18.04.2023
Der Streit zweier Generäle eskaliert, die Bevölkerung steht dazwischen
Im Juni 2019 posteten Sudanes:innen blau auf Social Media, als Ausdruck ihrer Unterstützung der Proteste im Land. Illustration: Rhaida El Touny (IG: diddyeltouny)
Im Juni 2019 posteten Sudanes:innen blau auf Social Media, als Ausdruck ihrer Unterstützung der Proteste im Land. Illustration: Rhaida El Touny (IG: diddyeltouny)

Seit 2019 kämpft die sudanesische Zivilbevölkerung für Demokratie. Der letzte Rückschlag war im Herbst 2021 ein Putsch durch das sudanesische Militär und die paramilitärischen Rapid Support Forces. Seit Samstag bekämpfen sich nun deren Anführer. 

Am Samstagmorgen, dem 15. April, werden die Menschen in Sudans Hauptstadt Khartum, durch Geräusche von Schüssen geweckt. Kurz danach kommen das Donnern von Kampfjets und die Explosion von Streubomben dazu. Die Menschen verstecken sich in ihren Häusern; die sonst lebhaften Straßen sind leer, bis auf die Panzer und Pickups, mit den Kämpfern und deren schweren Maschinengewehren. Schon bald liegt über der Stadt ein dunkler Rauch, Gebäude brennen, immer wieder kommt es zu Erschütterungen und lauten Knallen.

Am Sonntag erklärte die UN-Mission in Sudan, UNITAMS, einen kurzzeitigen Waffenstillstand mit beiden Konfliktparteien ausgehandelt zu haben, um humanitäre Hilfe leisten zu können. Dieser Waffenstillstand wurde jedoch von keiner Seite eingehalten: Auf Social Media berichten zahlreiche Bewohner:innen, dass weiter geschossen wurde. Erst zum Fastenbrechen und dann wieder spät am Abend wurde es kurzzeitig ruhiger, berichteten Einwohner:innen in persönlichen Gesprächen. Insgesamt verschlechtert sich die humanitäre Lage mit jedem Tag drastisch. Ein Krankenhaus musste bereits evakuiert werden. 

Gekämpft wird im ganzen Land

Sudans Hauptstadt ist nicht die einzige betroffene Region. In vielen Städten – insbesondere solchen mit Flughäfen und Stützpunkten der Rapid Support Forces (RSF) – finden Kämpfe statt. Zu diesen zählen Port Sudan und Kassala im Osten, Merowe im Norden und Kosti, al-Gedarif und al-Damazin im Süden. Besonders im Westsudan, in der Region Darfur, kommt es zu heftigen Kämpfen in den Städten Nyala und al-Fashir. Während der Sudan eine lange Geschichte der gewaltsamen Konflikte in nahezu allen Regionen der Peripherie hat, war das zentralisierte Khartum bisher von Kriegshandlungen verschont. Viele der circa 12 Millionen Menschen, die heute friedlich in der Metropolregion zusammenleben, kommen aus der Peripherie und wollten der Gewalt entfliehen. 

Erst Verbündete, dann Gegner: Wer kämpft im Sudan?

Der Straßenkampf ist eine Eskalation zwischen dem sudanesischen Militär (SAF) unter der Führung von General al-Burhan und der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter der Leitung von General Dagalo, auch genannt Hemeti. Gemeinsam hatten sie unter der Leitung von al-Burhan im Oktober 2021 gegen die zivile Übergangsregierung geputscht. Sie lösten die Regierung auf und stellten den damaligen Premierminister Abdalla Hamdok unter Hausarrest. Gemeinsam haben sie den Tod von 125 friedlich Protestierenden zu verantworten. Das seitdem bestehende Machtvakuum, wurde mit der Zeit immer größer.

Im Verlauf der Konterrevolution der beiden Generäle, bekam ihre Allianz immer deutlichere Risse. Das lag unter anderem an dem starken Protest der Bevölkerung gegen die militärische Machtübernahme. Widerstandskomitees, aus der Revolution 2018/19 entstandene Graswurzelorganisationen, die für einen Demokratieaufbau kämpfen, hatten immer wieder zu Straßenprotesten, zivilem Ungehorsam und direkten Aktionen aufgerufen.

Aus einem schlechten Kompromiss 2019... 

Aufgrund des flächendeckenden Widerstandes gegen die Putschisten hatten es diese auch ein Jahr nach dem Putsch nicht geschafft, eine eigene Regierung zu bilden. So ließen die Putschisten sich im Herbst 2022 auf Verhandlungen mit der zivilen Koalition der Forces of Freedom and Change (FFC) ein. Ergebnis dieser Verhandlungen, an denen auch UNITAMS unter der Leitung von Volker Perthes beteiligt war, war die Unterzeichnung eines Rahmenabkommens, das den Putschzustand beenden und eine neue Übergangsperiode einleiten sollte.

Die Revolutionär:innen, die seit Jahren für eine Transformation in ihrem Land kämpfen, insbesondere die lokalen Widerstandskomitees lehnten dieses Agreement ab, sie sahen in ihm einen Deal der politischen Eliten in der FFC mit dem Militär und keinen tatsächlichen Wandel. Schon 2019, nach dem Sturz des Diktators Omar al-Bashir durch populäre Aufstände und nach einem Massaker der Sicherheitskräfte an Protestierenden, hatte es ein erstes solches Abkommen gegeben. Zentral in dem Abkommen war eine vorrübergehende Machtteilung zwischen Militär und Zivilregierung, die nach Ablauf einer Übergangsfrist in demokratische Wahlen münden sollte. Kurz vor Ablauf der Übergangsfrist hatte das Militär geputscht.

... wurde ein schlechterer 2022

Im Abkommen von Dezember 2022 sollte es ebenfalls zu einer Machtteilung mit demokratischem Übergang kommen. Nachdem das erste Abkommen durch den Putsch gebrochen wurde, traute 2022 kaum jemand dem zweiten. Die Revolutionär:innen waren enttäuscht, dass nach einem weiteren Jahr des Widerstandes erneut über ihre Köpfe hinweg entschieden wurde. Anders als das erste Abkommen sah das aktuelle eine Rehabilitierung des sudanesischen Sicherheitsapparats – also SAF und RSF – vor. Teil des Plans war es, die RSF aufzulösen und in die SAF einzugliedern. Wie genau eine solche Umstrukturierung von statten gehen sollte, blieb leider offen.

Wie dünn der Boden war, auf dem das Abkommen geschlossen wurde, zeigten die Äußerungen der Generäle bis zur aktuellen Eskalation: Schon kurz nach dem angeblichen Übereinkommen gab al-Burhan in einer Rede bekannt, dass er nicht plane, das Militär zu rehabilitieren. Gleichzeitig reinstallierte er zu Teilen das totalitäre islamistische System, in dem er Mitgliedern der ehemaligen NCP, der islamistischen Partei al-Bashirs, führende Posten gab. Auch Hemeti hatte kein Interesse an der Auflösung seiner Truppen. Infolgedessen wurde eine Unterzeichnung des Abkommens immer wieder verschoben, da sich nicht über die genauen Inhalte und Abläufe geeinigt werden konnte.

Wer hat die Eskalation zu verantworten? 

Die Spannungen zwischen den beiden Generälen waren seitdem immer offensichtlicher geworden und der jahrelang bestehende Konflikt wurde akut. Anfang März hatte Hemeti 700 Rekruten der RSF in die Hauptstadt verlegt – angeblich zu Übungszwecken. Viele politische inländische und ausländische Beobachter:innen hatten vor diesen Entwicklungen gewarnt. Doch die Warnungen verhallten ohne Konsequenzen, wie viele Sudanes:innen kritisierten.

Es ist schwer zu sagen, welche Seite den Konflikt eskalieren lassen hat. Die RSF gaben bekannt, die SAF hätte sie angegriffen. Die andere Seite bestreitet das. Auf Social Media diskutieren die Menschen über mögliche Gründe und Verläufe. Doch bei der vielen Propaganda von beiden Seiten bleiben diese Vermutungen eben das: Vermutungen, Gerüchte, Gedanken, die kaum bestätigt werden können.

Hemeti gibt sich als Verteidiger der Demokratie

Im Internet kursieren seit Samstag zahlreiche Videos und Fotos von Kämpfen, Bombeneinschlägen, Verwundeten und Toten. Die Menschen tauschen Ratschläge aus, wie sie sich am besten vor den Luftangriffen oder den herumfliegenden Kugeln schützen können. Hemeti ruft indes die internationale Gemeinschaft in einem Tweet dazu auf, ihn im Kampf gegen die „radikalen Islamisten“ zu unterstützen. Darauf reagieren viele Sudanes:innen mit Spott und Hohn. Sie wissen um seine Geschichte als Kriegsherr und die vielen Toten, die er zu verantworten hat.

Der Einschlag einer Streubombe riss dieses Loch in ein Haus im Khartumer Stadtteil al-Dayim.  15. April 2023. Foto: Abdulrahman Kambal

Die von ihm befehligte RSF ist eine Einheit, die aus den sogenannten Janjaweed-Milizen (zu Deutsch: Monster auf Pferden) entstanden ist. Diese wurden von dem früheren Langzeitdiktator Omar al-Bashir gezielt aufgebaut, um in der Region Darfur Rebellengruppen zu unterdrücken. Bei dem Genozid Anfang der 2000er-Jahre starben insgesamt rund 300.000 Menschen, zusätzlich mussten 2,5 Millionen Menschen fliehen. Als Täter im „ersten Genozid des 21. Jahrhunderts“ gingen die Janjaweed damit in die Geschichte ein. Im Jahr 2013 wurden aus den Janjaweed die Rapid Support Forces. Sie wurden vor allem für Grenzkontrollen eingesetzt und erhielten in diesem Zuge später ihre staatliche Legitimation als reguläre Einheit. Die RSF breitete sich auch in anderen Gebieten aus, wo ihnen seit jeher Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Seit Beginn des Kriegs im Jemen schickten die RSF tausende Kämpfer für Saudi-Arabien in das Land. Weitere ausländische Verbindungen unterhält Hemeti zur russischen Söldnergruppe der Wagner Group. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate haben ein Interesse an der RSF, die jährlich  Gold im Wert von 16 Milliarden Dollar in die Emirate exportiert. Der Krieg im Sudan bedeutet eine Destabilisierung für die gesamte Region. Das gilt besonders für seine Nachbarländer Tschad, Ägypten, Eritrea, Äthiopien und Südsudan, die ihrerseits von verschiedenen Konflikten geplagt sind.

„Egal welche Seite gewinnt, am Ende verlieren die Zivilisten“

Aufgrund der Unübersichtlichkeit der Lage ist es schwer zu sagen, wer derzeit in den Kämpfen die Oberhand hat und wie diese sich weiter entwickeln werden. Beide Konfliktseiten propagieren ihre Stärke und Überlegenheit. Sollte die RSF an Vorsprung gewinnen, ist die Entwicklung eines Bürger:innenkrieges denkbar. Die Paramilizen sind zwar nicht so professionell ausgebildet wie das Militär, dafür kontrollieren sie viele Gebiete Sudans und verfügen über eine große Anzahl von Waffen. Doch egal welche der beiden Seiten letztlich siegen sollte, die Zukunft sieht zu diesem Zeitpunkt düster aus. „Egal welche Seite gewinnt, am Ende verlieren die Zivilisten“, sagt ein Mitglied der Widerstandskomitees.

Es ist den Menschen wichtig zu betonen, dass sie den Krieg nicht unterstützen. Die Widerstandskomitees haben Kampagnen gestartet, die sich gegen einen Bürger:innenkrieg aussprechen. Sie warnen vor der Propaganda der Konfliktparteien und lehnen beide Seiten entschieden ab. Sie bleiben bei ihrer Forderung der Revolution von 2018/19: Die Etablierung einer „Autorität des Volkes“, ohne die Einmischung von Militär oder Milizen in die Regierung. Sie erinnern die Bevölkerung an die Gräueltaten beider Parteien, nicht zuletzt des Massakers 2019, das sie zusammen verübten. Bei dem Massaker wurden mindestens 120 Menschen getötet, wofür bis heute keiner der Täter zur Rechenschaft gezogen wurde. 

In Deutschland protestiert die Diaspora gemeinsam mit Unterstützenden gegen die Eskalation des Konflikts. Ein Aktivist der Gruppe Sudan Uprising Germany fordert von Deutschland „Solidarität ohne Einmischung“, zum Beispiel durch Druck auf Länder, die die Armee und die RSF unterstützen. Wichtig sei zudem, humanitäre Hilfe zu organisieren, Grenzen zu öffnen und Sudanes:innen die Flucht in Nachbarländer oder nach Europa zu ermöglichen. Er wünscht sich zudem Unterstützung für die revolutionären Kräfte im Land, eine wirkliche Transformation, weg von Militärherrschaft, hin zu Demokratie.

 

 

Saskia lebt zwischen Berlin und Khartoum und promoviert in der Anthropologie zur Widerstandsbewegung im Sudan. Ansonsten beschäftigt sich Saskia mit den Themen Abolitionismus, soziale Ungleichheit und Kriminalität und engagiert sich im Gefängnisbereich.
Redigiert von Clara Taxis, Henriette Raddatz