23.10.2022
„Ein Umkehren ist unmöglich“
Zwischen stundenlanger Abschaltung des Stroms, unzureichender Wasserversorgung, rapide steigenden Lebenshaltungskosten Hunger und Armut, glühender Hitze und dann starken Überschwemmungen in der Regenzeit ist der politische Widerstand schwer. Foto: Brandie Podlech, Khartoum August 2022
Zwischen stundenlanger Abschaltung des Stroms, unzureichender Wasserversorgung, rapide steigenden Lebenshaltungskosten Hunger und Armut, glühender Hitze und dann starken Überschwemmungen in der Regenzeit ist der politische Widerstand schwer. Foto: Brandie Podlech, Khartoum August 2022

Knapp ein Jahr ist vergangen seit dem Militärputsch im Sudan. Die Widerstandsbewegung kämpft weiter, doch eine politische Lösung ist nicht in Sicht.

Am 25. Oktober 2021 putschte das Militär unter der Führung des Generals Abdel Fattah al-Burhan gegen die Übergangsregierung, die das Ziel eines Demokratieaufbaus verfolgte. Gestützt wurde das Militär dabei von den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Führung von Generalleutnant Mohammed Hamdan Daglo, auch genannt Hemetti. 

Im Jahr 2019 wurde der Langzeitdiktator Omar al-Bashir durch populäre Aufstände gestürzt. Nach langen Verhandlungen mit dem kam es zu einem Abkommen zwischen Militär und Zivilkräften. Mit diesem Abkommen gründete sich eine Übergangsregierung, die eine vorrübergehende Machtteilung zwischen Militär und Zivilregierung vorsah. Am Ende dieser Übergangszeit sollte das Militär seine Macht vollständig auf die Zivilregierung übertragen und demokratische Wahlen stattfinden.

Der Militärputsch im Oktober 2021

Als das Militär kurz vor Ablauf dieser Übergangsphase putschte und Premierminister Abdallah Hamdok unter Hausarrest stellte, brachen sofort landesweite Proteste aus. Tausende Menschen zogen auf die Straße, mit Flaggen, Masken gegen das Tränengas, Trommeln sowie altbekannten und neu gedichteten Gesängen. Es herrschte eine beinahe festliche Stimmung.

Die Menschen waren sich sicher, dass sie nun endlich und ein für alle Mal das Militär zur Machtaufgabe zwingen und juristisch zur Verantwortung ziehen würden. Die Widerstandskomitees – lokale Graswurzelorganisationen, die zu Beginn der Revolution 2018/19 entstanden – koordinierten damals gemeinsam mit der Sudanese Professionals Association, einem Dachverband verschiedener Gewerkschaften, die Proteste. Diese entwickelten sich nach dem Sturz al-Bashirs, während der zweijährigen Übergangsphase ruhte die Arbeit vieler dieser Komitees.

Mit dem Putsch wurden sie jedoch schlagartig wiederbelebt und neue Gruppen und Initiativen zur Putschbekämpfung schossen aus dem Boden. Entschlossen bewiesen insbesondere junge Menschen, dass sie eine weitere diktatorische Herrschaft nicht akzeptieren würden. Sie wollen eine Verbesserung der Lebensverhältnisse im Land, die ihnen eine Zukunft ermöglicht und fordern eine Demokratie als das politische System, in dem sie ihre Träume verwirklichen können.

Doch in den vergangenen Monaten hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. Die Inflation wächst weiter und die Lebensbedingungen aller Menschen verschärfen sich rasant. Tausende Menschen wurden seit dem Putsch verhaftet, 116 Tote und über 5600 Verletzte gibt es seither. Korruption und Kriminalität haben stark zugenommen. „Laufe nicht alleine durch die Straßen!“, raten viele in diesen Tagen.

Zwischen Zuversicht und Aussichtslosigkeit

Politisch ist die Situation festgefahren. Während die UN und andere internationale Vermittler:innen um ein erneutes Abkommen zwischen Militär und Zivilregierung bemüht sind, wird ein solches Abkommen von den Revolutionär:innen weitgehend abgelehnt. Die Widerstandskomitees propagieren mit den „drei Neins“: keine Verhandlungen, keine Partner:innenschaft und keine Legitimierung des Putschregimes.

Der Putsch hat ihnen gezeigt, dass sie sich nicht auf eine Einhaltung derartiger Abmachungen seitens des Militärs verlassen können. Die Entwicklungen der vergangenen Monate haben sie in dieser Annahme bestätigt. Die Aussichten darauf, dass das Militär ohne ein solches Abkommen zurücktreten wird, sind jedoch ebenso gering. Dies führt Berichten zufolge auch innerhalb der Komitees zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich eines Abkommens.

Mit diesen Entwicklungen hat die anfängliche Zuversicht innerhalb der Widerstandsbewegung abgenommen. Viele Menschen haben durch den Putsch nicht nur die Aussicht auf einen demokratischen Wandel, sondern auch ihre Einkommen verloren. Eine depressive Stimmung beherrscht die Hauptstadt Khartum, die das Zentrum politischer Kämpfe bildet.

Es finden zwar weiterhin wöchentlich Proteste statt, allerdings hat die Zahl der Protestierenden abgenommen. Dies wird mitunter als ein Zeichen zunehmender Akzeptanz des Putschregimes von der Zivilbevölkerung bewertet. Tatsächlich aber wehren sich die Revolutionär:innen nach wie vor gegen die Militärherrschaft. Doch zwischen stundenlanger Abschaltung des Stroms, unzureichender Wasserversorgung, rapide steigenden Lebenshaltungskosten Hunger und Armut, glühender Hitze und dann starken Überschwemmungen in der Regenzeit, sind die Menschen gezwungen, zunächst lebensnotwendige Bedürfnisse zu stillen.

Welche Verantwortung trägt die internationale Gemeinschaft?

Die sogenannte internationale Gemeinschaft ist für diesen Verfall zumindest teilweise mitverantwortlich. Anstelle eines kompletten Schuldenschnitts zu Beginn der Übergangsperiode, der es ermöglicht hätte, die ohnehin starke Inflation wenigstens einzudämmen, trieben die Zahlungsforderungen der sogenannten westlichen Staaten die Übergangsregierung zu neoliberalen Reformen. So zum Beispiel zur Streichung von Subventionen für viele lebensnotwendige Güter wie Weizen und Benzin. Dies belastete die ohnehin leidende Bevölkerung weiter.

Es fehlte auch an wirkfähiger Unterstützung für den Aufbau einer nachhaltigen Demokratie. Zwar flossen im Anschluss an die Schuldentilgung Millionen an Hilfsgeldern an UN und Nichtregierungsorganisationen, allerdings konnten viele dieser Gelder durch fehlende Strukturen nicht vollständig verwertet werden.

Heute ist der Sudan ein Schlachtfeld geopolitischer Auseinandersetzungen. So finanziert Russland seinen Angriffskrieg in der Ukraine unter anderem durch die Aktivitäten der Wagner Group im Sudan. Die Wagner Group ist eine Söldnereinheit, die mit der RSF kooperiert, um dort nach Gold und anderen Bodenschätzen zu graben.

Doch auch Deutschland und andere westeuropäische Staaten zeichnen sich durch eine eher passive Haltung aus. Zwar wurden internationale Fonds eingefroren, aber die Offenheit für ein erneutes Abkommen mit dem Militär lässt vermuten, dass im Fokus eher staatliche Stabilität als ein nachhaltiger Demokratieaufbau stehen. Währenddessen wendet sich das Putschregime für finanzielle Unterstützung an die Golfstaaten, die wiederum eigene wirtschaftliche Interessen im Sudan verfolgen.

Konsequenzen für die Zivilbevölkerung

Die Aussichtslosigkeit auf politischen und wirtschaftlichen Wandel bringt nun wieder viele Menschen dazu, das Land zu verlassen. Insbesondere Menschen, die der rasch schwindenden Mittelschicht angehören, fühlen sich gezwungen ins Ausland zu gehen, um dort als Fachkräfte Geld zu erwirtschaften, mit dem sie ihre Familien unterstützen und sich ein eigenes Leben aufbauen können.

Es droht eine erneute Massenabwanderung von Fachkräften, wie es sie bereits in den 1990er-Jahren unter der Regierung al-Bashirs gegeben hat. Dies würde weitere massive Rückschläge für den Aufbau des Landes bedeuten. „Das ist unser Problem. Wir lieben unser Land, aber wir können nicht darin leben“, sagt eine junge Frau, als sie von ihren Umzugsplänen nach Saudi-Arabien berichtet.

Der Widerstand geht dennoch weiter, durch die Arbeit der Widerstandskomitees und durch unzählige zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich im Zuge der Revolution 2019 gründeten. Die Organisationen versuchen unter anderem mit Podiumsdiskussionen und Symposien Brücken zu schlagen zwischen Zivilgesellschaft und politischen Parteien. Aber das Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien in der Zivilbevölkerung ist groß. 

Fehlende demokratische Strukturen innerhalb der Parteien, die Hegemonialstellung politischer Eliten und Korruptionsvorwürfe führen insbesondere unter jungen Menschen zu einer kritisch-ablehnenden Haltung gegenüber Parteien. Viele machen die Parteien mitverantwortlich für den Militärputsch. Während der Übergangsperiode kam es immer wieder zu Machtkämpfen zwischen ihnen, was die Oppositionsverbindung zerrüttete und somit die Position der revolutionären Kräfte gegenüber dem Militärrat innerhalb der Übergangsregierung schwächte.

Die Bewegung ist sich darüber bewusst, dass sie nur gemeinsam zu einer Lösung kommen können. Die verschiedenen lokalen schaffen Plattformen, die Raum bieten für politischen Austausch und öffentliche Debatten anstoßen. Dort kommen Menschen zusammen, tauschen Visionen aus und arbeiten Zukunftspläne aus. Gesellschaftliche und politische Bildung rücken damit ins Zentrum der revolutionären Aktivitäten.

Auch wenn das Ziel, die Putschregierung zu stürzen, weiterhin klar vor Augen steht: Es ist heute klar, dass dies eine möglicherweise lebenslange Aufgabe darstellt. „Ein Umkehren ist unmöglich“ bleibt somit eines der Leitmotive der Revolution.

 

 

Saskia lebt zwischen Berlin und Khartoum und promoviert in der Anthropologie zur Widerstandsbewegung im Sudan. Ansonsten beschäftigt sich Saskia mit den Themen Abolitionismus, soziale Ungleichheit und Kriminalität und engagiert sich im Gefängnisbereich.
Redigiert von Brandie Podlech, Pauline Jäckels