26.06.2013
Wohin steuert der Iran unter Hassan Rouhani? Politische Analyse eines „Mannes der Mitte“
Unterstützer Rouhanis bei einer Kundgebung vor den Wahlen. Foto: CC Tabarez2
Unterstützer Rouhanis bei einer Kundgebung vor den Wahlen. Foto: CC Tabarez2

Die Islamische Republik hat einen neuen designierten Präsidenten. Wahlsieger Hassan Rouhani ist weder radikaler Gefolgsmann Khameneis noch Vertreter des neokonservativen Lagers um den bisherigen Präsidenten Ahmadinejad. Rouhanis Sieg ist ein Erfolg des Reformlagers, das doch die vergangenen Jahre im politischen Koma lag – schließlich stehen mit Mir Housain Mussawi und Mehdi Karubi führende Reformer der Wahl von 2009 unter Hausarrest. Nun ist offen, wohin der moderate Geistliche Rouhani steuert. Eine Analyse von Henning Schmidt

Am 14. Juni wählte Iran einen neuen Präsidenten. Der überraschende Gewinner Hassan Rouhani, ein 64-jähriger Geistlicher, gilt als moderat. Rouhanis Sieg ist innenpolitisch zunächst eine Absage an die Neokonservativen um den amtierenden Präsidenten Ahmadinejad, aber auch eine überdeutliche Botschaft der iranischen Wähler an den Obersten Geistlichen Führer Irans, Ali Khamenei. Khamenei hätte wohl wesentlich lieber den ihm laut einschlägiger Analysen treu ergebenen Atomunterhändler Said Dschalilli auf dem Präsidentenstuhl gesehen. Die Tatsache, dass Rouhanis Wahl im Gegensatz zum Fall Mussawi 2009 akzeptiert wird, spricht für die Eindeutigkeit des Sieges von Rouhani einerseits und die Schwäche und Zersplitterung des politischen Establishments um Khamenei andererseits. Offenbar hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass eine Wiederholung der Ereignisse von 2009 die ohnehin stark angegriffene Legitimität des Systems restlos und irreversibel zerstört hätte.

Rouhani ist – wie im Iran üblich – kein politischer Newcomer, sondern ist bereits seit den Anfangstagen der islamischen Republik in verschiedenen Funktionen aktiv, auf die Bernd Hollerbein bereits eingegangen ist. Dies unterscheidet ihn deutlich vom zwar äußerst charismatischen, doch politisch eher unerfahrenen Ex-Präsidenten Mohammed Chatami. Rouhani verfügt über weit verzweigte Netzwerke und zeichnet sich im Gegensatz zu Ahmadinejad durch eine pragmatische Herangehensweise an Politik aus, die ihn sowohl für Reformer als auch Konservative gesprächsfähig macht. So könnte es Rouhani durchaus gelingen, seinen Handlungsspielraum gegenüber Khamenei und dem Wächterrat auszuweiten, ein Ziel, an dem Mohammed Chatami zwischen 1997 und 2005 unter anderem aufgrund mangelnder außenpolitischer Erfolge scheiterte.

Eine Ohrfeige für die Hardliner

Grundvoraussetzung hierfür ist allerdings, wie Bahman Nirumand in der taz richtig anmerkt, das Rouhani nicht nur seine Netzwerke geschickt einsetzt, sondern sich auch strategisch im innenpolitischen Ringen anders positioniert als es Chatami in seiner Amtszeit tat. Anstatt Reformen im Konsens mit anderen Fraktionen auszuhandeln, wird Rouhani versuchen müssen, das gewaltige symbolische Kapital, welches er durch seinen überzeugenden Sieg errungen hat, offensiv in Machtzuwachs umzusetzen. Die direkt vom Volk gewählten Institutionen des Systems – Parlament, Präsident und Expertenrat – sorgen dafür, dass das Regime den Volkswillen nicht gänzlich ignorieren kann. Eine hohe Beteiligung bei Wahlen stellt neben der religiösen Komponente die wesentliche Quelle für die Legitimität des Systems dar. Deshalb kann auch Khamenei trotz seiner immensen Machtfülle Rouhanis Sieg nicht einfach übergehen.

Wie aber sieht seine innenpolitische Agenda aus, und wie ist sie innerhalb des politischen Spektrums der Islamischen Republik einzuordnen?In seinem Wahlkampf schrieb sich Rouhani folgende Kernpunkte auf die Fahne:

  • Bekämpfung der Korruption und gründliche Reform der Wirtschaft;
  • Freilassung von politischen Gefangenen, insbesondere derjeniger, die seit 2009 inhaftiert wurden;
  • Lockerung der Zensur;
  • Ausbau von Frauenrechten;
  • Einführung einer Bürgerrechtscharta;
  • Lockerung der Überwachung durch die Sittenpolizei.

Betrachtet man diese Forderungen, wird klar, dass sich Rouhanis Ziele auf der politischen Achse des Iran zwischen den Reformern um Mussawi, Karubi und Chatami und den Pragmatikern um Rafsandschani einordnen lassen. Zugleich aber ist Rouhani auch Mitglied der Vereinigung der Kämpfenden Geistlichkeit, der ältesten Organisation der Islamischen Republik, die als absolut loyal gegenüber Khamenei einzustufen ist. Seine Forderungen lassen sich in dieser Gemengelage wie folgt einordnen:

Wirtschaftspolitisch bewegt sich Rouhani im politischen Mainstream. Eine Sanierung der Wirtschaft wird im Grunde über alle Strömungen der Islamischen Republik hinweg als notwendig erachtet. Da Rouhani vor allem von Ali Akbar Rafsandschani unterstützt wird, der als sein politischer Mentor gilt, steht zu vermuten, dass Rouhani einen ähnlichen Kurs wie dieser zwischen 1989 und 1997 verfolgen wird. Dies würde eine Entspannung mit dem Westen und den Nachbarn am Golf bedeuten, verbunden mit dem Ziel, die Öl- Exporte zu erhöhen. Ganz im Sinne Rafsandschanis wäre auch der Abbau von Subventionen zur Sanierung des Staatshaushalts. Denkbar ist außerdem, dass Rouhani Staatsbetriebe privatisieren und Anstrengungen unternehmen wird, die iranische Ökonomie stärker zu diversifizieren. Abzuwarten bliebe, ob er sich gegen das Unternehmensimperium der Revolutionsgarden, den Khatam al-Anbiya auf der einen und die vom Klerus kontrollierten Wirtschaftsstiftungen, die sogenannten Bonyads auf der anderen Seite durchsetzen kann. Beide können an einer stärker marktwirtschaftlichen Orientierung des Iran im Grunde kein Interesse haben, da dies ihre geltenden Privilegien in Frage stellen würde. Entscheidend dürfte daher am Ende sein, wie hoch der Reformdruck wirklich ist und wie sich das momentan als gut geltende Verhältnis zwischen Rouhani und Khamenei entwickelt.

Wirtschaftspolitisch mit dem Mainstream, gesellschaftspolitisch ein Reformer

Gesellschaftspolitisch zeigt Rouhanis Programm hingegen eine eindeutige Nähe zu den Reformern. Er geht dabei nicht so weit wie Mohsen Kadivar, Akbar Gandji oder Abdolkarim Soroush, alle drei prominente Fürsprecher der Grünen Bewegung von 2009. Diese hatten 2010 in einer Erklärung der iranischen Intellektuellen auch die Rolle Khameneis in Frage gestellt, indem sie forderten, die Institution des Obersten Geistlichen Führers zwar nicht abzuschaffen, doch seine Amtszeit zu begrenzen und ihn künftig vom Volk wählen zu lassen. Rouhani würde Khameneis Position nicht mit solcher Vehemenz angreifen; er ist kein Revolutionär und auch kein westlicher Demokrat. Doch er ist auch kein Freund der Radikalität des Regimes, sodass unterm Strich zumindest eine behutsame Öffnung des Systems in Richtung mehr Demokratie möglich erscheint. Eine Voraussetzung dafür dürften auch Erfolge in der Außenpolitik sein, die von Rouhani dann als „Währung“ genutzt werden könnten, um seine Position nach innen zu stärken.

Auch außenpolitisch steht Rouhani, gemessen an seinen bisherigen Äußerungen, auf Seiten der Reformer und für einen Kurs der Entspannung. Es dürfte nicht reine Rhetorik gewesen sein, dass Rouhani seinen Sieg als Sieg über den Extremismus bezeichnete. Aggressive und missionarische Töne, wie sie bisher aus dem Präsidentenamt zu vernehmen waren, dürften unter dem erfahrenen Diplomaten Rouhani der Vergangenheit angehören. Damit steigen die Chancen, Iran als konstruktiven Akteur zur Lösung regionaler Probleme, etwa in Syrien oder dem Irak, einzubinden. Voraussetzung dürfte aber auch bei Rouhani sein, dass der Westen und insbesondere die USA dem Iran ernsthafte Gespräche auf Augenhöhe anbieten und damit eine in der iranischen Elite weit verbreiteten Forderung nach Anerkennung entgegenkommen. Gleichwohl wird auch Rouhani nicht auf das Atomprogramm verzichten. Erstens, weil das Recht auf atomare Anreicherung einen Konsens über alle politischen Strömungen hinweg darstellt, und zweitens, weil in Sicherheitsfragen wie so oft alleine Ali Khamenei das letzte Wort hat.

Mäßigung statt radikaler Rhetorik nach außen

So bleibt zu hoffen, dass die westliche Staatengemeinschaft Rouhanis ausgestreckte Hand diesmal ergreift und die Fehler der Ära Chatami nicht wiederholt. Damals war eine Verhandlungslösung erst kurz vor dem Amtsantritt Ahmadinejads erreicht worden, die dann angesichts der veränderten politischen Wirklichkeit keine Wirkung mehr entfalten konnte. Die Präsidentschaft Rouhanis dürfte die wohl letzte Chance sein, den Atomkonflikt friedlich beizulegen.

Insgesamt ist die Wahl Rouhanis als große Chance für das Land einzustufen, seine hochgradige politische und wirtschaftliche Isolation zu durchbrechen. Rouhani selbst lässt sich als Mann der Mitte charakterisieren, der weder radikaler Reformer noch Hardliner ist. Gerade diese vermittelnde Position könnte für das Land nach innen wie nach außen eine stabilisierende Wirkung entfalten und Wege aus der seit Jahren bedrohlich festgefahrenen Situation ebnen. Der Westen sei jedoch seinerseits aufgefordert, alte Feindbilder und Reflexe zu überdenken. Nur so kann der neue Mann in Teheran von außen wirksam unterstützt werden.

Autor Henning Schmidt ist Politikwissenschaftler M.A. und arbeitet schwerpunktmäßig zu Iran und der Stellung des Landes im regionalen und internationalen System.

Hat Politikwissenschaft mit Fokus auf Westasien und Nordafrika in Marburg studiert und arbeitet als Radio-Journalist in Potsdam. Für dis:orient bespricht er Romane und Sachbücher. Foto: Jörg Pitschmann