Der verfehlte Vorstoß nach Rückführungen: Unter Verweis auf deutsche Geschichte ignorieren CDU-Spitzen, dass Syrien weder sicher noch aufgebaut ist. In Berlin wird Patriotismus zur politischen Abstraktion – auf Kosten der Syrer:innen.
Friedrich Merz erklärte kürzlich, Deutschland habe ein Problem im Stadtbild. Er schob hinterher, dass deshalb der Innenminister nun „in sehr großem Umfang auch Rückführungen“ ermögliche. Damit entzündete er landesweit eine Debatte. Seine Aussagen wurden mit Protesten, Petitionen und dem Vorwurf beantwortet, Merz betreibe Sündenbockpolitik.
Nur wenige Wochen später legte der Kanzler nach: „Der Bürgerkrieg in Syrien ist vorbei. Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland,“ verkündete er – und erklärte damit Syrer:innen, von denen sich viele in Deutschland ein Leben aufgebaut haben, faktisch zu Kandidaten für Abschiebungen.
Doch selbst innerhalb der CDU zeigten sich Risse dieser Position. Nach einem Besuch in Harasta, einem Vorort von Damaskus, erklärte Außenminister Johann Wadephul angesichts der zerstörten Stadtviertel, verminten Straßen und fehlender Verwaltung: „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben. Groß angelegte Rückführungen sind nur in sehr begrenztem Umfang möglich.“
Syrien bleibt ein Land in Trümmern
Während ich in Damaskus von Ruinen umgeben bin, die Wadephuls Worten Recht geben, lud Merz ganz still und leise den syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa nach Berlin ein, um über ein Abschiebeabkommen zu verhandeln – ein Signal dafür, dass der Grundsatz der Nichtzurückweisung und grundlegende Menschenrechte zunehmend übergangen werden. Die Botschaft ist klar: Deutschland ändert seinen Kurs von „Wir heißen euch willkommen“ hin zu „Ihr müsst zurück“ – und das, bevor die Bedingungen für eine sichere Rückkehr überhaupt vorhanden sind. Dieses Vorgehen basiert nicht auf humanitären Prinzipien oder der Realität vor Ort, im Gegenteil. Es ist politisches Theater für ein Publikum, das Migration zunehmend als Bedrohung wahrnimmt.
Denn, obwohl das Assad-Regime gestürzt ist, bleibt Syrien ein Land in Trümmern. Ganze Stadtviertel sind zerstört. Die Ruinen begleiten mich auf dem Weg vom Zentrum Aleppos nach Damaskus. Meine Reise endet in Yarmouk, dem größten palästinensischen Vertriebenenlager, wo ich geboren und aufgewachsen bin – ein Ort, an dem meine Geschichte unter Staub begraben liegt.

Die Verwüstung hat jeden Lebensbereich durchdrungen: Wirtschaft und Industrie sind zerrüttet, Agrarflächen vermint, Schulen und Krankenhäuser bis zur Unbenutzbarkeit bombardiert, und die Währung ist kaum noch das Papier wert, auf dem sie gedruckt ist. Von meinem Elternhaus stehen nur noch die Säulen. Meine Schule existiert nicht mehr. Freund:innen sind zerstreut – einige durch Bomben oder unter Folter getötet, andere im Exil. Jede Straßenecke trägt eine Erinnerung oder einen Verlust, den kein „Stabilitätsindex“ messen kann.
Der starke Widerstand der Zivilgesellschaft
Doch am meisten schmerzt die unsichtbare Zerstörung: der Zerfall des Sozialgefüges, des Gemeinschaftsgefühls und der gemeinsamen Identität Syriens. Die Gewalt hat ihre Form verändert, ohne zu verschwinden. Die bewaffneten Auseinandersetzen entlang der alawitischen Küste und im drusischen Südosten dauern an, während die Zukunft des kurdisch geprägten Nordens politisch ungewiss bleibt.
Und trotzdem bauen die Syrer:innen ihr Land zwischen den Ruinen wieder auf. Seit meinem letzten Besuch im Dezember kehrt in den Geistervierteln langsam das Leben zurück: Ladenbesitzer:innen reparieren Rollläden, Kinder lernen unter Plastikplanen, Familien teilen das wenige Wasser und den Strom, den sie haben. Die Menschen halten durch – nicht aus Verdrängung, sondern aus Trotz. Diese stille Entschlossenheit ist der stärkste Widerstand, der uns geblieben ist.
Von Berlin aus könnte man glauben, Syrien habe sich plötzlich in eine Nachkriegs-Erfolgsgeschichte verwandelt. Der Kontrast ist fast grotesk. Während europäische Diplomat:innen und deutsche Regierungsvertreter die „Fortschritte“ feiern und mit der Übergangsregierung auf Fotos posieren, bleibt die Realität vor Ort brutal.
Übergangsprozesse werden überstürzt. Der dringend notwendige nationale Dialogprozess wurde auf eine einmalige Syrische Nationale Dialogkonferenz reduziert, die einer Zeremonie glich. Die Folgen dieser Versäumnisse sind sichtbar: Auf die jüngsten Zusammenstöße in Suweida und der Küstenregion folgte eine Welle aus Hassrede und Aufstachelung im Netz.
Syrien wartet weiterhin auf ein Parteiengesetz, das politischen Pluralismus ermöglichen würde; der Aufbau einer politischen Landschaft geht nur schleppend voran. Die Zivilgesellschaft hat genug Erfahrungen, um Syrien aufzubauen, muss aber für ihren Raum kämpfen. Denn sie wird von einer neuen herrschenden Elite, die ihre Herrschaft konsolidieren will, beiseitegeschoben.
Deutschlands Rückführungspolitik
Am meisten beunruhigt mich, wie schnell Syrer:innen an den Rand ihrer eigenen Geschichte gedrängt werden. In internationalen Foren und diplomatischen Statements geht es um Syriens „Rückkehr auf die Weltbühne“, um Handelsrouten, regionale Sicherheit und diplomatische Normalisierung – doch kaum um die Menschen, die die Ideale der Revolution getragen oder ihren Preis bezahlt haben. Es ist surreal aus den Ruinen Damaskus‘ zu beobachten, wie nüchtern Deutschland über „Rückführungen“ spricht, während die anhaltende Gewalt vor Ort erneut Menschen zur Flucht zwingt.
Wenn Deutschland wirklich eine verantwortungsvolle Rückkehrpolitik unterstützen wollte, könnte es damit beginnen, Syrer:innen eine freiwillige, temporäre Rückkehr zu ermöglichen, ohne dass sie dabei ihren Schutzstatus verlieren würden. Ein solches Modell könnte Vertrauen statt Angst schaffen und graduelle Rückkehr fördern – ohne, dass Rückkehr zur Bestrafung würde. Doch statt Entscheidungen auf der Realität vor Ort aufzubauen, diskutieren Teile der CDU über „Massenrückführungen“, bevor auch nur ein Minimum an Sicherheit gewährleistet ist.
Um Wähler:innenstimmen zu sichern, versprechen Regierungen in ganz Europa „Kontrolle“ und „Rückführungen“ – auf Kosten rechtlicher und moralischer Verpflichtungen. Als in Berlin lebende syrische Palästinenser:in erlebe ich Deutschlands Migrationspolitik aus nächster Nähe, und ihre Doppelstandards sind unübersehbar. Während sich Politiker:innen für ihre Großzügigkeit gegenüber Syrer:innen loben, schließen sie vor anderen leise die Tür. Palästinenser:innen – insbesondere aus Gaza –, die es nach Deutschland geschafft haben, stecken in einem bürokratischen Niemandsland fest: Ihr Aufenthaltsstatus ist unsicher, und die Gefahr, abgeschoben zu werden, allgegenwärtig.
Gleichzeitig ist die Mitverantwortung Deutschlands für den Völkermord in Gaza ungebrochen. Berlin unterstützt Israel weiterhin mit Politik, Diplomatie und Waffen – im Jahr 2024 allein wurden Exportgenehmigungen im Wert von über 100 Millionen gewährt –, während Gaza in Schutt und Asche gelegt wird. Afghan:innen, die vor einem Regime aus Folter, Repression und Entmenschlichung fliehen, werden als „Sicherheitsrisiko“ betrachtet und abgeschoben, obwohl bekannt ist, was sie bei ihrer Rückkehr erwartet. Sudanesische Geflüchtete, die vor Krieg fliehen, finden Deutschlands Tore fest verschlossen; ihre Asylanträge werden abgelehnt, während Deutschland Überwachungstechnologie an Sudans Nachbarstaaten verkauft. Es ist ein Muster: Mitgefühl, wenn es gelegen kommt, Gleichgültigkeit, wenn es etwas kostet – und der Welt Menschenrechte lehren, während zugleich die Mittel zu deren Verletzung exportiert werden.
Erinnerungskultur
Syrer:innen nun zu belehren, wie es CDU-Politiker Jens Spahn tat, sie müssten ihr eigenes Land wieder aufbauen, so wie es die deutschen „Großväter und Großmütter“ einst getan haben, ist nicht nur historisch falsch, sondern auch moralisch substanzlos. Deutschland wurde nicht allein von Deutschen aufgebaut, sondern auch durch die Hände, den Schweiß und die Opfer von Millionen Gastarbeiter:innen aus Italien, der Türkei, Griechenland und dem Balkan. Der Wiederaufbau erfolgte mit massiver externer Unterstützung durch die Milliarden des Marshallplans; das „deutsche Wirtschaftswunder“ ruht auf den Schultern von Migrant:innen. Erinnerung verliert ihren Sinn, wenn sie selektiv wird.
An patriotische Pflicht zu appellieren – wie Spahn es tat – um Abschiebungen in Ruinen zu rechtfertigen, ist eine tragische Ironie. Die eigentliche Lehre der deutschen Geschichte ist diese: Verantwortung, Leid und Verfolgung zu verhindern, wo immer sie auftreten. Eine Politik, die Syrer:innen in Trümmer zurückschickt, Palästinenser:innen aus Gaza Schutz verweigert und Flüchtende aus Afghanistan und dem Sudan marginalisiert, entbehrt jeden moralischen Anspruchs.
Was Deutschland tun muss, um den Übergangsprozess zu unterstützen
Die Syrer:innen, denen ich täglich begegne, warten nicht auf ihre Rettung durch Europa. Sie bauen ihre Straßen wieder auf, unterrichten ihre Kinder und versorgen ihre verwundeten Städte. Was sie brauchen, sind kein verfrühtes Gerede von Stabilität oder Abschiebeabkommen, sondern Solidarität, die auf Menschenrechten und fairen Asylverfahren beruht. Wenn Deutschland wirklich zum Aufschwung und Wiederaufbau Syriens beitragen will, muss es dies verantwortungsvoll tun und die Syrer:innen selbst in den Mittelpunkt des Übergangsprozesses stellen – ein Prozess, der die Wahrheit ans Licht bringt, Beweise sichert und garantiert, dass sich diese Verbrechen nie wiederholen werden. Wenn Deutschland wirklich zeigen will, dass es aus seiner eigenen Vergangenheit gelernt hat, muss es entsprechend handeln.
Echte Erinnerung ist mehr als Gedenkfeiern. Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, um neue Zyklen der Vertreibung zu verhindern, statt sie lediglich effizient zu verwalten. Alle Syrer:innen, über Konfessionen, Geschlechter und Generationen hinweg, müssen im Zentrum dieses Prozesses stehen. Ihre Würde und das unvollendete Streben ihrer Revolution nach Freiheit, Pluralismus und Gerechtigkeit dürfen nicht für die Illusion von Stabilität geopfert werden.





















