Kerem Schamberger und Michael Meyen gelingt mit ihrem Buch über die kurdische Bewegung in und außerhalb Deutschlands trotz einiger blinder Flecken eine intime Darstellung der Lebenswege kurdischer, deutscher und türkischer Aktivist_innen, die bei aller Solidarität auch vor Kritik nicht zurückscheut. Eine Rezension von Adrian Paukstat.
Der Name Kerem Schamberger dürfte in hiesigen linkspolitischen Kreisen spätestens seit 2016 bekannt sein, als ihm der bayerische Verfassungsschutz aufgrund seiner Betätigung in der DKP monatelang die Einstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität München verweigerte. Diese konnte letztlich nur auf öffentlichen Druck hin erfolgen. Nun hat Schamberger zusammen mit seinem Professor, dem Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen, ein Buch über die kurdische Bewegung verfasst.
Der Titel „Die Kurden: Ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion“ entpuppt sich nach einiger Lektüre schnell als leicht irreführend, klingt der Titel doch eher nach einer Art groß angelegter Anthropologie, oder historischer Einführung (wie zum Beispiel das gleichnamige Standardwerk von Martin Strohmeier und Lale Yalçin-Heckmann). Geschichtlichen Hintergrund liefert das Werk zwar auch, jedoch eher nebenbei. Sein eigentliches Anliegen nämlich ist ein anderes: „Dieses Buch handelt von Menschen wie Jan, Leyla und Ercan Ayboğa. Von Menschen, die die kurdische Frage in Deutschland stellen.“
Entlang dieser und weiterer ausgewählter Biographien umkreist das Buch die zentralen Themenfelder kurdischer Geschichte und Politik im Konfliktdreieck Türkei – Syrien – Deutschland (der kurdische Irak spielt eine eher kleinere Rolle im Buch, der Iran wird unverständlicherweise überhaupt nicht erwähnt). Es sind Biographien wie die Leyla Imrets, der jungen Bürgermeisterin von Cizre, des österreichischen Aktivisten Peter Schaber, der an der militärischen Kampagne zur Befreiung Raqqas vom IS teilnahm, oder der Politikwissenschaftlerin Rosa Burç, deren Eltern in der kurdischen Bewegung in Deutschland aktiv waren, die das Buch lesenswert machen und die große Weltpolitik auf die persönliche Ebene bringen.
Meyen und Schamberger verstehen es hierbei geschickt, gegenwärtige Politik und deren historische Grundlagen mit den Lebensgeschichten ihrer Protagonist_innen zu vermitteln. Sie wollen dabei „Westeuropa über das informieren, was nicht in den Zeitungen steht.“
Diese Formulierung mag ein wenig polemisch daherkommen, doch Schamberger und Meyen schaffen es, auf die richtige Art und Weise den Finger in die Wunde zu legen. Auch und vor allem in Bezug auf diejenigen Sachverhalte, die in der bundesdeutschen Medienlandschaft trotz scheinbar allgegenwärtiger „Erdogan-Kritik“ tatsächlich relativ wenig diskutiert werden.
Zusammenbruch des Friedensprozesses und deutsche Waffenhilfe für Barzani
Beispielhaft hierfür steht die Darstellung des Zusammenbruchs des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK, welche die Autoren im Kontext der Biographie Leyla Imrets erzählen. Imret, jahrelang in Bremen wohnhaft und 2014 mit 26 Jahren zur jüngsten Bürgermeisterin der Türkei gewählt, bekam in ihrer Heimatstadt Cizre hautnah mit, wie türkische Truppen 2015 die kurdischen Gebiete des Landes einer de facto-Besatzung und Zwangsverwaltung unterwarfen: Gewählte Mandatsträger*innen werden abgesetzt, Ausgangssperren verhängt und in Teilen des Landes ganze Ortschaften in Schutt und Asche gelegt, wie beispielsweise in Sur, einem Stadtteil von Diyarbakir. In Cizre, der Stadt, in der Leyla Imret in das Bürgermeisteramt gewählt wurde, müssen sich die Menschen in Kellern vor der Artillerie und den Scharfschützen des Regimes verstecken. Als umliegende Gebäude durch Artilleriebeschuss in Brand geraten, verbrennen viele von ihnen dort bei lebendigem Leib.
Ähnlich verhält es sich im Nordirak, bzw. Südkurdistan. Die von der Bundesregierung gelieferten deutschen Waffen, vollmundig als Beitrag für den Kampf gegen den IS bezeichnet, wurden faktisch auch dazu eingesetzt, die politischen Gegner des herrschenden Barzani-Clans zu bekämpfen. So kam nachweislich (Alsharq berichtete) deutsches Kriegsgerät zum Einsatz, als Truppen der irakisch-kurdischen Selbstverwaltung des der Türkei nahestehenden Präsidenten Massoud Barzani PKK-nahe Milizen in Shengal angriffen. Des Weiteren schien die Barzani-Regierung auch ihr nahestehende Milizen in Syrien mit deutschen Waffen auszurüsten Die Bundesregierung blockierte damals jedwede Aufklärung und in der hiesigen Medienlandschaft musste man schon genau hinsehen, um Berichte über die Ereignisse zu finden.
Rojava aus eigener Erfahrung
Gegen Ende des Buches kommt schließlich auch Schamberger selbst als Protagonist zu Wort und beschreibt die Erfahrungen während seines längeren Aufenthaltes in Rojava („Sonnenuntergang“ oder „Westen“ auf dem kurdischen Dialekt Kurmandschi), den selbstverwalteten Gebieten in Nordsyrien unter militärischer Kontrolle der Syrian Democratic Forces (SDF). Man muss nicht zwischen den Zeilen lesen, um Schambergers emphatische Parteinahme zu spüren. Dennoch bleiben seine Betrachtungen nicht unkritisch, wie zum Beispiel, wenn er über die in manchen Orten immer noch mangelhafte Partizipation von Frauen an den politischen Strukturen Rojavas oder die Kooptation feudaler Clans durch die YPG (Volksverteidigungseinheiten, der militärische Arm der Selbstverwaltung) spricht. Allerdings wäre es in diesem Kontext – in dem Schamberger explizit über „Journalismus in Rojava“ schreibt – auch wünschenswert gewesen, die vielerorts laut geworden Vorwürfe der Beschränkung der Pressefreiheit von Seiten der Organe der Selbstverwaltung zu thematisieren.
Blinde Flecken
Bei genauerem Hinsehen zeigen sich weitere blinde Flecken in der Darstellung von Schamberger und Meyen. In den politischen Kämpfen, die das Narrativ der Autoren durchziehen, bleiben zwei Protagonisten nämlich seltsam abwesend: Das Assad-Regime und die syrische Opposition.
Gerade hier hätten sich aber neuralgische Punkte für kritische Nachfragen ergeben. So gab das Verhältnis der YPG zum Assad-Regime seit Beginn der syrischen Revolution Anlass zu allerlei Spekulationen. Immer wieder wurde über eine mögliche oder tatsächliche „Zusammenarbeit“ diskutiert. Die Parameter des Verhältnisses werden allem Anschein nach im Zuge der bevorstehenden Offensive des Regimes auf die letzte Rebellen-Enklave in Idlib, sowie des türkischen Einmarsches in Afrin, gerade neu ausgerichtet.
Zeitweise schien es, als würde die YPG mit eigenen Truppen an der Offensive gegen Idlib teilnehmen, eine auch von Aussagen einiger YPG- Führungsfiguren nahgelegte Einschätzung. Später wiederum wurde eine Teilnahme der YPG dementiert. Das Thema scheint nun, vor allem nach dem Scheitern der Verhandlungen mit dem Assad-Regime, wohl passé zu sein. Doch die Fragen bleiben.
Dass jedwede „Kooperation“ dieser Art, wie tief sie nun wirklich gehen mag, und wie sich auch entwickeln wird, der komplexen und zunehmend bedrängten Lage des politischen Projektes „Rojava“ geschuldet sein mag, ist zweifellos richtig. Dies verweist aber letztlich nur darauf, dass dieses Thema mehr als die Behandlung „en passant“ verdient hätte, die Schamberger und Meyen ihr angedeihen lassen.
Über die syrische Opposition wissen die beiden Autoren auf 220 Seiten ihres Werkes annähernd nichts zu sagen. Ist doch von ihr die Rede, wird sie mit pejorativen Anführungsstrichen versehen. Und auch hier gilt: Ja, das Verhältnis der kurdischen Bewegung zur syrischen Opposition ist – gelinde gesagt – „schwierig“. Die nicht-islamistischen Teile der Opposition sind selbst zu nicht unerheblichen Teilen von arabischem Chauvinismus geprägt. Auch haben sich im Zuge des türkischen Einmarsches in Afrin zumindest Teile der syrischen Zivilbevölkerung und oppositioneller Gruppen mit dem als „Befreier“ identifizierten Erdogan verbrüdert.
Ebenso richtig ist jedoch, dass syrische Oppositionelle dort, wo das Regime vertrieben wurde, stellenweise Selbstverwaltungsstrukturen aufgebaut haben, die den Ansprüchen eines „demokratischen Konföderalismus“, wie er auch in Rojava angestrebt wird, gar nicht so unähnlich sind. Und schon der Anspruch der Befreiung vom ba’athistischen Joch könnte doch eigentlich auch Ausgangspunkt einer solidarischen Beziehung Unterdrückter sein. Dieser Problematik müsste man sich stellen, auch und vor allem, wenn man das eigene politische Projekt explizit als Modell nicht nur für gesamt-Syrien, sondern potenziell die ganze Region erachtet.
Dann müssten aber genau diese Beziehungen analysiert, geklärt und verhandelt werden. Widersprüche müssten kenntlich gemacht, ausgehalten und vielleicht irgendwann überwunden werden. Von Ost-Ghouta aber, präzedenzlosem Symbol assadistischer Barbarei, zu schreiben, dass dort „»Freiheitskämpfer« und »Oppositionelle« (Dschihadisten) gegen Assad kämpfen.“, mithin also die talking points des Regimes zu reproduzieren, ist das genaue Gegenteil einer kritischen Analyse des Bestehenden.
Fazit
Für in kurdischer Politik und Geschichte Bewanderte mag Schambergers und Meyens Darstellung zwar wenig Neues hergeben, das muss sie allerdings auch nicht. Der Anspruch ist nicht der einer gelehrigen Abhandlung aus dem Studierzimmer des Historikers. Nicht umsonst kokettieren Schamberger und Meyen mit einem dezidiert un-akademischen Habitus. Mancher mag dem Werk zwar hie und da einen kritischeren Blick wünschen, hierbei würde man aber vergessen, dass das Buch zuvorderst eine politische Streitschrift ist. Argument in einem politischen Kampf. Und warum Schamberger und Meyen auf Seiten des emanzipatorischen Projektes „Rojava“ Stellung beziehen, können Sie überzeugend darlegen.
Seine größten Stärken jedoch, hat das Buch an anderer Stelle: In seiner einfühlsamen Einführung in die Lebenswelten derer, die Teil einer kämpfenden Bewegung sind. Als solches ist das Werk allen Lesern, aber insbesondere denjenigen, die sich den dort beschriebenen Kämpfen solidarisch verbunden fühlen, wärmstens zu empfehlen. Besonders für Letztere dürften die biographischen Schilderungen auch Inspiration für das eigene politische Handeln bieten.