Wenn an diesem Mittwoch die Wahlberechtigten der 200 Millionen Einwohner*innen Pakistans an die Urnen gehen, geht es nicht nur um einen Regierungswechsel – sondern auch darum, ein Signal an extremistische Kräfte zu senden. Politisch geht es um einiges, nicht nur für die trans* Personen, die bei der Wahl kandidieren.
Seit seiner Gründung 1947 hat Pakistan mehrere demokratische Phasen durchlaufen, sowie vier Militärdiktaturen. Die letzte Diktatur hatte Pervez Musharraf errichtet, als Pakistan 1999 im Kargil-Krieg mit Indien um Kashmir eine Niederlage einstecken musste. Musharraf ließ daraufhin Nawaz Sharif festnehmen, verhängte den Ausnahmezustand und hielt sich bis 2008 an der Macht.
Bei den damaligen Parlamentswahlen am 18. Februar konnte die Opposition einen klaren Sieg für sich verbuchen. Innenpolitisch angeschlagen trat Musharraf deshalb am 18. August 2008 als Präsident zurück, um einem Amtsenthebungsverfahren zuvor zu kommen. Heute gilt Pakistan trotz Korruptionsskandalen und stark eingeschränkter Pressefreiheit als demokratisches Land und ruft an diesem Mittwoch zur nächsten Wahl auf.
Pakistan ist mit seinen 200 Millionen Einwohner*innen wie Deutschland eine parlamentarische Bundesrepublik, allerdings mit dem zusätzlichen Adjektiv „islamische“. Bei der bevorstehenden Wahl am 25. Juli 2018 sind 342 Parlamentssitze zu vergeben. 272 davon sind offen für alle Kandidat*innen, 60 sind für Frauen und 10 für ethnische und religiöse Minderheiten reserviert.
Die Verteilung der Ethnien im Vielvölkerstaat Pakistan. Minderheiten garantiert das Gesetz einen Sitz im Parlament. Des weiteren sind 97% der Pakistanis Muslime, circa 80% Sunniten und 10-20% Schiiten. Der Rest der Bevölkerung teilt sich in Buddhisten, Christen, Hindus und Mitglieder der in Pakistan nicht als muslimisch anerkannten Ahmadiyya auf. Quelle: Wikimedia Commons
Die vergangenen Wahlen
Bei den Wahlen im Mai 2013 konnte Nawaz Sharif, der 1999 von Pervez Musharraf abgesetzt wurde, mit seiner Pakistanischen Muslimliga (PML-N) 166 Sitze erreichen. Nachdem einige Unabhängige sich mit ihm zusammenschlossen, konnte er eine Regierung formen. Zweitstärkste Kraft wurde mit 42 Sitzen die 1967 von Zulfikar Ali Bhutto gegründete Pakistan Peoples Party (PPP). Die Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit (Pakistan Tehreek-e Insaf, PTI), welcher der ehemalige Cricket-Spieler Imran Khan vorsteht, konnte entgegen ihrer Erwartungen nur 35 Sitze gewinnen.
Nach den Wahlen warf Imran Khans PTI der regierenden PML-N vor, die Wahlen gefälscht zu haben. Daher forderte die PTI eine Neuauszählung der Stimmen, was sowohl die Regierung als auch das Oberste Gericht ablehnten. Imran Khan begann deshalb im August 2014 den Azadi-Marsch (Freiheitsmarsch) von Lahore nach Islamabad. Erst am 14. Dezember desselben Jahres, als pakistanische Taliban in eine öffentliche Militärschule eindrangen und 149 Menschen, darunter 132 Kinder erschossen, brach Khan den Azadi-Marsch ab. Eine später eingesetzte Kommission gab im Juli 2015 bekannt, dass die Wahlen nicht gefälscht waren, es jedoch kleine Unregelmäßigkeiten gab.
Wichtige Wahltemen und Hintergründe
1) Ein Ereignis, welches die anstehende Wahl überschattet, ist die Inhaftierung des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif. Nach der Veröffentlichung der Panama Papers war Sharif unter Druck geraten. Der Vorwurf: Er soll 10,6 Millionen US-$ Korruptionsgeld außer Landes geschafft haben. Daher wurde er im November 2017 seines Amtes enthoben. Im April 2018 folgte ein lebenslanges Politikverbot, am 6. Juli dann das Urteil. Nachdem er am 14. Juli wieder nach Pakistan einreiste, wurde er mitsamt seiner Tochter am Flughafen verhaftet und wartet nun auf den Beginn seiner 10-jährigen Haftstrafe. Mittlerweile ist sein Bruder Sehbaz Sharif der Vorsitzende der PML-N. Die Korruptionsvorwürfe gegen die Sharif-Familie dürften die PML-N bei der Wahl belasten.
2) Pakistan steht wirtschaftlich auf gebrechlichen Beinen. Elektrizitätsausfälle, eine schlechte Infrastruktur und natürlich der Kampf gegen die Taliban schaden dem ökonomischen Wachstumdes Landes. Nach der Wahl wird Pakistan den Internationalen Währungsfonds wie bereits 2013 wohl um einen Kredit bitten müssen. Verbesserung verspricht sich Islamabad unter anderem durch eine Handelsstraße von China bis zum Arabischen Meer und damit queer durch Pakistan.
3) Eng verbunden mit wirtschaftlichem Aufschwung sind außerdem gute Beziehungen zum Nachbarn Indien. Alle drei großen Parteien, die PML-N, PPP und die PTI haben sich auf die Fahnen geschrieben, bessere Beziehungen zu Indien zu suchen um dadurch die Wirtschaft anzukurbeln.
4) Wie der pakistanische Informationsminister Ali Zafar am 21. Juli 2018 feststellte, ist zudem die Bekämpfung des Terrorismus ein weiteres wichtiges Thema. Es überschattet den gesamten Wahlkampf, während dessen bereits mehrere Anschlägeverübt wurden. Pakistanische Medien warnen daher vor einer niedrigen Wahlbeteiligung, während Sicherheitskräfte mit Hochdruck daran arbeiten, die Wahlen zu sichern.
Die Verwaltungsgliederung Pakistans. Die Region Punjab wird mit den 141 dort zu vergebenden Parlamentssitzen wohl den Ausgang der Wahl bestimmen. Quelle: Wikimedia Commons
Die drei größten Parteien
1) Die Wahl wird vor allem unter den drei größten Parteien des Landes ausgemacht: der PML-N, der PPP und der PTI. Die PML-N gilt als eine mitte-rechts Partei, die in der Vergangenheit auch vor Kontakten zu religiösen Extremisten nie zurückschrak. Dies hat sich in den Wochen vor der Wahl jedoch geändert, die Führung der Partei geht mittlerweile auf Distanz zu extremistischen Kräften. Seit der ehemalige Vorsitzende Nawaz Sharif verhaftet wurde, betont die PML-N zudem erstmals in ihrer Geschichte die Gewaltenteilung im Staat. Andere wichtige Themen sind Infrastruktur und gute Beziehungen zum Nachbar Indien, nicht zuletzt,um die Wirtschaft anzukurbeln.
2) Bilawal Bhutto Zardari, Enkel des Gründers der PPP, Zulfikar Ali Bhutto, und Sohn der 2007 ermordeten ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto, steht der Partei derzeit vor. Die PPP gilt als linke Partei, die auf soziale Fragen setzt. So fordert sie beispielsweise eine gerechtere Verteilung des Reichtums in der Bevölkerung. Zudem sollen Provinzen maximale Autonomie erhalten und die Beziehungen zu Nachbarn wie Indien und anderen Partnern wie Saudi-Arabien und der USA verbessert werden.
3) Die 1996 von Imran Khan gegründete Partei PTI setzt vor allem auf die Themen Korruptionsbekämpfung, Gesundheit, Bildung und Energie. Außerdem betont sie ihre Opposition zu den beiden schon lange etablierten Parteien, der PML-N und PPP. In seinem 2011 erschienen Buch Pakistan: A personal History geht Gründer und Vorsitzender der PTI, Imran Khan, hart mit den bisherigen Eliten ins Gericht. Pakistan könne nicht auf die Beine kommen, solange dollarsüchtige und korrupte Eliten das Land regieren. Nur durch eine Rückbesinnung auf die Werte Muhammad Ali Jinnas und Muhammad Iqbals, zwei Personen, die wie niemand anders für das Land Pakistan stehen, könne das Land florieren.
Khans PTI könnte vor allem davon profitieren, dass der Partei, anders als bei PML-N und PPP, keine reiche Familie vorsteht. Dagegen wurden auch schon kritische Stimmen laut, die Khan Verbindungen zur Militärelite nachsagen. Viele Pakistanis sehen das Militär als den eigenen Machthaber des Landes, der angeblich selbst die Wahlen kontrolliert.
Schließlich wird jedoch die Provinz Punjab entscheiden, wie die Wahl ausgeht:141 der 272 direkt zur Wahl stehenden Parlamentssitze werden dort gewählt. Zur Wahl stehen wie in Deutschland einerseits die Partei, andererseits ein Direktkandidat vor Ort. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der PML-N und der PTI erwartet.
Für einen Überblick aller Parteien und ihrer Programme ist die englischsprachige Website dawn.com zu empfehlen.
So funktioniert die Wahl in Pakistan. Quelle: Aljazeera
Extremistische Parteien
Obwohl Sicherheit zu den Kernthemen des Wahlkampfes zählt, schafften es extremistische Parteien und Personen, die unter Terrorverdacht stehen, zur Wahl zugelassen zu werden. Allerdings konnte das pakistanische Wahlkomitee manche Extremisten – wie die der Milli Muslim League, deren Anführer Hafiz Muhammad Saeed als Drahtzieher hinter den Anschlägen in Mumbai 2008 gilt – auf legalem Weg daran hindern, sich bei der Wahl aufstellen zu lassen.
Vor allem Schiiten fürchten einen möglichen Einzug der Partei Ahle Sunnat Wal Jammat(ASWJ) ins Parlament. Führende Kräfte der ASWJ haben immer wieder betont, dass sie Schiiten als Ungläubige ansehen. Seit ein Bild des Interims-Premierminister Schahid Chaqan Sadiq von der PML-N bei einem Treffen mit der ASWJ-Führung aufgetaucht ist, ist bekannt, dass die PML-N um die Gunst der ASWJ buhlt. Angeblich wirbt auch die PTI um die Gunst der ASWJ, die sich laut eigenen Aussagen bisher für keine Seite entschieden hat.
Zudem ist noch die Partei Tehreek-e Labbaik (TeL) zu nennen, die erst 2017 vom Gelehrten Chadim Hussain Rizvi gegründet wurde. Bekannt wurde sie Ende letzten Jahres, als sie den Verkehr in Islamabad für drei Monate lang blockierte. Hintergrund war eine Gesetzesänderung, der zufolge man bei der Amtsvereidigung in Pakistan nicht mehr schwören solle, dass Muhammad der letzte Prophet war, sondern dass man daran glaube. TeL warf dem pakistanischen Justizminister Zahid Hamid daher Blasphemie vor, und dass er ein Mitglied der Ahmadiyya sei – eine islamische Strömung, die in Pakistan nicht als islamisch anerkannt wird. Das Gesetz wurde zurückgenommen, außerdem trat Justizminister Hamid zurück.
Ein Überblick über die drei extremistischen Parteien, die in Pakistan zur Wahl antreten. Quelle: Aljazeera
Trans* Personen
Bei der anstehenden Wahl gibt es auch ein Novum: zum ersten Mal kandidieren mehrere trans* Personen bei der Wahl. Zwar kennt Pakistan das dritte Geschlecht seit 2009 offiziell an und ließ schon 2013 trans* Personen zur Wahl zu. Im Mai dieses Jahres hatte Pakistan dann aber ein Gesetz verabschiedet, welches eine weitere Identität als Eintragung im Personalausweis erlaubt und trans* Personen hilft, gegen Diskriminierung rechtlich vorzugehen. Dadurch konnten sich zum ersten Mal trans* Personen offiziell zur Wahlaufstellen lassen.
Auch wenn deren Chancen gering sind und neun der ursprünglich 13 Apsirant*innen ihre Kandidatur aufgrund von Diskriminierung und mangelnder finanzieller Ressourcen zurückgezogen haben, geht es den Verbleibenden darum, Respekt für ihre Community zu schaffen. Im Gegensatz zu anderen Minderheiten ist für sie kein Sitz im Parlament reserviert.
Dies alles lässt auf eine spannende und vor allem friedliche Wahl hoffen. Wie das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der PML-N und der PTI ausfällt – beide liegen zwischen 25% und 30% – wird wohl der größte Wahlkreis Punjab entscheiden.