zumindest zu bezweifeln. Auch ist zweifelhaft, wie unabhängig der Cricket-Star tatsächlich ist. Laut Hameed Haroon, Chef des Medienhauses Dawn, das seit seiner kritischen Berichterstattung auf Kriegsfuß mit dem mächtigen pakistanischen Militär steht, greift mit der Wiederwahl Khans nun eben jenes Militär wieder nach der Macht. Nach zehn Jahren ohne Militärdiktatur wollten die Generäle durch Khan nun „eine ferngesteuerte Demokratie“ etablieren, so Haroon. All diejenigen, die derzeit offen gegen das Militär berichteten, würden bedroht, entführt oder schafften es gerade noch rechtzeitig, zu fliehen.
Auch Khan ist kein Freund freier Medienberichterstattung und bedient gerne die derzeit so prominente Fake News Rhetorik: So dankte er der BBCin einem Twitter-Post für deren „Entlarvung“ der Zeitung Dawn, die er für fehlerhafte Berichterstattung über seine Person verantwortlich macht.
Die Analystin Madiha Afzal vom Brookings Institut beschreibt Khan daher als eine Art pakistanischer Trump – nur mit besserer Wortwahl.
Trump redux, but with far better vocabulary pic.twitter.com/OInrRvQEzC
— Madiha Afzal (@MadihaAfzal) 19. Juli 2018
Enge Beziehung zum Militär
Imran Khan und das Militär sind sich in ihrem Bild der Medien, vor allem des Medienhauses Dawn, also einig. Diese Einigkeit geht jedoch weiter. Der Journalist Hasnain Kazim nannte Khan auf Spiegel Online bereits den „Ziehsohn der Armee“ und spielt damit auf seine Patronage durch die Generäle an.
Intensiviert hat sich die Beziehung zwischen beiden Seiten offenbar spätestens seit Juli 2017. Damals wurde der ehemalige Premierminister Nawaz Scharif aufgrund eines Korruptionsskandals seines Amtes enthoben. Auf Veranstaltungen machte Scharif das Militär für sein Scheiden verantwortlich. Auf der anderen Seite war Khan voll des Lobes für Qamar Javed Bajwa, den Oberkommandeur der pakistanischen Streitkräfte, eingesetzt von Nawaz Scharif im November 2016. Noch nie habe Pakistan einen General gehabt, der so stark für die Demokratie eingetreten sei wie Bajwa, so der ehemalige Cricket-Star.
Die Korruptionsvorwürfe gegen Scharif waren der Höhepunkt des Vertrauensverlusts zwischen Militär und Premierminister. Hauptgrund für die schlechten Beziehungen war, dass Scharif die zivile Kontrolle über die Generäle stärken wollte. Khan dagegen vertritt die Ansicht, dass eine Demokratie auf Basis moralischer Autorität regiere. Wenn diese allerdings nicht existiert, dann müsse physische Autorität die Basis bilden. Insofern dürfte er mit dem Militär gut zurechtkommen.
Wie der Guardian feststellte, wird Khans Politik jedoch auch Reibeflächen mit dem Militär preisgeben. Vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik hat diese staatliche Institution seit jeher das letzte Wort in Pakistan. Khans geplante Annäherung an Afghanistan und Indien sowie seine Ablehnung des Krieges gegen die Taliban stehen konträr zu der durch das Militär präferierte Politik. Khan selbst sieht das freilich anders: den bisherigen außenpolitischen Stillstand schiebt er auf die Korruption. Bisherige Regierungen hätten lediglich die Selbstbereicherung im Blick gehabt, nicht jedoch die Politik, die alle betreffe.
Ökonomische Probleme
Auch hier wird offensichtlich: Imran Khan schafft es, fast alle Themen mit der großen Leitidee seiner Kandidatur, der Korruptionsbekämpfung, zu verbinden. An dieser Idee wird sich seine Präsidentschaft messen lassen müssen. Fest steht jedenfalls, dass auf Pakistan große ökonomische Probleme zukommen. Im Geschäftsjahr Juli 2017 – Mai 2018 hat Pakistan ein Minus von 33,9 Milliarden US-$ zu verbuchen.
Viele, vor allem junge Pakistanis, trauen jedoch ausschließlich Khan zu, die bevorstehenden Probleme lösenzu können. Vieles wird jedoch auch davon abhängen, ob der Internationale Währungsfonds (IWF) dem Land demnächst einen großen Kredit gewährt oder nicht. Zwar hat Saudi-Arabien vier einhalb Milliarden US-$ und China zwei Milliarden US-$ nach Islamabad überwiesen. Allerdings benötigt das Land noch mindestens zwölf weitere Milliarden.
Der neue pakistanische Finanzminister Asad Umar wird deshalb demnächst mit dem IWF in Verhandlungen treten. Sein Faustpfand sind eine massive Privatisierungswelle und der Kampf gegen Korruption. Beides soll das Land attraktiver für ausländische Investitionen werden lassen.
Naya Pakistan
In seiner ersten Ansprache legte Khan einen Fünf-Punkte-Plan für das „Neue Pakistan“, Naya Pakistan auf Urdu, vor (eine englische Zusammenfassung findet sich auf dawn.com). Zuerst sei es wichtig, dass alle Pakistanis vor dem Gesetz gleichbehandelt werden. Dann nenn Khan zwei Vorbilder für seine Politik: Muhammad und den Westen. Von Muhammad könne Pakistan lernen, Reiche progressiv durch die islamische Armensteuerzakatzu besteuern und mehr Geld in Bildung zu investieren. Schließlich habe Muhammad alle Muslime aufgerufen sich zu bilden – ein Ideal, welches laut Khan in Pakistan nichts mehr zählt. Mitgefühl, wie es der Westen in Form von Tierrechten kennt, und Werte in der Politik, wie sie ebenfalls im Westen gesetzlich verankert seien, sind die beiden letzten Punkte in Khans Plan.
Um die ökonomischen Probleme zu lösen möchte Khan neben der Besteuerung auch ausländische Investoren ins Land holen und kündigte speziell für diesen Zweck ein Sekretariat in seinem Büro an. Kleine und mittlere Unternehmen sollen so das Rückgrat der pakistanischen Wirtschaft werden.
Dieses „Neue Pakistan“ hat neben dem Westen und Muhammad auch die Türkei unter Recep Tayyip Erdogan als Vorbild. Wie Erdogan in der Türkei möchte Khan sein Land politisch und wirtschaftlich auf stärkere Beine hieven, das Islamische in der Islamischen Republik Pakistan betonen und – so lautet ironischerweise zumindest das offizielle Narrativ – dem Militär Schranken aufzeigen.
Vor allem seine Kritiker werfen Imran Khan daher auch immer wieder vor, ein Islamist zu sein. Tatsächlich liebäugeln vor allem islamistische Parteien schon lange mit einer Unterstützung des ehemaligen Sportlers. Dieser bietet sich mit seinen Aussagen eben jenen Parteien auch an. So unterstützt er das pakistanische Blasphemie-Gesetz, durch welches auf abwertende Äußerungen über den Islam die Todesstrafe steht, und sagte 2012, dass der Kampf der Taliban in Afghanistan ein Dschihad sei, da er sich gegen ausländische Besatzer richte. Die pakistanischen Taliban lehnen Khan jedoch ab.
Mit dieser offenen Einstellung gegenüber islamistischen Gruppen ist Khan wieder nahe am Militär und dem pakistanischen Geheimdienst ISI. Auch diese sind für mehr Toleranz gegenüber Islamisten. Einzig die pakistanischen Taliban sollten bekämpft werden. Auch Khans kritischer Einstellung den USA gegenüber kann sich das Militär anschließen, seitdem Donald Trump im Januar 2018 angekündigt hat, die Militärhilfen für Islamabad einstellen zu wollen.
The United States has foolishly given Pakistan more than 33 billion dollars in aid over the last 15 years, and they have given us nothing but lies & deceit, thinking of our leaders as fools. They give safe haven to the terrorists we hunt in Afghanistan, with little help. No more!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 1. Januar 2018
Egal, wie eng sich die Beziehungen zum Militär letztendlich gestalten werden – Imran Khans Erfolg als Präsident wird schlussendlich davon abhängen, ob er die ökonomischen Probleme Pakistans lösen oder zumindest eindämmen kann. Denn auch wenn er umstritten ist – viele Pakistanis sehnen sich nach einem neuen, wirtschaftlich stabileren Pakistan, das nicht von Schlagzeilen über Terrorismus überschattet wird.