Ein neues Gesetz schreibt Frauen vor, wie sie sich in den sozialen Medien zu kleiden haben. Immer wieder mischt sich das iranische Regime ins Privatleben der Menschen ein. Wer das nicht kritisiert, ist privilegiert und angepasst, findet Omid Rezaee.
Ein leidenschaftlicher Kuss auf einem Hausdach, im Hintergrund ein romantischer Sonnenuntergang. In den meisten Ländern wäre diese Szene Normalität. Nicht so in Iran. Besonders, weil auch eine leicht bekleidete Frau zu sehen ist, die sich in der Öffentlichkeit nicht so zeigen, geschweige denn Küssen darf.
Am 12. Mai veröffentlichte der iranische Sportler Alireza Japalaghy dieses Foto auf Instagram. Der Titel: „Teheraner Sonnenuntergang“. Japalaghy ist in den sozialen Netzwerken vor allem für seine spektakulären Parkour-Aufnahmen bekannt. Drei Tage später wurde der 28-Jährige festgenommen und seine Wohnung durchsucht. Bis heute ist unklar, ob er wieder freigelassen worden ist.
Auch die Frau, die auf dem Foto zu sehen war, wurde verhaftet. Die Teheraner Polizei sagt, dass die beiden die Regeln gebrochen und sich vulgär verhalten hätten. Die Justiz werde sich mit ihnen befassen. Die offiziellen Vorwürfe sind noch nicht bekannt, doch nach Angaben der Polizei gehen sie in Richtung Sittenwidrigkeiten und nicht-islamischen Verhaltens.
Nur wenige Tage nach diesen Verhaftungen berichteten Medien über ein neues Gesetz, das vorschreibt, wie sich iranische Frauen in den sozialen Medien verhalten sollen. Laut dem Vizepräsidenten der für Netzkriminalität zuständigen Cyber-Polizei, Ramin Pashaee, würden sich Frauen strafbar machen, wenn sie den „islamischen Dresscode“ in den sozialen Medien nicht einhalten.
Neu ist dabei: Das Gesetz soll nicht, wie bislang, nur für Prominente gelten - also Personen des öffentlichen Lebens mit vielen Follower*innen – sondern auch für normale Menschen. Praktisch heißt das: Wegen völlig privater Fotos und Videos auf Instagram, Twitter oder Facebook könnte weiblichen Personen in Iran künftig eine Strafe drohen.
Im Parlament wurde all das nie diskutiert. Es ist die Polizei, die das bestehende Hijab-Gesetz, nach dem Frauen in der Öffentlichkeit ihre Haare bedecken sollen, nun neu auslegt. In den letzten 40 Jahren wurde dieses Gesetz so durchgesetzt, dass Frauen ab dem Alter von etwa sieben Jahren in der Öffentlichkeit nur Gesicht und Hände zeigen dürfen. Ob die sozialen Medien als Öffentlichkeit gelten, ist unter unabhängigen iranischen Jurist*innen umstritten.
In den sozialen Medien sorgten die neuen Vorschriften für Empörung. Viele Frauen berichteten, dass sie nicht bereit seien, ihre Fotos ohne Kopftuch zu löschen und derartige Bilder auch in Zukunft posten wollten. Eine Änderung im Verhalten der Nutzerinnen der sozialen Medien im Iran ist bislang tatsächlich nicht zu beobachten.
Staatliche Unterdrückung im Privatleben
Doch es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass sich das islamische Regime ins Privatleben der eigenen Bevölkerung einmischt. Das sogenannte Hijab-Gesetz, das seit 1981 im „islamischen” Strafgesetzbuch des Landes steht, war der erste parlamentarische Schritt des neugegründeten Gottesstaates, die – besonders weiblichen – Körper und das private Leben der Bürger*innen zu kontrollieren.
Eine andere Regulierung, die nicht nur Frauen betrifft und einen permanenten Einfluss auf den Alltag jedes Menschen in Iran hat, ist eine strenge Interpretation des Satzes 637 des Strafgesetzbuches. Dieser verbietet es, nicht verwandten oder nicht verheirateten Männern und Frauen, „zusammen zu sein“. Was dieses „Zusammensein“ konkret bedeuten soll, ist nicht klar definiert. Es könnte auch heißen, dass ein Mann und eine Frau miteinander in der Öffentlichkeit spazieren gehen, gemeinsam auf einer Parkbank oder in einem Auto sitzen oder zusammen ein Café oder Restaurant besuchen.
Trotz dieser harschen Regeln gibt es immer wieder beschwichtigende Einwände, auch von Seiten der Opposition. Sind Kleidervorschriften und untersagte zwischengeschlechtliche Beziehungen in Iran wirklich das große Problem? Sollte man nicht andere Prioritäten setzen in einem Land, in dem wirtschaftliche Misere, die Einschränkung der Pressefreiheit und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung stehen? Man müsse ja Prioritäten setzen, und in so einem Land solle man sich eher um rein wirtschaftliche und politische Änderung bemühen, als um die privaten Freiheiten, heißt es häufig.
Wer das glaubt, muss zu den Privilegierten und Angepassten gehören. Sie sind von diesen Regeln weniger oder gar nicht betroffen: Diejenigen, deren Lifestyle zum offiziell Vorgeschriebenen ohnehin gut passt, oder die Männer, die unter den frauenfeindlichen Gesetzen weniger leiden.
Die Menschen sind die Gängelung leid
Eine große Mehrheit, die strenge islamische Werte nicht teilt und nach anderen Normen leben will, sieht das aber anders. Viele Menschen wären vielleicht sogar bereit, dafür auf politische Teilhabe verzichten. Es gelingt ihnen teils schon jetzt, sich mit der wirtschaftlichen Lage zu arrangieren und mit viel Genügsamkeit ein durchschnittliches Leben aufzubauen.
Doch diese Menschen sind es leid, dass die Politik sie nicht loslässt, auch wenn sie nichts mit ihr zu tun haben wollen. Das islamische Regime mischt sich tief in ihr Privatleben ein. Es schreibt ihnen vor, wie sie sich kleiden sollen, mit wem sie ausgehen dürfen und was sie essen oder trinken dürfen. Dabei wollen diese Menschen einfach nur leben.
Das ist, was den schiitischen Totalitarismus, der seit 40 Jahren im Iran regiert, grundlegend von den meisten anderen autoritären Regimen unterscheidet: Dass man nicht nur wegen kritischer Äußerungen oder politischen Engagements im Knast landen oder sogar zu Tode verurteilt werden könnte, sondern auch wegen eigentlich apolitischen Dingen des alltäglichen Lebens: Sex, Alkohol oder eben ein Foto ohne Kopftuch auf Instagram.