Als Feminist:in betiteln sich viele – um es dann bei dem inszenierten Selbstbild zu belassen. Der Begriff wird zu einem stolz getragenen Label. Wir gehen gerne mit der Zeit, jedoch weniger gern als Demonstrant:innen auf die Straße.
Alle Jahre wieder… feiern wir den feministischen Kampftag! Wer noch Putzmittel, Kosmetikartikel, Pralinen oder Windeln kaufen möchte, das ist der Tag dafür. Denn nur am 8. März sind all diese und weitere Produkte reduziert. Obwohl prinzipiell nichts gegen bunten Nagellack oder leckere Pralinen auszusetzen ist, macht diese Kommerzialisierung den feministischen Kampftag fälschlicherweise zu etwas „Unpolitischem“. Sie raubt ihm somit seine Bedeutung und bekräftigt all die geschlechtsspezifischen Stereotype, gegen die es ohnehin zu kämpfen gilt.
Feminismus: Sozialistisch und intersektional
Vor mehr als 100 Jahren ist der feministische Kampftag vor einem sozialistischen Hintergrund entstanden. Als am 8. März 1908 in New York City Textilarbeiterinnen, die meisten von ihnen Migrantinnen, gegen die unwürdigen Arbeitsbedingungen, die schlechte Bezahlung und für das Wahlrecht protestierten, rief die Socialist Party of America den Nationalen Frauentag ins Leben.
Zwei Jahre später präsentierte die Kommunistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin, inspiriert durch die Proteste in den USA, auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen die Idee eines internationalen Weltfrauentages. Dieser sollte jedes Jahr stattfinden, um die Anliegen der Frauen zu beleuchten und durchzusetzen. In Russland erhielt der Weltfrauentag 1917 eine besondere Bedeutung, als die Proteste für Brot, Frieden und das Wahlrecht den Beginn der Februarrevolution markierten. Nach nur vier Tagen war die russische Zarenherrschaft beendet sowie das Frauenwahlrecht errungen.
Der feministische Kampf war also seit seinen Anfängen eng mit sozialistischen Forderungen verflochten. Auch heute fordern viele Feminist:innen weltweit nicht nur Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, sondern auch soziale Gerechtigkeit für alle, insbesondere für FLINTA*, da patriarchalische und kapitalistische Strukturen diese am härtesten treffen.
Von einem feministischen Kampf können wir aber nur dann reden, wenn wir auch diejenigen ins Zentrum stellen, für die wir eigentlich kämpfen sollten: Marginalisierte Gruppen. Denn Menschen werden aufgrund von Geschlecht, Sexualität, ihrer Rassifizierung und Klassenzugehörigkeit diskriminiert und daran gehindert, am politischen Geschehen teilzunehmen. Die Anerkennung dieser Vielschichtigkeit an Unterdrückungen realisiert sich im intersektionalen Feminismus. Denn eine Schwarze Transfrau hat im Alltag mit mehr Diskriminierungsformen zu kämpfen als eine weiße cis Frau.
Die Scheinheiligkeit des Trend-Feminismus
In Kontrast zum intersektionalen steht der liberale Feminismus, der auch mit dem sogenannten „Girlboss Trend“ assoziiert wird. Unterdrückende Strukturen werden hier beibehalten, meist sogar gefördert. Wenn nur eine kleine Gruppe (privilegierter) FLINTA* es schafft, auf Kosten von anderen Menschen die sogenannte Glasdecke zu durchbrechen, sind das keine starken FLINTA*, die Applaus verdienen. Dennoch sind stets sie diejenigen, die öffentlich als Paradebeispiel vorgeführt werden.
Eines dieser Paradebeispiele ist die 100. Hollywood-Sängerin, die ihre eigene Kosmetikmarke rausbringt und dafür zelebriert wird. Die Tatsache, dass wir den Schimmer dieser Produkte Kinderarbeit in Indien verdanken, bleibt selbstverständlich verschwiegen. Diese Kinder bauen für einen erbärmlichen Lohn den Mineralstaub aus den Minen ab und setzen sich dabei lebensgefährlichen Risiken aus, wie zum Beispiel Schlangen- oder Skorpionbissen, Atemwegserkrankungen oder Minen-Einstürzen. Das Geld, das sie mit dieser schweren Arbeit verdienen, reicht am Ende kaum für Lebensmittel. Genauso paradox ist es, ein Oberteil mit der Aufschrift „I am a Feminist“ zu tragen, ohne ein Bewusstsein dafür, dass es höchstwahrscheinlich durch unterbezahlte FLINTA* und Kinder des Globalen Südens produziert wurde.
Feminismen weltweit
Das Paradox solcher T-Shirts zeigt das eigentliche Problem eines liberalen Feminismus auf – er entspricht nur der Lebensrealitäten der Person, die es kaufen, bestellen und tragen kann. Dabei wurden die T-Shirts auf Basis von Ausbeutung und Ignoranz gegenüber feministischen Forderungen aus dem Globalen Süden produziert. International gibt es diverse feministische Kämpfe und nur wenige erhalten Aufmerksamkeit. Ein gutes Beispiel dafür ist Lateinamerika. Dort gibt es Klassenunterschiede zwischen der ärmeren, meist indigenen Bevölkerung, die mehr Diskriminierungen ausgeliefert ist, und der reichen, überwiegend weißen Bevölkerung, deren Vorfahren europäische Kolonialist:innen waren. So schreibt Carolina Torres im SPIEGEL: „Es gibt indigene Frauen, die um Territorien kämpfen. Es gibt afrolateinamerikanische Frauen, die um ihre Anerkennung kämpfen. Und es gibt Bewegungen wie 'Ni Una Menos', die zu einem Großteil von jungen, gebildeten Frauen aus der Mittelschicht angeführt werden.“
Dennoch ist es den Feminist:innen wichtig, aus dieser Diversität Kraft zu schöpfen und Seite an Seite für gemeinsame Ziele zu kämpfen. Daher wird inzwischen auch nicht mehr von einem Feminismus, sondern von mehreren Feminismen gesprochen, um ebendiese Diversität zu würdigen. Die Frauen von Rojava beispielsweise haben Kobanê gegen den Islamischen Staat verteidigt. Sie praktizieren und lehren aber auch die Jineolojî, die Wissenschaft der Frauen, mit dem Ziel der weiblichen Emanzipation. Ein besonderes Augenmerk liegt hier bei Strategien gegen häusliche Gewalt, Familienmorde und Vergewaltigungen. Deshalb wird den Frauen auch Selbstverteidigung beigebracht und den Opfern von Gewalt geholfen. Diese Art von Sororität und Solidarität bildet das Fundament für die Befreiung der FLINTA*.
Ein Blick nach Europa
Wenden wir unseren Blick in ein anderes Land, sehen wir, dass das 2021 verschärfte Abtreibungsgesetz in Polen das Leben von Schwangeren riskiert, um die Schwangerschaft aufrechtzuerhalten. In Extremfällen kann dies zum Tod schwangerer Personen führen. In Deutschland wurde kürzlich der Paragraph 219a, welcher die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbietet, gestrichen. Das heißt also, dass Frauenärzt:innen nun öffentlich darüber informieren dürfen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Aber auch diese Maßnahme hat nur Symbolcharakter. Denn Paragraph 218 und somit die grundsätzliche Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, bleibt weiterhin bestehen. Dabei wurden Schwangerschaftsabbrüche schon immer durchgeführt und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Nur müssen heute vor allem sozial schwächer gestellte FLINTA* ihre eigene Gesundheit riskieren und mehr Kosten auf sich nehmen, um über die eigenen Körper bestimmen zu dürfen.
Feministisch zu sein, erfordert Mut
Viele Forderungen der Feminist:innen sind jahrzehnte-, teilweise sogar jahrhundertealt und einige davon sind heute nicht weniger relevant als damals. Aber es erfordert Mut, sich mit der Geschlechterdiskriminierung und der damit zusammenhängenden sozialen Ungerechtigkeit zu befassen. Denn danach ist es nicht mehr möglich, die Welt mit den gleichen Augen zu sehen.
Was aber bedeutet das alles für die Feierlichkeiten des 8. März? Ich persönlich freue mich immer über Blumen und andere Geschenke am feministischen Kampftag, jedoch nur, wenn sie aus einer solidarischen Haltung gemacht werden und nicht einen Muttertags- oder Valentinstags-ähnlichen Beigeschmack haben. Viel mehr würde ich mich freuen, wenn tatsächlich alle, die dazu imstande sind, auf die Straßen gehen und sich mit feministischen Kämpfen solidarisieren – und zwar nicht nur am 8. März. Denn unabhängig davon, ob wir uns eher als politisch oder unpolitisch bezeichnen: auch die Enthaltung ist eine politische Entscheidung.
FLINTA*: Frauen, Lesben, Intersexuelle-, Nicht-binäre-, Transgender-, Agender-Menschen, und das * repräsentiert alle, die sich in den genannten Buchstaben nicht wiederfinden.