Der Konflikt im Sudan bringt die sudanesische Zivilbevölkerung in große Gefahr. Wer versucht zu entkommen, erlebt eine schwierige Flucht und oft harsche Bedingungen. Hamid Khalafallah berichtet von seinen persönlichen Erfahrungen.
Als die Kämpfe am Morgen des 15. April ausbrachen, befand ich mich mit meiner Familie in unserem Haus in Bahri, einem nördlichen Bezirk der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Drei Wochen blieben wir, trotz der Überreste einer Bombe, die am zweiten Tag des Krieges in unseren Hinterhof fielen. Und trotz der unwillkommenen Kugeln, die sich gelegentlich zu uns verirrten und uns in Gefahr brachten. Der Strom fiel die meiste Zeit aus. Vom ersten Tag an hatten wir keinen Tropfen fließend Wasser, weshalb wir auf salziges Wasser aus nahegelegenen Brunnen angewiesen waren. Die Entscheidung, das Land zu verlassen, fiel nach fast zwei Wochen täglicher Familientreffen. Die meisten Ergebnisse dieser Treffen waren widersprüchlich und irrational. Alle Optionen waren schwierig, aber wir hatten glücklicherweise Bargeld zur Verfügung und konnten aus diesen Optionen wählen. Für die meisten sudanesischen Familien ist das nicht der Fall. Nach drei Wochen verließen wir unser Haus.
Seit jenem Tag im April wird der Sudan von einem anhaltenden Konflikt zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) geplagt. Die sudanesische Zivilbevölkerung trägt die Hauptlast dieses verheerenden Konflikts, der unermessliches Leid, Vertreibung und den Verlust von Menschenleben mit sich bringt. Die anhaltenden Zusammenstöße stellen unschuldige Menschen vor eine unmögliche Entscheidung: entweder im brutalen Kreuzfeuer gefangen bleiben oder sich auf eine gefährliche und teure Suche nach Sicherheit begeben.
An jedem Checkpoint stieg ein Soldat mit einer AK-47 in den Bus
Wir verließen unser Haus Anfang Mai mit wenigen, wichtigen persönlichen Gegenständen. Unser erstes Ziel war Wad Medani, eine kleinere Stadt etwa 200 Kilometer südlich von Khartum. Sobald wir in den Bus nach Medani eingestiegen waren, näherte sich ein bewaffneter RSF-Soldat auf dem Motorrad und verlangte Benzin. Alle Fahrgäste schwiegen, der Fahrer zapfte eine Flasche aus dem Tank des Busses ab und reichte sie dem Soldaten. Um das zu feiern, schoss der Soldat drei Mal in die Luft.
Auf unserem Weg passierten wir drei RSF-Kontrollposten. Jedes Mal stieg ein RSF-Soldat mit einer AK-47 [Kalaschnikow-Sturmgewehr, Anm. d. Red.] in den Bus ein und fragte, ob sich SAF-Personal an Bord befände. An einem dieser Kontrollpunkte durchstreifte ein RSF-Soldat den Bus, sah mir in die Augen und fragte mich, ob ich ein SAF-Offizier sei. Ich schüttelte den Kopf und verneinte mit einem nervösen Lächeln im Gesicht. Er verlangte daraufhin meinen Ausweis, den er über eine Minute lang prüfte, während er mit weiter in die Augen sah. Dies war wahrscheinlich die längste Minute meines Lebens. Schließlich gab er mir den Ausweis zurück und wir konnten unsere Reise fortsetzen.
Drei Stunden später erreichten wir Medani. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits die Nachricht erhalten, dass eine Gruppe von RSF-Soldaten in unser Haus eingebrochen war und es in einen ihrer Stützpunkte verwandelt hatte. Wir verbrachten die Nacht in Medani und machten uns auf den Weg nach Bur Sudan mit Zwischenstopps in Qadarif und Kassala. Das am Roten Meer gelegene Bur Sudan ist der wichtigste Seehafen des Landes, für uns war es die letzte Station auf unserer Flucht als Binnenvertriebene. Die Stadt ist zu einem Drehkreuz für diejenigen geworden, die auf dem Luft- oder Seeweg aus dem Sudan fliehen wollen. Da meine ältere Großmutter mit uns reiste, kam die anstrengende und ungewisse Reise über Land zur ägyptischen Grenze für uns nicht in Frage.
Ich starrte lange auf den sudanesischen Boden und fragte mich: Wann werde ich zurückkehren?
Wir warteten zehn Tage lang in Bur Sudan auf die Bestätigung unserer Flugtickets und auf die Ausstellung meines ägyptischen Visums. Schließlich war alles geregelt und uns wurden Tickets für einen Flug nach Kairo über Dschidda ausgestellt. Ich bin Flugreisen gewohnt, aber das „Evakuierungsflugzeug“ zu besteigen, war eine neue und unangenehme Erfahrung. Erst als das Flugzeug abhob, traf mich die Realität mit voller Wucht. Dank des klaren Himmels starrte ich lange auf den sudanesischen Boden und fragte mich: Wann werde ich zurückkehren? Das Flugzeug drehte bald vom Land ab und flog über das Rote Meer, was meine beängstigenden Gedanken unterbrach.
Im Vergleich zu anderen Routen war die Strecke, die wir von unserem Haus in Khartum nach Kairo nahmen, relativ sicher und bequem. Dennoch dauerte die gesamte Reise fast zwei Wochen und kostete uns rund 1.900 US-Dollar pro Person. Unter normalen Umständen hätte die Tür-zu-Tür-Reise von Khartum nach Kairo nicht länger als sechs Stunden gedauert und weniger als 200 US-Dollar gekostet. Dieser Unterschied ist absurd. Für die große Mehrheit der sudanesischen Bevölkerung ist solch eine Flucht aus dem Krieg völlig unmöglich.
Die im Sudan gefangene Bevölkerung ist in einer prekären und verletzlichen Lage. Sie werden unbeabsichtigt zu Opfern eines Konflikts, den sie sich nicht ausgesucht haben, und sind täglich mit dessen schwerwiegenden Folgen konfrontiert. Zivilist:innen sind ständiger Gefahr ausgesetzt und leben in Angst, während sich die Gewalt in ihren Nachbarschaften ausbreitet. Häuser werden zerstört, Märkte abgeriegelt und Schulen geschlossen, wodurch Kindern ihr Recht auf Bildung genommen wird. Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung werden knapp und verschärfen die ohnehin schon katastrophale humanitäre Krise im Sudan.
Die im Sudan gefangenen Menschen sind Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten ausgesetzt
Die fehlende Unterscheidung zwischen Kämpfenden und Zivilpersonen durch beide Konfliktparteien hat zu weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten geführt. Die sudanesische Zivilbevölkerung leidet unter der bitteren Realität dieser Verbrechen. Berichte über ziellose Bombardierungen, sexualisierte Gewalt und willkürliche Verhaftungen zeichnen ein verstörendes Bild der Lage der sudanesischen Bevölkerung. Frauen, Kinder und ältere Menschen sind die Hauptleidtragenden dieser Übergriffe. Was jetzt passiert, hinterlässt Narben, deren Heilung Generationen dauern wird.
Millionen von Sudanes:innen verlassen ihre Heimat auf der Suche nach Sicherheit innerhalb und außerhalb des Landes, der Konflikt hat eine Massenflucht ausgelöst. Der Weg in die Sicherheit ist jedoch mit zahlreichen Gefahren verbunden, die für die fliehende Zivilbevölkerung ein weiteres Risiko darstellen. Neben den bereits erwähnten immensen finanziellen Kosten sind Zivilpersonen durch Gewalt an den Checkpoints bedroht, sowie durch bewaffnete Überfälle entlang der Straßen. An den Grenzen angekommen, warten oft komplizierte Einreisebestimmungen und katastrophale humanitäre Bedingungen auf sie.
Ob als Binnenvertriebene oder internationale Flüchtlinge, die Flüchtenden müssen auch weiter mit Herausforderungen umgehen, wie etwa der Suche nach Unterkünften, Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung in überfüllten Lagern. Aus dem jüngsten IOM-Bericht geht hervor, dass bisher insgesamt etwa 3,4 Millionen Menschen aufgrund des sudanesischen Konflikts vertrieben wurden. Über 757.000 von ihnen sind in die Nachbarländer gereist, wobei die meisten nach Ägypten und in den Tschad geflohen sind, gefolgt von Südsudan, Äthiopien, der Zentralafrikanischen Republik und Libyen. Die Mehrheit der Geflüchteten – über 2,6 Millionen – sitzt jedoch weiterhin als Binnenvertriebene im Sudan fest.