Afghanische Aktivist:innen in Deutschland sind doppelten Erwartungen ausgesetzt: denen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und denen der Diaspora. Wie inklusiv kann ihre Arbeit unter solchen Bedingungen sein? Fragt Armeghan Taheri.
Spätestens an der Uni verstand ich, dass die Art, wie ich Wörter betone, wie ich lache, wie ich mich anziehe, wie ich liebe, ein Problem sein wird. Diese Eigenarten abzulegen, um die Vorstellung von angemessenem Verhalten nachzuahmen, waren nicht nur Anpassungsmechanismus, um soziale Mobilität zu ermöglichen. Ich verstand, dass es vielmehr eine Nachahmung von „Menschsein“ war, die mir und meinen Freund:innen fälschlicherweise als Schutzschicht vor systematischer rassistischer, klassistischer und sexistischer Gewalt verkauft wurde.
Dieser festgelegte Standard, sich „richtig“ zu präsentieren, um mit Respekt behandelt zu werden, wird als Respectability Politics bezeichnet. Es umfasst Verhaltensmuster, mit denen historisch marginalisierte Gruppen versuchen, für die herrschende Kultur akzeptabel zu erscheinen. Diese Werte werden von der dominanten Gruppe allein festgelegt. In simplen Worten: Die Nähe zum Weißsein wird von der deutschen Dominanzgesellschaft mit Anerkennung belohnt. Es macht sich besonders daran fest, wie wir uns anziehen, wie wir sprechen, wie wir kommunizieren, wie wir essen.
Für Afghan:innen in der Diaspora werden diese Regeln der Respektabilität zum doppelten Verhängnis, da sie doppelten Erwartungen ausgesetzt sind – denen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und denen der afghanischen Diaspora. Die externen Anforderungen und die internen Anforderungen stehen in einer komplexen Dynamik miteinander, die insbesondere Mehrfachdiskriminierte doppelten Unsichtbarkeiten aussetzen und den Zugang zur politischen Teilhabe verwehren. Wie viel Handlungsspielraum bleibt dann, Inklusion innerhalb der afghanischen Diaspora zu praktizieren und revolutionäres Handlungspotential zu entwickeln?
Auf dem Boden wird nicht gekocht
Schon der externe Druck ist enorm, denn für Afghan:innen in Deutschland sind es koloniale Untertöne, die das Bild von ihnen bestimmen – unzivilisiert, wild und aggressiv. Besonders für junge afghanische Männer ist der Generalverdacht des Gewalttäters mittlerweile normalisiert. In diesem Fall ist die Pflege eines „neutralen, weißeren“ Bildes überlebensnotwenig. Das zeigte sich zuletzt, als die bayrische Integrationsbeauftragte afghanische Schutzsuchende mit ukrainischen verglich, als sie sagte: „Ich muss Ukrainer:innen nicht erklären, dass auf dem Boden nicht gekocht wird.“
Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 wurde der Einfluss von Respectability Politics in der deutschen Berichterstattung immer deutlicher: In Abwesenheit formeller politischer Führungspositionen wurden einige Akteur:innen leichter als andere anerkannt und in den Medien sichtbar gemacht. Schnell wurde klar, dass bestimmte Ideen und Sprachen großzügiger aufgenommen werden, wenn sie schön ordentlich in einer Rhetorik verpackt sind, die den politischen Hegemonierahmen nicht zu sehr sprengen. Dabei sind die, die von externen Respectability Politics profitieren können, oftmals jene, die auch in Afghanistan schon auf vorhandenes wirtschaftliches, soziales und kulturelles Kapital zurückgreifen und internen Erwartungen von Respektabilität gerecht werden können. Diese Anerkennung kann sich beispielsweise durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie, durch die Nähe zu einer urbanen Bildungselite oder Großgrundbesitz ergeben.
Auch auf Afghan:innen außerhalb des Landes, die aktivistisch arbeiten, haben die Erwartungen und Dynamiken der Respectability Politics einen enormen Einfluss: Es gedeiht eine neoliberale Aktivismusökonomie geprägt von Karrierismus, Micro-Celebrity Kultur, und von Massenmedien gekrönten de facto politischen Sprecher:innen. Einige Bücher wurden verkauft, einige Accounts wurden zu Propheten des Algorithmus gekrönt, einige Karrieren bekamen einen Schub, dieselben Gesichter flimmerten konstant über mein Newsfeed. Immer stärker verlaufen die Grenzen zwischen Selbstvermarktung und politischem Kampf.
Einfach nicht genug
Nicht zuletzt aufgrund dieser Dynamiken wurden die Forderungen nach inklusiverer politischer Organisation, also die Berücksichtigung aller Positionalitäten, innerhalb der afghanischen Diaspora seit der Machtübernahme der Taliban immer lauter. Ich bin keine Zynikerin und weigere mich, mich einer Unvermeidlichkeit der gegeben Strukturen zu fügen. Daher stimmte ich zu, als ich 2021 gefragt wurde, mich Aktivist:innen anzuschließen, um über inklusivere Formen der politischen Organisation innerhalb der afghanischen Diaspora zu sprechen. Die Selbstorganisation brach jedoch aufgrund eben jener Dynamiken der Respectability Politics schnell zusammen.
Diejenigen von uns, die sowohl mehrfachmarginalisiert waren und weder den Anforderungen der afghanischen noch der deutschen Mehrheitsgesellschaft von Respectability Politics entsprachen, wurden von der Mehrheit der Männer in der Organisation nicht gehört, verstanden oder ernst genommen. Eine Anerkennung dafür war erst möglich, als eine der Frauen, die eine höhere soziale Stellung vis à vis der Männer genoss, ihre Position nutzte und somit ebenfalls ihre „Karte“ im Spiel um Respektabilität spielen musste, um gehört zu werden. Daran zeigte sich, dass abgesehen von internen Dominanzmechanismen durch paschtunische und tadschikische Kultur, noch weitere Anforderungen an uns Aktivist:innen hinzukamen, um Respekt zu bekommen: Manche von uns waren einfach nicht hetero genug, cis genug, neurotypisch genug oder desexualisiert genug, um respektiert zu werden.
Logischerweise sind in dieser Gleichung Mehrfachmarginalisierte doppelter Unsichtbarkeit ausgesetzt. Für manche gibt es einen Handlungsspielraum, sie können strategisch ihre eigene Marginalisierung vertuschen, um Zugang zum politischen Diskurs zu bekommen, ohne ihre politische Arbeit aufs Spiel zu setzen. Es ist ein Weg, Ideen auf den Tisch zu legen, sie so zu verpacken, dass sie ein Image projizieren, das ihnen Respekt und somit Aufmerksamkeit sichert, in denen die Inklusionsfragen intersektional besprochen werden. Aber dieses Spiel ist fragil und zwingt Betroffene, ihre Identität weiter zu verbergen.
Zerrüttung adressieren
Somit bleibt Inklusion innerhalb der afghanischen Diaspora oft eine leere Diversitätsprämisse, um lediglich eine repräsentative Funktion zu erfüllen. Dabei ist die Idee von Inklusion keine Vorlage für den nächsten Zuschuss für eine Organisation. Es erfordert einen chaotischen, nicht-linearen, komplexen Prozess. Denn es ist unrealistisch anzunehmen, dass ein Zyklus der Zerrüttung, dem eine historische Geschichte von Krieg und Kolonialität zugrunde liegt, sich innerhalb kürzester Zeit lösen lässt. Näherungen an Ansätze außerhalb der Fassade von Respectability Politics und neoliberaler Organisationsbildung, sind besonders für Afghan:innen wichtig, um Gewalt und ihre Ursachen zu adressieren. Gerade, wenn Kontinuitäten dieser Gewalt unserem kollektiven politischen Handeln Steine in den Weg legen.
Wenn wir uns dessen nicht gemeinsam bewusst werden, dann bleiben nach wie vor unsere eigenen bewussten und unbewussten Kompliz:innenschaften mit den Mächtigen, die diese sozialen und kulturellen Unterdrückungen und Hierarchien am Leben erhalten, aufrecht. In diesem Zusammenspiel bleiben wir ohne aktive soziale Dekonstruktion in alten Herrschaftsverhältnissen gefangen. Auch mich hält es fest im Spannungsfeld zwischen emanzipatorischen Aufruf und melancholischen Verstummen.
Mehr Arbeiten der Illustratorin Zaide Kutay finden sich auf ihrem Instagram-Account.