27.11.2019
Legal, illegal, völlig egal

Trump hat gesprochen und Netanjahu hat applaudiert. Nach US-amerikanischer Lesart des Völkerrechts sind die israelischen Siedlungen im Westjordanland seit Mitte November nicht mehr illegal. Statt eines großen Wurfes ist das allenfalls Symbolpolitik. Trump sorgt sich nur um den eigenen Machterhalt. Eine Einordnung von Tobias Griessbach.

Auf den ersten Blick wirkt es, als sei Donald Trump ein bedingungsloser Unterstützer der israelischen Rechten und des national-religiösen Appeasements von Benjamin Netanyahu. Die formelle Anerkennung der Golanhöhen zu Israel, die Verlegung der israelischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, die Schließung der palästinensischen Vertretung in Washington – all diese Entscheidungen sprechen für eine klare und einseitige Positionierung Trumps im israelisch-palästinensischen Konflikt.

Eigentlich ist es jedoch noch viel simpler. Die USA unter Trump sind nicht unbedingt dafür bekannt, vorausschauende und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Auch in diesem Fall und bei genauerem Hinsehen scheint Trumps Entscheidung vor allem impulsiv und machtpolitisch motiviert zu sein, wiewohl sie dennoch einer ganz bestimmten Logik folgt: seinem politischen Partner Netanjahu so weit wie möglich entgegen zu kommen. Die Partnerschaft zwischen Trump und Netanjahu ist nicht nur strategisch, sie hat auch etwas wesenhaftes. Denn beide Politiker beziehen viel ihrer politischen Existenz aus chauvinistischem Populismus, einer Tendenz zu informellen bis illegalen Absprachen und einer regelmäßig zur Schau gestellten Erhabenheit über die jeweiligen Landesgesetze. Und in einer weiteren Angelegenheit gleichen sich Trump und Netanjahu zweifellos: Ihrer beider Regierungen bröckeln und sind labil. Zur Sicherung ihres Machterhalts verfolgen beide die gleiche Strategie, nämlich innenpolitische Diskrepanzen durch große Symbolpolitik zu kompensieren.

Vor allem Benjamin Netanjahu war in der letzten Legislaturperiode innenpolitisch erschreckend ineffektiv. Netanjahus große, außenpolitische Entscheidungen können nicht über die massiven innenpolitischen Probleme Israels hinwegtäuschen: die Machtlosigkeit der Polizei in den arabischen Communities, eine galoppierende Gentrifizierung im Duett mit steigenden Lebenshaltungskosten, Altersarmut und die zunehmende politische Zerrissenheit der israelischen Wählerschaft. All diese Probleme werden sicher nicht dadurch überwunden, dass Siedlungen für legal erklärt werden. Ob das Haus einer Familie in Ma’ale Adumim rechtlich sauber ist, bringt einer Arbeiter*innenfamilie in Haifa nicht unbedingt das Brot auf den Teller und ändert nichts an der sowieso schon kaum vorhandenen palästinensischen Mobilität.

Die Entscheidung ändert nichts am Status Quo

Sicherlich lässt sich der Symbolgehalt der Siedlungen, ob man sie nun begrüßt oder ablehnt, und deren praktische Auswirkungen auf palästinensischen Alltag und Staatswerdung (durch Landnahme, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Übergriffe durch Siedler*innen) nicht wegargumentieren oder schmälern, dafür sind diese zu massiv und mittlerweile Teil eines gewalttätigen Mutualismus. Und dennoch, ihre physische Anwesenheit ist in der Praxis völlig losgelöst von ihrem rechtlichen Status: gebaut werden sie sowieso. Und das hat Tradition, seit sich die Impulsgeber*innen des nationalreligiösen Siedlungsbaus, Gush Emunim, über Regierung, Militär, lokal-palästinensischen Widerspruch und zivilrechtliche Bestimmungen hinweggesetzt haben. Legalität oder Illegalität ist für die Menschen vor Ort lediglich eine Frage der Perspektive, hängt die eigentliche Rechtmäßigkeit der Siedlungen doch von historischen, politischen und religiösen Glaubensfragen ab. Und für die Praxis der Inbesitznahme von Land oder Haus spielt die Gesetzeslage sowieso zunächst eine untergeordnete Rolle.

Die international einhellige Gewissheit, dass der Siedlungsbau gegen die 2. Genfer Konvention, Artikel 49, verstößt, hat allerdings eine offensichtliche Schwachstelle. Es wird nun kaum jemand abstreiten, dass diverse Kriege im und um das Westjordanland stattgefunden haben, doch die Frage, die seither konsequent im Raum steht, ist die nach den juristischen Konturen Palästinas. 1947 durch die UN zu einer Selbstverwaltung angehalten und seit 1950 erst durch Jordanien und dann durch Israel besetzt/verwaltet ist das Westjordanland sowohl Zankapfel als auch viel beanspruchtes Überbleibsel der territorialen Neuordnung des Nahen Ostens nach 1945.

Die Legitimität der Siedlungen und der Anspruch der PalästinenserInnen auf Selbstverwaltung wurde in den 1990er Jahren erneut verkompliziert, als im Zuge der Oslo-Verhandlungen israelische UND palästinensische Vertreter der treuhänderischen Verwaltung von 87% der West Bank durch israelische Behörden zugestimmt haben. Mit anderen Worten, die Gültigkeit von Artikel 49 der 2. Genfer Konvention wurde rückwirkend außer Kraft gesetzt, indem Israel das fragliche Gebiet zur temporären Verwaltung überantwortet wurde und zwar mindestens so lang, wie keine weiteren Verhandlungen die territoriale Fragen des Konflikts abschließend beantworten.

Trump und Netanjahu geht es um innenpolitische Ziele

Und genau das ist das Problem. Denn die formelle Anerkennung Trumps der Siedlungen als legal ändert nichts an der Tatsache, dass Friedensverhandlungen auf Augenhöhe nicht absehbar sind, dass ja faktisch nicht einmal Gespräche auf Augenhöhe stattfinden, und dass trotz einer relativen Ruhe, die derzeit im Westjordanland herrscht. Man muss sich einmal vor Augen halten, dass selbst während der zweiten Intifada, der blutigsten Phase des Konflikts, israelische und palästinensische Vertretungen in Taba miteinander gesprochen haben, wenn auch ohne Erfolg. Aber der Dialog hat zumindest stattgefunden. Heute gibt es nur stumpfe Machtdemonstrationen von allen Seiten, die die Siedlungsfrage benutzen, um sich vor der jeweiligen Anhänger*innenschaft zu profilieren.

Ob nun in den Autonomiegebieten, in Israel oder in den USA, der für einen „Deal des Jahrhunderts“ tatsächlich notwendige Pragmatismus wurde ersetzt durch starrhalsige Machtpolitik, die nur nach außen wirkt, wenn es der Stärkung nach innen dient. Trump beschwichtigt angesichts eines Amtsenthebungsverfahrens seine evangelikal-prozionistische Basis. Netanjahu versucht, sich vor dem nationalreligiösen Lager Israels zu profilieren und so seinen Machterhalt zu stärken, während ihm wegen Bestechung und Korruption der Prozess gemacht wird. Mahmoud Abbas wiederum verkauft seine Personalie hauptsächlich durch rhetorische Muskelspiele und die Nationalromantik des Widerstands, ohne Mandat, Regierungsprogramm, innenpolitische Stabilität oder Rückhalt in der Bevölkerung. Salopp gesagt, mit dem Rücken zur Wand gibt es nur eine Richtung, auch wenn man dabei in Kauf nimmt, die sprichwörtliche Axt im diplomatischen Walde zu sein.

Die nationale und internationale Entrüstung und Skepsis angesichts der Entscheidung Trumps ist nachvollziehbar. Aber außer einer kurzlebigen Signalwirkung ändert sich vorerst schlicht nichts. Dramatische, diplomatische Ankündigungen sind keine Gesetze und bedürfen auch keiner Mehrheit. In diesem Fall sind sie vor allem Indikatoren für machtpolitische und strategische Erwägungen und untermauern den ideologischen Standpunkt der jeweiligen Player. Das ist natürlich nur ein schwacher Trost, ist doch die Konsequenz eine Verhärtung der Fronten und ein Aufschub künftiger Friedensverhandlungen bis zu einem Datum außerhalb jeglicher Sichtweite.

 

Tobias Griessbach ist Konfliktethnologe, Veranstalter und Kulturnetzwerker. Er lebt seit 12 Jahren in Leipzig und verbringt viel Zeit in Israel und Palästina.
Redigiert von Charlotte Wiemann, Julia Nowecki