Die linksliberale Meretz-Partei fürchtet um ihren Wiedereinzug in die Knesset, nachdem viele Anhänger diesmal die Arbeitspartei um Isaac Herzog wählen werden. Doch die Vorsitzende Zehava Galon macht deutlich, warum Israel eine linke Partei braucht.
Es läuft gut für Zehava Galon, die 59-jährige Vorsitzende und Spitzenkandidatin von Meretz, bei einer ihrer letzten Wahlkampfveranstaltungen am Montagabend in Jerusalem. Vor rund 200 Studierenden an der Hebräischen Universität spricht sie über die steigenden Lebenshaltungskosten der vergangenen Jahre. Das würden zwar alle Parteien auch tun, doch dabei den großen Elefanten im Raum ignorieren. „Was ist der Elefant?“, ruft Galon den Studierenden zu. Diese antworten fast unisono: „die Besatzung“. Es scheint wie ein Heimspiel, obwohl viele der ZuhöherInnen spontan vorbei gekommen sind, oder noch nicht wissen, was sie wählen sollen.
Doch in den Umfragen und außerhalb der Universitäten läuft es weit weniger gut für Galon und Meretz. Nachdem die Prozenthürde für den Einzug in die Knesset im vergangenen Jahr auf 3,25 Prozent angehoben wurde, muss Israels einzige linksliberale Partei um den Einzug ins Parlament kämpfen. Einige fürchten sogar, dass Meretz unter vier Sitze rutschen und damit nicht in die Knesset einziehen könnte. Das wäre das erste Mal seit dem Zusammenschluss von Ratz, Mapam und Sinui 1992, als Meretz umgehend mit 12 Sitzen ihr bestes Ergebnis erzielt hat. Während der Oslo-Jahre war die Partei eine wichtige Partnerin der Arbeitspartei unter Itzhak Rabin. Mit dem Ausbruch der Intifada allerdings verlor Meretz an politischer Unterstützung und rutsche 2009 auf den Tiefstand von nur noch drei Sitzen ab.
Der verbliebene parlamentarische Rest der Friedensbewegung
Zehava Galon ist es in den folgenden Jahren als Vorsitzende gelungen, die Partei langsam wieder nach oben zu bringen. 2013 verdoppelte sie das Ergebnis und etablierte eine engagierte Opposition in der Kensset. Meretz verkörperte so den verbliebenen parlamentarischen Rest der Friedensbewegung, die sich als einzige zionistische Partei kontinuierlich für eine faire Zwei-Staaten-Lösung mit den PalästinenserInnen einsetzt. Während diese Themen bei allen anderen Parteien kaum vorkommen und auch in der Bevölkerung nicht immer beliebt sind, vertritt Meretz hier seit Jahren eine klare Position. Dafür demonstrieren die Mitglieder auch regelmäßig. Jede Woche wehen in Ostjerusalem die grünen Fahren von Meretz, wenn Israelis und PalästinenserInnen gemeinsam gegen den Siedlungsbau im arabischen Ostteil der Stadt demonstrieren. Während des dritten Gazakrieges im vergangenen Sommer war Meretz zudem die einzige zionistische Partei, die sich klar gegen den Krieg ausgesprochen hat. Doch ihre Mitglieder mussten dafür auf Anti-Kriegsdemonstrationen in Tel Aviv nicht nur verbale Anfeindungen, sondern auch Prügel einstecken.
Bei den letzten Wahlen hatte Meretz einen Friedensplan vorgelegt, der unter anderem Räumungen von Siedlungen vorsah. Auch in diesem Wahlkampf ist der Partei von Zehava Galon die Frage nach einer gemeinsamen Zukunft mit den PalästinenserInnen daher wichtiger, als das Thema Iran, das Netanjahu immer wieder in den Vordergrund stellt.
Links ist Meretz
Meretz versteht sich als die einzige verbliebene linke Kraft im Parlament, aufbauend auf ein klares ideologisches Fundament. Überall im Land, aber vor allem in Tel Aviv sieht man auf Bussen die Werbeplakate der Partei, die verkünden: „Links ist Meretz“. Tel Aviv ist für Meretz sowieso eine wichtige Stadt. In der linksliberalen „Bubble“, wie Israels Metropole am Mittelmeer auch genannt wird, holt Meretz seit jeher die besten Wahlergebnisse. Hier treffen die Forderungen der Partei nach sozialer Gerechtigkeit, Geschlechtergleichheit, LGBTQ-Rechten und mehr Säkularismus den Nerv vieler BewohnerInnen. Meretz hat mit Nitzan Horowitz den ersten Parlamentarier in der Knesset, der sich als schwul geoutet hat und sich für mehr Rechte für Homosexuelle einsetzt.
Doch außerhalb von Tel Aviv hat es Meretz nicht so leicht. Bei vielen rechten Israelis, aber auch in der Mitte, sind Meretz-Mitglieder als naive Weltverbesserer und Palästinenserfreunde verschrien. Diese Stimmung griffen auch rechte Parteien im Wahlkampf auf. So warnte Netanjahu vor einer Wahl von Meretz und verglich die Partei mit der Hamas und dem „Islamischen Staat“.
Stimmen gehen zu Bougie und Tzippi
Doch mehr als die Angriffe von rechts, macht der Partei die beiden neuen Listenzusammenschlüsse zu schaffen. Sowohl die vereinigte (arabische) Liste als auch das „Zionistische Lager“ werden Meretz wohl Stimmen kosten. Viele WählerInnen sehen bei dieser Wahl eine gute Chance, Benjamin Netanjahu abwählen zu können, indem sie das „Zionistische Lager“ von Isaac Herzogs Arbeitspartei und Tzippi Livnis Hatnua-Partei wählen. Herzog, der mit seinem Spitznamen Bougie angesprochen wird, gilt als größter und ernstzunehmender Rivale Netanjahus. Deshalb wählen dieses Mal viele Meretz-StammwählerInnen wohl auch das „Zionistische Lager“ und nicht Meretz.
Diese Wahltaktik macht Zehava Galon und ihren MitstreiterInnen zu schaffen. Im schlimmsten Falle würde die Abwahl Bibis auch den Verlust der linken Meretz-Partei in der Knesset bedeuten. Um das zu verhindern, hat die Partei in den letzten Tagen noch mal ihre Kampagne geändert. Unter dem Motto „Stellt euch vor es gäbe uns nicht mehr“, versucht Meretz wieder WählerInnen zurück zu gewinnen. Die Vorsitzende Galon veröffentlichte mehrere Apelle und auch eine Videobotschaft mit der dringenden Bitte, für ihre Partei zu stimmen, da es sonst keine Linke mehr in der Knesset gäbe. Für die einen wirkte diese Kampagne zu weinerlich, bei anderen hatte sie anscheinend Erfolg. Die letzten Umfragen sagen Meretz vier bis sechs Mandate voraus, was den Einzug in die Kensset bedeuten würde.
„Herzog braucht eine stake Meretz-Partei an seiner Seite“
An der Hebräischen Universität klingt Zehava Galon wieder kämpferisch: „Unser Ziel ist eine Mitte-Links-Regierung. Dafür braucht Isaac Herzog eine starke Meretz-Partei an seiner Seite“. Galon führt auf, was die jetzige Regierung alles versäumt hat, insbesondere drei Jahre nach den Sozialprotesten gegen hohe Lebenshaltungskosten. Sie macht deutlich, dass Meretz einen Wirtschaftsplan entwickelt hat, der finanzielle Entlastungen bringen soll, aber auch die Ursachen angehen will. Im Gegensatz zu allen anderen Parteien ist Meretz hier eindeutig. Galon sieht die Ursachen für stetig steigende Kosten in der teuren Besatzung der palästinensischen Gebiete. „Alle wissen das, nur keiner traut sich über den Elefanten zu sprechen“, so Galon vor den Studierenden.
Als ein Student fragt, was Meretz denn wichtiger sei, dass Israel ein jüdischer oder ein demokratischer Staat sei, antwortet Galon: „Meretz ist und war immer die Partei, die das jüdische Volk und alle Bewohner Israels vertritt“. Es ist dieser kurze Satz, der den Unterscheid zwischen Meretz und anderen Parteien deutlich macht.