08.12.2023
Wer traut sich? Gegenkandidat:innen zu Abdel Fatah al-Sisi in Ägypten
In Kairo hängen zwar auch Wahlplakate der Gegenkandidaten, jedoch in nicht ansatzweise vergleichbarer Anzahl wie von Präsident al-Sisi. Foto: Dis:orient
In Kairo hängen zwar auch Wahlplakate der Gegenkandidaten, jedoch in nicht ansatzweise vergleichbarer Anzahl wie von Präsident al-Sisi. Foto: Dis:orient

Am 10. Dezember 2023 finden in Ägypten Präsidentschaftswahlen statt. Obwohl es keine Chance gibt, den herrschenden Präsidenten abzuwählen, lassen sich Gegenkandidat:innen aufstellen. Wer sind sie und wie ergeht es ihnen kurz vor der Wahl?

Eigentlich war die Präsidentschaftswahl in Ägypten erst zum Ende der aktuellen Legislaturperiode im April 2024 geplant. Um die ägyptische Wirtschaft zu retten, zog Präsident al-Sisi die Wahl vor, so die offizielle Begründung. Ein anderer Grund könnte sein, dass al-Sisi in den kommenden Wochen möglicherweise weiter an Zustimmung in der Bevölkerung verliert. Der Präsident steht momentan wegen seiner zurückhaltenden Reaktion auf die katastrophale Situation in Gaza in der Kritik. Entscheidend verschärft wird die Unzufriedenheit durch die rasante Abwertung des ägyptischen Pfunds, begleitet von steigender Inflation. Die starken Preiserhöhungen für Lebensmittel, Benzin und importierte Güter strapazieren die Geduld der Ägypter:innen zusätzlich.

Trotz klarer, in der Verfassung definierter Begrenzung des Amtes auf zwei Legislaturperioden, beansprucht Abdel Fattah al-Sisi eine dritte. Nach seiner zweiten „Wiederwahl“ 2018 verlängerte er die Amtszeiten per Referendum von vier auf sechs Jahre. Bei seiner erneuten „Wiederwahl“ könnte er bis 2030 im Amt bleiben.

Vielversprechende oppositionelle Kandidaten verhaftet

Die Regierung gab Gegenkandidat:innen einen engen Zeitrahmen um die Voraussetzungen für eine Kandidatur zu erfüllen: Sie wurden erst zwei Monate vor der Wahl bekanntgegeben. Die ägyptische Verfassung fordert von den Kandidat:innen, dass sie die Unterstützung von mindestens 20 Abgeordneten des Parlaments oder 25.000 registrierten Wählern aus mindestens 15 Gouvernements erhalten, wobei mindestens 1.000 Unterstützungen aus jedem Gouvernorat stammen müssen. Die meisten prominenten politischen Persönlichkeiten, die eine Kandidatur anstreben, haben die Mindestanzahl der erforderlichen Unterstützungen von Parlamentsmitgliedern erhalten (also 20).

Einige der Kandidat:innen schieden bereits in dieser Phase aus – durch Repression und Verhaftungen. Unter ihnen waren vielversprechende Kandidat:innen, wie beispielsweise Hisham Kassem. Der Verleger und Gründer der Zeitung Al-Masry Al-Youm sowie der Menschenrechtsorganisation Egyptian Organization for Human Rights war Ende Juni 2023 unter den Gründer:innen eines neuen liberalen Bündnisses, der al-Tayar al-Hurr (dt. Freie Strömung). Kassem kritisierte die Wirtschaftspolitik der Regierung und die Rolle des Militärs im politischen Leben. Im August 2023 wurde er daraufhin verhaftet.

Ähnlich erging es Ahmed Tantawi, dem ehemaligen Vorsitzenden der Karama-Partei (Hizb al Karama / wörtl. Partei der Würde) und Mitglied der Oppositionsallianz Civil Democratic Movement. Nachdem er angekündigt hatte, nach Kairo zurückzukehren, um für die Präsidentschaft zu kandidieren, wurden einige seiner Unterstützer:innen und Familienmitglieder verhaftet, einige später wieder freigelassen. Ahmed Tantawi selbst befindet sich derzeit ebenfalls in Haft und wird beschuldigt, nicht autorisierte Unterstützungsformulare für die bevorstehenden Wahlen verbreitet zu haben. Am Ende konnte er nur 14.000 Unterstützungsbekundungen einreichen und schied aus dem Rennen aus.

Die einzige Frau unter den Kandidat:innen war Gameela Ismail von der Dostour-Partei (dt. Verfassungspartei). Obwohl ihr die breite Unterstützung fehlte, war sie aufgrund ihrer Integrität, ihres Engagements und ihrer umfassenden Erfahrung in der ägyptischen Politik und Medienlandschaft eine bemerkenswerte Kandidatin. Anfang Oktober gab sie bekannt, dass sie ihre Kandidatur für die ägyptischen Präsidentschaftswahlen zurückziehe. Ihre Partei hatte beschlossen, sie nicht für das Amt des Präsidenten zu nominieren.

Schließlich bleiben noch drei Kandidaten im Rennen…

Wer ist also noch übrig? Genügend Unterstützungsbekundungen aus Volk und Parlament erhielten neben Amtsinhaber Präsident Abdel Fattah al-Sisi drei weitere Herren:

Hazem Omar, Vorsitzender der Republikanischen Volkspartei in Ägypten und Mitglied des Parlaments, reichte seine Kandidatur zusammen mit 46 Unterstützungsbekundungen von Parlamentsmitgliedern ein. Das Wahlprogramm von Hazem Omar konzentriert sich auf Reformen des lokalen Verwaltungssystems, darunter die Umstrukturierung der Gouvernements, die Schaffung von Wirtschaftsregionen und die Einführung eines Sonderstatus für Kairo.

Abdel-Sanad Yamama übernahm im März 2022 den Vorsitz der liberalen Wafd-Partei, die 1919 während der antibritischen nationalistischen Revolution entstand. Sein Wahlprogramm konzentriert sich auf Wirtschafts-, und Bildungsreformen und den Schutz der historischen Nilrechte Ägyptens. Yamama schlägt eine nationale Bildungsbehörde vor und setzt sich für die Unabhängigkeit der Judikative ein. Er appelliert an die Bürger:innen, sich an den Wahlen zu beteiligen und hofft auf einen politischen Wechsel angesichts der langen politischen Periode ohne echte Veränderungen.

Farid Zahran, Vorsitzender der oppositionellen Sozialdemokratischen Partei, konnte 28 Unterstützer:innen im Parlament gewinnen. Er möchte das bestehende System transformieren und betont die Bedeutung pluralistischer Wahlen. Im nationalen Dialog sprach er sich für einen modernen demokratischen Staat aus, in dem der Präsident die Behörden verwaltet und nicht kontrolliert. Er beabsichtigt, öffentliche Investitionen effizienter zu gestalten, Industriekomplexe auszubauen, und Forschung und Innovation zu fördern. Zahran setzt sich für ausländische Direktinvestitionen im Industriesektor und die Reform des Agrarsektors ein. Er plant Anreize für den Übergang des informellen Sektors zur formalen Wirtschaft und eine Neugestaltung des Steuersystems.

… gegen Amtsinhaber al-Sisi

Der Präsidentschaftswahlkampf wird von vielen als Farce betrachtet, da al-Sisi die Unterstützung der Armee, der Justiz und des Innenministeriums hat. Kritiker:innen interpretieren die Genehmigung der Kandidaten durch die Regierung eher als einen Versuch, den Wahlen den Anschein der Legitimität und Fairness zu verleihen, auch auf internationaler Ebene. Sie sollen politische Vielfalt simulieren.

Die Frage, warum unabhängige Kandidat:innen überhaupt antreten, obwohl al-Sisi mit großer Wahrscheinlichkeit im Amt bleibt, beantworten Beobachter:innen damit, dass es wichtig sei, Opposition zu zeigen. Trotz hoher Kosten für scheinbar sinnlose Wahlkampagnen signalisieren sie der Bevölkerung in Ägypten, dass es Alternativen gibt. Trotz der offensichtlichen Zustände bleibt zu hoffen, dass viele Ägypter:innen zur Wahl gehen: Statt gar nicht zu wählen, werden viele einen ungültigen Wahlzettel abgeben. So steigern sie die Wahlbeteiligung gesteigert und beeinflussen die Gewichtung der Stimmen.

Bemerkenswert ist, dass al-Sisi keiner Debatte mit dem Volk ausgesetzt war. Die Massen für seine Kampagnenevents wurden teilweise unter Vortäuschung falscher Versprechen angelockt, darunter Auftritte von berühmten Sänger:innen und die Ankündigung, dass Essen verteilt werde. Kürzlich forderte Sisi die Ägypter:innen auf, weniger über Lebensmittelpreise zu klagen und für die Entwicklung des Landes auch Hunger und Durst in Kauf zu nehmen. Diese Aussage zeigt, wie entfremdet der 69-jährige Präsident und ehemalige Armeechef von seinem Volk ist. Es bleibt abzuwarten, wie viele Stimmen für den amtierenden Präsidenten gezählt werden und welche Strategien al-Sisi in den kommenden Jahren zur Bewältigung der Krise des Landes verfolgen wird.

Eine längere Version auf Englisch ist auf dem Blog der Autorin erschienen.

 

 

 

 

Samira Abbas hat Islamwissenschaften in Berlin studiert. Ihre Masterarbeit schrieb sie über die politische und soziokulturelle Situation der Beduinen auf der Sinai-Halbinsel in Ägypten. Seit 2017 lebt sie in Ägypten und schreibt auf ihrem Blog "The Pharao's Goats" über Politik und Gesellschaft in Ägypten. 
Redigiert von Clara Taxis, Louisa Meier