Politische Diskurse beeinflussen die Wahrnehmung von Kunst und Architektur. Kann die Schönheit eines Kunstwerks überhaupt unmittelbar gesehen werden – oder sehen wir nur die Erzählungen darüber? Ein Gastkommentar von Hewad Laraway
Wir erleben eine Zeit, in der die Sinnhaftigkeit von Begriffen mit kolonialem, rassistischem oder sexistischem Hintergrund in Frage gestellt werden darf. Glücklicherweise ist die Bezeichnung „islamische Kunst“ von einer solchen kritischen Auseinandersetzung nicht verschont geblieben. Dass eine Revision dieses Begriffs dringend notwendig ist, haben etwa die Wissenschaftlicher*innen Sheila S. Blair und Jonathan M. Bloom in ihrem 2003 erschienenen Aufsatz gezeigt. Andere Kunsthistoriker*innen sprechen sogar von einem Ende der „islamischen Kunst“. Wäre es auch nicht seltsam, heutzutage die Werke einer in Berlin kunstschaffenden Person in einer „Galerie für islamische Kunst“ zu platzieren, nur weil der Nachname ein wenig arabisch klingt?
Einige große Kunsthäuser, wie zum Beispiel das renommierte New Yorker Metropolitan Museum of Art, haben bereits vor einiger Zeit begonnen, ihre Sammlungen umzubenennen. Die „Gallery of Islamic Arts“ wurde kurzerhand zu einer an Geografie und Sprache orientierten Sammlung, zur „Galleries for the Art of the Arab Lands, Turkey, Iran, Central Asia, and Later South Asia“. In den Museen vieler anderer Weltmetropolen steht eine solche Umbenennung noch aus.
Der Umstand, dass selbst in einigen mehrheitlich von Muslim*innen bevölkerten Ländern diese Bezeichnung üblich ist, wie etwa die Museen von Kairo und Doha zeigen, reicht als Rechtfertigung einer solchen Kategorisierung nicht aus. Die Frage nach einem besonderen Charakteristikum der „islamischen“ Kunst ist alles andere als trivial. Besucher*innen einer christlichen oder buddhistischen Kunstausstellung erwarten in der Regel dort nur sakrale Werke, nicht die gesamte Vielfalt der 2000 bis 2500 Jahre. Warum soll das also für den Islam anders sein?
Von Alhambra bis Tadsch Mahal alles gleich?
Die Implikation, es gäbe gemeinsame ästhetische Erkennungsmerkmale, die den gesamten zeitlichen Raum vom 7. Jahrhundert bis heute und den geografischen Raum von Spanien bis Indien überdecken könnten, wäre bizarr und unzutreffend. Zwischen der Alhambra in Andalusien und dem Tadsch Mahal in Agra lassen sich kaum mehr kunsthistorische Spezifika für diese Bauten aufzählen, als dass deren Mäzene und künstlerischen Leitung muslimischen Glaubens waren. Eine in der ästhetischen Theorie begründete Einteilung findet sich dafür nicht.
Entstanden als kunsthistorische Disziplin im Kontext einer aufstrebenden europäischen Hegemonie des 19. Jahrhunderts, sowohl politisch als auch kulturell, trägt die Bezeichnung „islamische Kunst“ ein koloniales und orientalistisches Erbe mit sich. Eine kritische Debatte über die neue Einordnung und Interpretation der Kunst aus mehrheitlich islamischen Ländern muss daher mehr leisten als ein bloßer Wechsel der Nomenklatur, fordert Professorin Wendy Shaw, die an der Freien Universität Berlin Kunstgeschichte islamischer Kulturen lehrt.
Häufig liest sich in den Beschreibungen von Artefakten aus Ländern mit einer muslimischen Mehrheit, dass die Abwesenheit von figurativen Elementen ein charakteristisches Merkmal sei, und dass diese mit dem Bilderverbot im Koran zusammenhänge. Es lassen sich aber unzählige historische Werke finden, bei denen diese vermeintliche Regel nicht eingehalten worden ist, insbesondere bei den profanen Illustrationen in fürstlichen Palästen und in der Gestaltung von Lyrikbänden, wie das sogenannte Königsbuch, Schahnama, des persischsprachigen Dichters Ferdausi.
Darüber hinaus ist zwar aus der islamischen Rechtswissenschaft ein solches Bilderverbot bekannt, unter den Gelehrten ist das aber nicht unumstritten. Unter anderem ist dies nicht im Koran selbst verankert, sondern nur in einigen Stellen in Hadith. Zudem ist die Verehrung solcher Bilder als Götze untersagt worden, nicht jedoch die Gestaltung der Kunstwerke an sich.
Das T-Wort, ein zweischneidiges Schwert
Der Verzicht auf das Attribut „islamisch“ wäre, vor allem bei profaner Kunst, auch aus einem weiteren Grund angebracht. Die fast zwei Jahrzehnte andauernde mediale Überflutung mit dem zusammen geframeten Begriffspaar „Islam + Terrorismus“, lässt dieses T-Wort im Raum automatisch mitschwingen. Würde man Passanten in den Fußgängerzonen Europas oder Nordamerikas danach fragen, die Assoziationskette “Koran-Moschee-Islam-T*” zu vervollständigen, würde es nicht lange dauern, bis das “T-Wort” erraten ist. Es ist über die Jahre zu einem Deutungsrahmen geworden, der mit Gefahr und Angst besetzt ist.
Wer im Medienbetrieb arbeitet, könnte die Verpaarung der beiden Begriffe als lukratives Geschäft sehen. Wie eine simple Stichwortsuche bei einem Online-Versandhandel aufzeigt, lassen sich mit Schauergeschichten über Islam und Terror sehr erfolgreich Bücher verkaufen; entsprechendes gilt für Zeitungen und Kinotickets.
Insbesondere für als muslimisch gelesene Kunstschaffende – sprich mit schwarzen Haaren – muss es jedoch möglich sein, ihre Arbeit einer Öffentlichkeit präsentieren zu können, ohne dass sie in der Berichterstattung gezwungenermaßen als „muslimische“ Künstler*innen zitiert werden – außer es sei von ihnen selbst so erwünscht.
Neues Narrativ in der Kunstgeschichte
Trotz jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit von Kunsthistoriker*innen ist es leider so, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff „islamische Kunst“ bisher nur wenig vorangekommen ist. Nicht allein die vielen Hochschulstudiengänge und Museen, die weltweit heute immer noch diesen Namen tragen, zeugen davon.
Eine schlichte Umbenennung dieser Institutionen würde aber auch keinen Fortschritt in der Sache bringen, ohne einer vorhergehenden breiten gesellschaftlichen Debatte jenseits akademischer Kreise. Für ein neues Narrativ in der Kunstgeschichte wäre eine von der Gesellschaft getragene Dekonstruktion eines monolithischen Bildes der „islamischen Welt“ unerlässlich.
Das würde mehr differenzierte und individuelle Wahrnehmung der Menschen und ihren Kunstwerken ermöglichen. Nicht alles, was an Orten geschieht, in denen Muslim*innen leben, muss gezwungenermaßen mit „islamisch“ tituliert werden.