Der Krieg im Sudan zwang nahezu vier Millionen Menschen zur Flucht. Viele von ihnen leben heute im Nachbarland Ägypten. Mona*, eine Sozialarbeiterin in Kairo, gibt einen Einblick in die sich zunehmend verschlechternde Situation vor Ort.
Bevor Mona im Sommer 2023 aus Khartum nach Ägypten floh, arbeitete sie in der humanitären Hilfe im Sudan. In Ägypten fand sie einen Job bei Rifqa*, einer Organisation von Sudanes:innen, die mit Geflüchteten in Kairo arbeitet. Sie ist community-based, d.h. sie finanziert sich zum Teil durch Spenden von Privatpersonen, verlässt sich aber auch auf die Hilfe nationaler Geldgeber:innen.
Hallo Mona, am 20. Januar 2025 verkündete das Weiße Haus, dass die US-amerikanische Entwicklungshilfe (meist USAID genannt) „nicht auf amerikanische Interessen ausgerichtet“ sei und der „Destabilisierung des Weltfriedens“ dienen würde. Die Regierung erwirkte daraufhin eine sofortige Einstellung des Programms für 90 Tage. Außerdem wurde das gesamte Personal von USAID freigestellt. Wie wirkt sich das auf die Sudanes:innen in Ägypten aus?
Nach der Einstellung des USAID-Programms waren viele Organisationen gezwungen, ihre Dienste völlig einzuschränken. Die Auswirkungen trafen uns im letzten Monat am härtesten. Wir bei Rifqa, aber auch andere große Organisationen wie Save The Children mussten ihre humanitäre Arbeit größtenteils einstellen. Außerdem ist es deutlich schwieriger geworden, Visa für die Einreise in die USA zu bekommen. Deshalb wurden in den letzten Monaten viele Menschen wieder zurück nach Ägypten geschickt. Die USA sind nach Ägypten das Hauptmigrationsland sudanesischer Migrant:innen. Der derzeitige Aufnahmestopp macht die Situation schwieriger, da Sudanes:innen im Exil ihre Angehörigen von dort aus finanziell unterstützen konnten.
Welche Auswirkungen hat das auf den Alltag sudanesischer Geflüchteter in Kairo?
Der Alltag von Sudanes:innen wird durch verschiedene Faktoren erschwert. So haben nicht nur die Entscheidungen Trumps, sondern auch die Beschlüsse der ägyptischen Regierung zu vielen Schwierigkeiten geführt: Seit Juni 2023 sind die Grenzen zum Sudan geschlossen [die Visa-Auflagen wurden gerändert, was die Einreise erschwert und für viele eine de-facto Schließung der Grenzen bedeutet, Anm. des Autors]. So sehen sich viele Menschen dazu gezwungen, mit Hilfe von Schleuser:innen vor dem Krieg zu fliehen. Die Preise für eine illegale Schleusung sind jedoch sehr hoch und die Reise zudem sehr gefährlich. Viele Menschen erleiden auf dem Weg Gewalt. Besonders von Frauen höre ich häufig, dass sie sexualisierter und physischer Gewalt ausgesetzt sind. Die meisten haben aber vor allem Angst vor der ägyptischen Polizei. Wenn diese sie findet, werden sie zurück in den Sudan gebracht wo sie gezwungen sind zu verbleiben. Es sei denn, sie wagen mit letzter Kraft einen neuen Fluchtversuch.
Was erwartet die Geflüchteten nach ihrer Ankunft in Kairo?
Bei ihrer Ankunft in Kairo ist es das Wichtigste, dass sie die Formalitäten bei der Registrierung beachten; ich meine die Registrierung bei der Kommission [UNHCR, Anm. d. Autors]. Die Registrierung erfolgt meistens telefonisch. Hier wird bereits das nächste Problem deutlich: Ein Telefon zu kaufen und sich mit einer ägyptischen Nummer zu registrieren, ist sehr kompliziert. Insbesondere, wenn die Menschen durch Schleuser:innen gekommen sind und keine Papiere haben.
Ohne Papiere werden Geflüchtete auch von der Kommission benachteiligt. Sie stellt Asylsuchenden Karten aus: Ohne Papiere bekommst du eine weiße Karte, mit Papieren eine gelbe. Diese Unterteilung kategorisiert die Ankommenden und ihren Anspruch auf Unterstützung: Die weiße Karte deckt deutlich weniger Dienstleistungen ab als die gelbe.
Verfügen alle Geflüchteten über eine solche Karte?
Ja, denn ohne Karte ist es so gut wie unmöglich Unterstützung von Hilfsorganisationen zu bekommen. In dieser Situation befinden sich alle Migrant:innen wenn sie ankommen, da die Registrierung und die Ausstellung der Karten Zeit in Anspruch nehmen. Aktuell müssen die Menschen mindestens drei Wochen auf einen Termin bei der Kommission warten. In der Zwischenzeit haben sie keinen Zugang zu Sozialleistungen, was bedeutet, dass sie ohne Karte in großen Schwierigkeiten geraten. Es gibt nur wenige Organisationen, die in dieser Zeit helfen können.
Du arbeitest seit über einem Jahr bei Rifqa, kannst du etwas über die Menschen sagen, die nach Ägypten kommen?
Seit meinem Arbeitsbeginn im Herbst 2023 stieg die Zahl sudanesischer Geflüchteter stetig. Da der Krieg den Sudan immer mehr zerstörte, intensivierte sich die irreguläre Migration vor allem gegen Ende 2023. Spätestens ab 2024 hatte der Krieg fast alle Regionen erreicht, und da alle Industriestandorte und landwirtschaftlichen Betriebe ihre Arbeit einstellen mussten, mangelte es an allem – auch an Nahrungsmitteln. Im Dezember 2023 kamen die meisten Menschen noch aus Khartum und den umliegenden Regionen, danach kamen sie von überall, vor allem aus den Staaten al-Dschazira, Sannar und al-Qadarif. Die meisten von ihnen sind Frauen, Kinder, Alte und Kranke. Männer hingegen kommen nicht so häufig nach Ägypten. Denn selbst mit einer akademischen Ausbildung als Ingenieur, Rechtsanwalt oder Arzt – hier gibt es keine Arbeit für sudanesische Geflüchtete.
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Wie gelingt es geflüchteten Frauen, ihren Alltag in Kairo zu bestreiten – und finden sie leichter Arbeit als Männer?
Nein, auch für sie gibt es keine Arbeit. Dennoch ist die Situation für sie besser, da sie leichter Unterstützung von der Kommission bekommen. Wenn es einen Mann in der Familie gibt, dann gibt wird es weniger Unterstützung, es sei denn er ist krank. Die Idee ist, dass ein Mann die Familie finanziell versorgen und unterstützen kann. Aber das ist nicht die Realität. Wenn Familien mit Mutter und Vater nach Ägypten kommen, verschweigen sie häufig, dass der Mann existiert, um mehr Unterstützung zu bekommen.
Viele Männer bleiben daher lieber im Sudan, oder versuchen, in andere Länder zu migrieren, um dort zu arbeiten und Geld nach Ägypten zu schicken. Die Familien bleiben meist in Ägypten, weil dort die medizinische Versorgung, Wohnen und Lebensmittel günstiger sind als zum Beispiel in den Golfstaaten, Nordamerika oder europäischen Ländern.
Allerdings müssen alle Geflüchtete in Ägypten regelmäßig Gebühren für ihren Aufenthalt bezahlen. Alle drei oder sechs Monate – das folgt keiner logischen Erklärung - muss ich nach el-Abbasiyya [Stadtteil von Kairo, in dem sich die Kommission befindet, Anm. des Autors], um meinen Aufenthaltstitel erneuern zu lassen.
Wie hoch ist die Gebühr für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis?
Im Moment sind es etwa 25 Dollar pro Person, wenn du einen Termin hast und nicht zu spät zahlst. 25 Dollar sind für Familien, die viele Kinder haben, Miete zahlen, keine Arbeit finden und niemanden außerhalb des Sudans haben, der sie unterstützen kann schier unbezahlbar! Wer nicht zahlt, wird unter Hausarrest gestellt. Und wenn die Polizei Menschen, die unter Hausarrest stehen auf der Straße kontrolliert, verhaftet sie diese und deportiert sie in den Sudan, selbst wenn es sich um Kinder handelt.
Außerdem gibt es auch in anderen Bereichen des Lebens viele Einschränkungen und Diskriminierung gegen Sudanes:innen. Meine Stromrechnung ist zum Beispiel immer höher als die der Ägypter:innen. Sie sehen meinen Namen und verlangen mehr Geld. Und wenn die Rechnung nicht bezahlt werden kann, kommen Mahngebühren hinzu. Und die Kommission zahlt die erhöhten Gebühren nicht. So können die Menschen kein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben führen – es gibt einfach keine Möglichkeiten dazu.
Gibt es angesichts dieser vielen Schwierigkeiten und der Einstellung der US-Hilfe Projekte aus der EU oder aus europäischen Ländern, die diese Lücke füllen?
Die Einstellung der US-Hilfen bedeutet eine starke Einschränkung. Die anderen Unterstützungen, die beispielsweise von der EU oder einzelnen Ländern wie Kanada, Schweden, der Schweiz oder Frankreich kommen, erscheinen mir deutlich geringer. Sie fallen im großen Rahmen nicht wirklich auf. Die medizinische Versorgung leidet besonders unter den Kürzungen. Bei Rifqa können wir uns mit Spenden noch einigermaßen über Wasser halten, aber im Moment können wir leider nur etwa 30 Personen im Monat helfen. Ich habe meine Stelle mittlerweile an eine Freundin abgegeben, sie hat eine sehr große Familie und braucht den Job mehr als ich. Die Situation ist mittlerweile so schlecht, dass viele darüber nachdenken, in den Sudan zurückzukehren.
Im Zusammenhang mit der angeblichen „Befreiung Khartums“ durch die SAF (Sudanese Armed Forces) ist auch von Rückkehrer:innen die Rede. Wie schätzt du diese Entwicklung ein?
Ja, es werden mehr Menschen zurückkehren wollen. Aber bei Gott, für mich gibt es keine „Befreiung Khartums“, denn die RSF (Rapid Support Forces) haben sich nur nach Darfur zurückgezogen. Sie werden zurückkommen und angreifen, wir wissen nur noch nicht, wann und wo. Wenn die Armee sagt, sie habe Khartum „befreit“, dann überzeugt mich das nicht. Sie wurden nicht geschlagen, ihre Waffen nicht eingezogen. Wie kann ich also überzeugt sein? Wie kann ich nach Khartum zurückkehren und denken, die Situation sei sicher?
Die Lage im Sudan ist schlimm und in Ägypten auch. Insbesondere nach den Beschlüssen von Trump und den Reformen der ägyptischen Regierung. Wir Geflüchteten haben niemanden, an den wir uns wenden können – keine Instanz, auf die wir uns berufen können, wenn wir irgendein Anliegen haben.
*Namen von der Redaktion verändert