Aktivist:innen aus der ganzen Welt kommen nach Kairo, um sich an einem internationalen Konvoi mit Hilfsgütern für Gaza zu beteiligen. Doch die ägyptische Regierung stellt sich quer.
Sechs Wochen nach Beginn des Kriegs in Gaza ermöglicht eine Feuerpause größere Hilfslieferungen nach Gaza. Bisher kam wegen Israels Blockade des Gazastreifens Hilfe nur schleppend an. Alles muss durch den Grenzübergang Rafah, der viermal bombardiert wurde. Ägypten schloss den Grenzübergang zu Beginn des Kriegs und ließ Lastwagen nur mit israelischer Genehmigung nach Gaza. So zuletzt auch dringend benötigte Tanklaster.
Die ägyptische Journalist:innengewerkschaft hat deshalb zu einem internationalen Hilfskonvoi aufgerufen, dem Global Conscience Convoy. Aktivist:innen aus der ganzen Welt sind seitdem in die ägyptische Hauptstadt gekommen, um Hilfe und Ärzt:innen nach Gaza zu bringen. Sie fordern die Öffnung des Grenzübergangs und vor allem ein Ende des Krieges. Doch die Frage, wer Hilfe nach Gaza schicken darf, ist in Ägypten kurz vor den Wahlen im Dezember hochpolitisch.
Berliner Intensivmediziner will mit dem Konvoi nach Gaza
Einer, der mit dem Global Conscience Convoy den Gazastreifen erreichen will, ist der Berliner Intensivmediziner Nizar Haddad. Am Freitagmittag sitzt er in einem Café in Downtown Kairo, die Feuerpause in Gaza gilt gerade ein paar Stunden. Haddad, der eigentlich anders heißt, sind Trauer und Stress der letzten Wochen anzusehen. Er ist im nördlichen Gazastreifen geboren und aufgewachsen, lebt seit zwanzig Jahren in Berlin. „Beit Hanun, meine Heimatstadt, gibt es nicht mehr“, sagt er. 22 Familienmitglieder hat er in diesem Krieg verloren. Zu drei seiner Schwestern und deren Familien in Gaza hält er so gut wie möglich Kontakt.
Kaffeetrinken ist also das Letzte, was der 39-Jährige an diesem Tag tun will. UN-Agenturen bezeichnen die Lage im Gazastreifen als katastrophal. Laut Gesundheitsministerium in Gaza wurden 35.000 Menschen verletzt, mehr als 14.000 getötet. Die WHO registrierte bis zum 20. November 164 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen, die Versorgung ist in weiten Teilen zerstört. Haddad, der im Januar eine Stelle als Oberarzt in einem Berliner Klinikum antreten wird und in Berlin politisch bei Palästina spricht engagiert ist, will jetzt als Arzt helfen. Er versuchte es mit den Ärzten ohne Grenzen, doch „es gibt keine Intensivstationen mehr in Gaza. Als Intensivmediziner kann ich dort nichts tun.“
Demonstrationen vor ägyptischen Botschaften weltweit
Also bleibt als letzte Möglichkeit der internationale Konvoi. Doch ob und wann der startet, ist ungewiss. Weltweit und auch in Deutschland demonstrierten deshalb letzten Donnerstag Aktivist:innen im Exil gemeinsam mit palästinensischen Organisationen vor ägyptischen Botschaften. Sie forderten ein Ende des Krieges, die Genehmigung des Global Conscience Convoy und kritisierten, dass ihre Regierung bezüglich der Grenzöffnung nicht souverän entscheidet. „Damit macht Ägypten sich mitschuldig an der Blockade Gazas“, so Bishoy Kaleny, einer der Organisatoren von Egyptian Diaspora Resists.
Aktivist:innen, Ärzt:innen und Journalist:innen aus den USA, Deutschland, Portugal, Großbritannien und anderen Ländern, die schon in Kairo angekommen sind, haben bei den ersten gemeinsamen Treffen in der Journalist:innengewerkschaft viele Fragen. Wer genehmigt was nicht, warum kann der Konvoi nicht fahren, und warum schließt man sich nicht dem offiziellen Konvoi an? Auch die Sicherheit der Teilnehmenden ist ein Thema, denn 2010 wurden bei einem türkischen Konvoi per Schiff neun Aktivist:innen getötet, als israelisches Militär das Schiff enterte. Eine zehnte Person verstarb 2014 nach vierjährigem Koma.
Die Rolle der Hilfskonvois im ägyptischen Wahlkampf
Die politische Lage in Ägypten macht es den Aktivist:innen schwer, ihren ausländischen Mitstreiter:innen klare Antworten zu geben. Fest steht, dass Präsident Abdel Fattah al-Sisi einen eigenen Konvoi nach Gaza schickt. Angesichts der Präsidentschaftswahlen am 8. Dezember, sind alternative Konvois nicht gerne gesehen. Man will nationale Einheit signalisieren. Der offizielle, als „Lang lebe Ägypten: Um Palästina zu helfen“ betitelte Konvoi kam am Freitag in Rafah an, nach offiziellen Angaben mit 500 Lastwagen und 8950 Tonnen an Hilfsgütern.
Weil die Journalist:innengewerkschaft mit Khaled El-Bashly seit März zum ersten Mal seit 2013 einen unabhängigen Präsidenten hat, werden deren Aktionen besonders misstrauisch beobachtet. Unter ihm wurde der Sitz der Gewerkschaft in Kairo erstmals wieder zu dem Treffpunkt und sicheren Ort für Journalist:innen und Aktivist:innen, der er bis 2016 war, als erstmal die Polizei in das Gebäude eindrang und zwei Journalisten verhaftete, die dort Schutz suchten.
2011 und 2023 hängen Palästina-Solidarität und Kritik am eigenen Regime eng zusammen
Nur deshalb war am Donnerstag überhaupt eine kleine Demonstration vor dem Gewerkschaftsgebäude in Kairo möglich. Das Demonstrationsrecht ist in Ägypten massiv eingeschränkt. Erst rief die Regierung im Oktober selbst zu propalästinensischen Demonstrationen auf. Doch als die Teilnehmenden auf eigene Faust zum Tahrirplatz – ein Symbol der Revolution von 2011 – strömten und regimekritische Slogans riefen, nahm die Polizei Hunderte fest.
Proteste für Palästina und gegen das eigene Regime hängen in Ägypten schon länger zusammen, wie der in Berlin lebende ägyptische Aktivist und Politikwissenschaftler Hossam Al-Hamalawy analysiert. Für ihn ist die Revolution von 2011 auch Höhepunkt einer Phase der politischen Organisierung, die mit den Protesten im Kontext der zweiten Intifada ein Jahrzehnt früher begann. Vor diesem Hintergrund befürchte die ägyptische Regierung auch jetzt einen Domino-Effekt.
Ägypter:innen fühlen sich Gaza eng verbunden
Gruppen, die sich damals gründeten, werden jetzt wieder aktiv. So tragen die teils älteren Herren des Volkskomitees für Solidarität mit Palästina, das aufgrund des aktuellen Kriegs neue, jüngere Mitglieder bekommt, ein paar Tage vor der Feuerpause kistenweise Hilfsgüter aus ihrem Büro auf die Straße, von wo sie in ein größeres Lager gebracht werden. Das Komitee organisiert einen Konvoi mit vier Lastwagen, der genauso wie der Global Conscience Convoy noch auf Genehmigung wartet.
Decken und medizinisches Material ist dabei. Vor allem gehe es aber um das Zeichen der Solidarität, erklärt Ahmed Mostafa, ein Mitglied des Komitees. „Wir gehen als Menschen an die Grenze, um den Palästinenser:innen zu zeigen: Wir sind da.“
„Viele haben Familie in Gaza, wir heiraten untereinander“, sagt Mostafa, der eigentlich anders heißt und lieber anonym bleiben möchte. „Mein Neffe heißt Jassir Arafat, meine Nichte Dalal Al-Mughrabi“, erzählt Ahmed.
Mit ihrem eigenen Konvoi will das Komitee Druck auf die Regierung ausüben. „Wir schämen uns, dass Ägypten die Grenze dichthält“, sagt Mostafa. Er wünscht sich, dass Ägypten souveräner auftritt. Viele im Land nehmen die Regierung im Nahostkonflikt als schwachen Akteur war. Die Hoffnung auf eine Genehmigung ist gering, aber: „Wir werden es versuchen.“
Alle Hoffnung liegt auf der Feuerpause
Mit der Verlängerung der Feuerpause um zwei Tage steigt die Hoffnung der Aktivist:innen und Journalist:innen des Global Conscience Convoys erneut, doch noch ihren Konvoi mit aktuell insgesamt sieben bis acht Lastwagen an Hilfsgütern und einem Ärzteteam nach Gaza zu bringen und gleichzeitig ein politisches Zeichen zu setzen. Für diejenigen mit persönlichem Bezug zu Palästina war die bisherige gezwungene Untätigkeit schwer zu ertragen. Dennoch stand es auch für sie außer Frage, sich dem offiziellen Konvoi der ägyptischen Regierung anzuschließen.
„Für mich war der Konvoi der letzte Versuch, mit einem Team von Ärzt:innen nach Gaza hereinzukommen“, sagt Haddad, der keinen Sinn in symbolischen Akten sieht. „Meine Familie lebt dort. Ich bin direkt betroffen, aber kann und darf gar nicht helfen als Mediziner. Wie soll ich mich solidarisch zeigen, wenn ich nicht einmal meine eigene Familie sehen kann?“