04.05.2024
„Hoffnung hält Bilder von Orten wach, an denen wir aufgewachsen sind“
Alfetihab, Omdurman. Januar 2020: „Eine Open Air Veranstaltung, organisiert von den Neighborhood Resistance Committees. Ich nahm gemeinsam mit anderen bekannten Künstler:innen daran teil. Es war in der Zeit des Demokratisierungsprozesses. Heute wissen wir, dass dieser nicht erfolgreich war, damals aber waren wir optimistisch.“ Foto: privat.
Alfetihab, Omdurman. Januar 2020: „Eine Open Air Veranstaltung, organisiert von den Neighborhood Resistance Committees. Ich nahm gemeinsam mit anderen bekannten Künstler:innen daran teil. Es war in der Zeit des Demokratisierungsprozesses. Heute wissen wir, dass dieser nicht erfolgreich war, damals aber waren wir optimistisch.“ Foto: privat.

Im Sudan bekämpfen sich seit April 2023 zwei Teile der nationalen Armee. Oft machen uns Krieg und Zerstörung sprachlos. Umso wichtiger sind die Worte derer, die ihre Gefühle in Worte fassen können. Unser Autor hat es versucht. 

Mustafa Jorry ist ein Künstler und Comedian aus dem Sudan, der sich in den Sozialen Medien eine große Follower:innenschaft aufgebaut hat. Diese kommt aus dem Sudan und anderen arabischsprachigen Ländern, aber auch aus Frankreich, wo Mustafa selbst seit 2022 lebt. Neben seinen Comedy-Inhalten postet er zur Situation im Sudan. Es ist ihm wichtig, den Sudan nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Über die Hintergründe der Kämpfe, persönliche Geschichten der Flucht aus Khartum und die Situation vieler Geflüchteter im ägyptischen Exil, haben wir bereits ausführlich berichtet. In diesem Artikel teilt Mustafa Jorry seine Gedanken, ein Jahr nach Beginn des Krieges im Sudan.  

„Das Theater ist ein beliebter Treffpunkt für junge Leute im Sudan, sie sehen dort berühmte Sänger:innen und Bands. Das Foto stammt von einem Konzert mit Nancy Ajaj. Ich hatte meine Mutter zu diesem Konzert eingeladen und es war unser letztes gemeinsames Event, bevor ich den Sudan verlassen habe.“ Das Open Air Theater der Militäroffiziere in Khartum, Februar 2020. Foto: Mustafa Jorry.

Heute schreibe ich euch – nicht um euch zu bitten, menschlich zu sein, den Krieg abzulehnen. Nicht um die Menschheit darum zu bitten, das Abschlachten im Sudan mit anzusehen, oder um euch aufzuzählen, wie viele Kinder getötet wurden, wie viele Frauen missbraucht wurden; nicht einmal um euch zu bitten, für uns zu beten. Nein, stattdessen erzähle ich, wie ich mich fühle, wie ich mich im vergangenen Jahr gefühlt habe. Ich hoffe, ihr könnt das, was ich sage, nicht nachfühlen. Wenn doch: Es tut mir leid. Und ihr seid nicht allein. 

Heute vor einem Jahr begann der Krieg im Sudan. Ein Jahr des Leidens, des Trauerns, der Zerstörung und der Flucht. Ein Jahr der Kämpfe. Neben den offensichtlichen Gefechten, die zwischen den Rapid Support Forces (RSF) und der sudanesischen Armee (SAF) ausgetragen werden, tragen wir als Sudanes:innen noch weitere Kämpfe aus: gegen den Hunger, die Trennung von unseren Liebsten und wir kämpfen dagegen an, jegliche Hoffnung zu verlieren. 

„Das Bakry Max, ein Restaurant in Port Sudan. Es ist einerseits besonders für mich, weil es in meiner Heimatstadt liegt. Außerdem ist es auf traditionelle ostsudanesische Küche spezialisiert, von Fleichgerichten bis Nachspeisen gibt es alles. Mit der Zeit wurde es bei Tourist:innen beliebt, wegen der guten Qualität ihres Essens.“ Foto: Mustafa Jorry.

In der Realität, mit der wir leben müssen, ist Hoffnung unser einziger Schutz davor, einfach aufzugeben. Diese Realität bietet uns keinerlei Anzeichen für eine Verbesserung. Wir entscheiden uns deswegen aktiv dazu, in einer Blase der Hoffnung zu leben, die uns davor bewahrt, verrückt zu werden. Diese Blase hält Bilder von den Orten wach, an denen wir aufgewachsen sind. Auch, nachdem wir dabei zuschauen mussten, wie diese Orte in weniger als einer Minute zerstört und abgerissen wurden. Und auch, nachdem die Erinnerungen in sich zusammengefallen sind, weil die Menschen in ihnen nicht mehr am Leben sind.

Die Entscheidung, in einer solchen Blase zu leben, klingt vielleicht irrational. Wir treffen sie aber, um bei Verstand zu bleiben. In letzter Zeit entdecke ich Eigenschaften an mir, die ich mit vielen anderen Sudanes:innen teile. Eine davon ist, dass ich mein Leben nicht als stabil wahrnehmen kann, nicht einmal als sicher. Wobei stabil gerade wichtiger wäre. Ich kann nicht einmal das Konzept der Stabilität wirklich begreifen: für eine lange Zeit denselben Alltag zu haben oder am selben Ort zu wohnen. Nicht einmal mithilfe meiner Fantasie kann ich mir das vorstellen. Es gelingt mir einfach nicht, weil ich es nie erlebt, sondern nur davon gehört habe. Schon seit ich am Leben bin, bedrohen Krieg und Unterdrückung uns Menschen im Sudan.

Alfetihab, Omdurman. Januar 2020: „Eine Open Air Veranstaltung, organisiert von den Neighborhood Resistance Committees. Ich nahm gemgeinsam mit anderen bekannten Künstler:innen daran teil. Es war in der Zeit des Demokratisierungsprozesses. Heute wissen wir, dass dieser nicht erfolgreich war, damals aber waren wir optimistisch.“ Foto: privat.

Ich weiß nicht, ob wir als Sudanes:innen dazu verdammt sind zu leiden, aber ich hoffe, dass dem nicht so ist. Ich hoffe, dass wir eines Tages Frieden finden und die Chance bekommen, unsere Erinnerungen wiederherzustellen; die Chance, unsere Blase der Hoffnung mit neuen Bildern unseres Zuhauses zu schmücken. Und ich hoffe, dass ich diesen Brief in zwei Jahren nicht erneut schreiben muss. Ich wünsche meinem Volk nur das Beste.

 

 

Mustafa ist ein sudanesischer Comedian und Künstler. Auf seinem Instagram-Account (@mustafa_jorry) kommentiert er die Lage im Sudan und teilt Comedy-Clips.
Redigiert von Hanna Fecht
Übersetzt von Clara Taxis