Schlagzeilen über den saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman sind mittlerweile nichts Ungewöhnliches mehr. Dennoch überraschte sein öffentlicher Zuspruch des israelischen Existenzrechts viele. Wie kommt es zu dieser Partnerschaft und wie stabil ist sie?
Als der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat am 20. November 1977 vor der israelischen Knesset sprach, war dies nichts weniger als eine historische Zäsur. In seiner Rede sprach er alle Menschen – Muslime, Christen und Juden – an, die auf diesem Heiligen Land leben. Und er sprach von einem friedlichen Zusammenleben.
Sadats Rede markierte den Beginn eines Friedensprozesses und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die in dem ägyptischen-israelischen Friedensvertrag 1979 kulminierten. Die interessengeleitete Politik des ägyptischen Präsidenten führte zu einer Rückgewinnung der im Krieg verlorenen Territorien auf der Sinai-Halbinsel, umfassende amerikanische Finanzhilfen und, gemeinsam mit seinem israelischen Amtskollegen Menachem Begin, der Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis.
Gleichzeitig führte es zu einer Isolation Ägyptens, da mehrere arabische Staaten die diplomatischen Kontakte abbrachen und den Sitz der Arabischen Liga von Kairo nach Tunis verlegten. In den Augen der arabischen Staatsführer hatte Ägypten gegen die Resolution von Khartum im September 1967 und ihrem Diktum des dreifachen Nein (Nein zur Anerkennung, Nein zu Verhandlungen, Nein zum Frieden mit Israel) verstoßen. Neben der politischen Marginalisierung musste Sadat seine Versöhnungspolitik auch mit seinem Leben bezahlen.
Neue Akteure im Vakuum
Vierzig Jahre sind seit diesem historischen Wendepunkt vergangen und vieles scheint unverändert geblieben: Israel ist eine Regionalmacht, der Nahostkonflikt schwelt weiterhin ohne ernstzunehmende Lösungsansätze und die Mehrheit der arabischen Staaten besitzen keine (öffentlichen) Beziehungen zu Israel. Häufig instrumentalisierten arabische Führer die Feindschaft zu Israel sogar, um sich innerhalb ihrer Bevölkerungen politisch zu legitimieren.
Allerdings haben die im Dezember 2010 von Tunesien losgebrochenen Protestwellen die Region tief erschüttert und maßgeblich neu geordnet. Während in den letzten Jahren traditionelle Mächte wie Ägypten und Syrien an Bedeutung verloren haben – der Irak verlor seine Bedeutung bereits nach 2003 –, nutzten andere Staaten das Machtvakuum, um ihren regionalen Einfluss zu steigern.
Neben nichtarabischen Staaten wie der Türkei und Iran ist es vor allem das Königreich Saudi-Arabien, dem eine signifikante Rolle im regionalen Gefüge zugesprochen werden kann. Bereits unter dem ehemaligen König Abdullah waren Tendenzen des neuen saudischen Selbstverständnisses sichtbar: So forcierte das Königreich bewusst Regimewechsel in Libyen, Syrien und Ägypten, während es enge Partnerschaften und langjährige Allianzen mit Marokko, Jordanien, Bahrain oder Oman stärkte. Diese neue aggressive saudische Regionalpolitik ließ einige Beobachter vom Königreich als „Anführer der Gegenrevolution“ sprechen.
Saudi-Arabien unter der Salman Führung
Seit König Salman 2015 den saudischen Thron übernommen hat, wurde dieser Aktionismus weiter fortgeführt. Besonders sein Lieblingssohn, Verteidigungsminister und mittlerweile Kronprinz, Muhammad bin Salman (gängig abgekürzt als MBS), prägt einen radikalen Kurswechsel und Wandel des Landes, wie sie bis vor kurzem noch unvorstellbar waren. National initiiert er eine soziale und ökonomische Öffnung des Landes, wobei er die Unantastbarkeit der religiösen und politischen Eliten übergeht. Die Antikorruptionskampagne im November 2017 ist dabei nur ein Beispiel mit weit reichenden Implikationen.
Auch außenpolitisch sorgt der umtriebige Kronprinz für Schlagzeilen. International werden die Beziehungen zu Amerika neu sortiert und gestärkt, nachdem die Regierung unter Barack Obama sich weitgehend aus der Region zurückgezogen hatte. Allerdings löst sich Saudi-Arabien stetig auch aus der Abhängigkeit mit dem langjährigen engen Verbündeten in Washington und erschließt neue Partnerschaften im ostasiatischen Raum. Weltpolitisch relevant erscheint zudem die beginnende Kooperation zu Russland, welche sich durch den ersten Staatsbesuch eines saudischen Königs im Herbst 2017 ausdrückte.
Regional kann nicht von Erfolgen gesprochen werden (eine gute Übersicht findet sich hier). Der Krieg im Jemen entwickelt sich nach drei Jahren mehr denn je zur größten humanitären Katastrophe, ohne dass eine Lösung in Sicht ist. Für die Entscheidungsträger in Riad ist der Krieg eine politische Krise, die sich nicht nur international durch einen Reputationsverlust, sondern auch national durch wachsenden Widerstand innerhalb der saudische Bevölkerung ausdrückt. Die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ausgehende Blockade gegen Katar brachte ebenso wenig die erwünschten Ergebnisse. Zuletzt blieb selbst die Absetzung des libanesischen Premierministers Saad Hariri im saudischen Exil bedeutungslos und belastet die Beziehung beider Länder mehr als zuvor.
Vor diesem Hintergrund konnten Beobachter eine sukzessive Annäherung und Verbesserung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien erkennen. Hierbei ist das saudische Königreich nicht alleine: Nachbarstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Katar haben auf ähnliche Weise eine informelle Zusammenarbeit mit Jerusalem in den letzten Jahren intensiviert. Allerdings haben alle Staaten öffentlich ihre Solidaritätsbekundungen mit dem palästinensischen Volk untermauert und das Existenzrechts Israels stets verneint.
In einem Interview mit dem amerikanischen Magazin The Atlantic gestand MBS den Israelis nun das Recht auf ihr eigenes Land zu. Konkret sagte er: „Ich glaube, dass jedes Volk, überall, das Recht hat, in ihrer friedlichen Nation zu leben. Ich glaube, dass Palästinenser und Israelis das Recht auf ein eigenes Land haben“. Überraschend ist dabei der öffentliche Zuspruch, der über die 2002 von Saudi-Arabien initiierte Arabische Friedensinitiative hinausgeht. Die Initiative sah unter anderem eine Abkehr der Khartum-Resolution und einen Rückzug Israels aus den seit 1967 besetzten Gebieten vor, um eine Lösung und Beendigung des Nahostkonfliktes zu erarbeiten. Die Äußerung des hochrangigen saudischen Entscheidungsträgers ließ diese Forderung nach einer Rückgabe der von Israel okkupierten Territorien nun (bewusst oder unbewusst) offen.
Bemerkenswerter ist zudem der Zeitpunkt der Anerkennung des israelischen Existenzrechtes durch den saudischen Kronprinzen, der zeitlich mit einer erneuten Gewalteskalation am Gazastreifen zusammenfiel. Bei den tagelangen Auseinanderseitzungen töteten israelische Soldaten seit Karfreitag 34 Palästinenser, während die Hamas zu erneuten Protesten für die nächsten Wochen aufgerufen hat. Wie soll also vor diesem Hintergrund die neue Entwicklung einer potenziellen saudisch-israelischen Allianz bewertet werden?
Regionale Isolation und Liebesgrüße nach Jerusalem
MBS bricht fahrlässig mit saudischen Grundpfeilern einer stillen und bedachten Diplomatie. Besonders regional zeigt sich, dass Saudi-Arabien aber die Kapazitäten fehlen, um die angestrebte Führungsrolle auszufüllen. Die andauernde Katar-Krise treibt das einstige Machtzentrum des Golfkooperationsrates als Zusammenschloss aller dynastischen Monarchien am Golf in die politische Bedeutungslosigkeit. Unlängst bemühen sich neben Katar auch der Oman und Kuwait um neue Allianzen fernab Saudi-Arabiens, während sich herauskristallisiert, dass die VAE ganz eigene machtpolitische Interessen verfolgen. Bahrain und Ägypten bleiben unterdessen an der Seite Saudi-Arabiens, wohlwissend, dass ihnen auf Grund der finanziellen Hilfen aus Riad gar keine Wahl bleibt. Starke Partner sind beide Länder hingegen nicht.
Betrachtet man diese tektonischen Verschiebungen im regionalen Gefüge, so verwundert es nicht, dass sich die Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien entspannen. Im Gegensatz zu Sadat war eine regionale Isolation allerdings nicht die Konsequenz, sondern der Auslöser dieser verbesserten und öffentlich bekundeten Partnerschaft. Die risikobehaftete Regionalpolitik unter MBS hat das saudische Königreich in eine selbstverschuldete politische Abseitsstellung driften lassen.
Zuvorderst kann diese Allianz als Folge der für beide Länder schwierigen Nahostpolitik unter Barack Obama (2009-2017) gesehen werden. Das amerikanische Zaudern, in den syrischen Bürgerkrieg gegen Bashar al-Assad einzugreifen (2013), sowie das abgeschlossene Atomabkommen mit Iran (2015), ließen Jerusalem und Riad desillusioniert zurück. Primäres Ziel beider Länder ist es, den iranischen Einfluss in der Region einzudämmen, der für Israel eine existenzielle Bedrohung und für Riad eine Gefahr für die Herrschaft der Al-Saud-Dynastie darstellt. Auf zahlreichen regionalen Schauplätzen wie Libanon, Syrien, Irak und Jemen kann dieses gemeinsame Ziel koordiniert und angegangen werden.
Zusätzlich zu diesen sicherheitspolitischen Gründen sind es auch ökonomische Kalkulationen. Israel gilt als Wirtschaftsmacht, ist technologisch fortgeschritten und besitzt wichtige internationale Verbündete. MBS braucht wirtschaftlich starke Kooperationspartner und technische Innovation, um seine diversen Großprojekte voranzutreiben und die saudische Ökonomie aus der Abhängigkeit des Öls zu führen. Neben diesen rational geleiteten Interessen einer Realpolitik bleibt die Kernfrage der ideologischen Auseinandersetzung mit Israel offen: Wie nimmt die arabische Welt und die saudische Bevölkerung diese neuen Töne auf?
Einerseits ist die von MBS eingeleitete Versöhnungspolitik zu Israel ein wünschenswerter Zug, der auf offene Ohren in den USA, aber auch in anderen westlichen Staaten stößt. Optimistisch betrachtet kann er eine Ausstrahlungskraft haben und Nachahmungseffekte auf andere Nachbarstaaten bewirken.
Andererseits stellt das neue saudisch-israelische Bündnis ein höchst sensibles Thema in der Region dar, das die Spaltung innerhalb der arabischen Welt vorantreiben und MBS politische Legitimation intern schmälern kann. Es bedarf Fingerspitzengefühl, um es vor der eigenen Bevölkerung und anderen arabischen Führern zu rechtfertigen. Bei seinen bisherigen innen- und außenpolitischen Abenteuern ließ MBS jene Bedachtheit vermissen. Dass MBS im erwähnten Interview den iranischen Führer mit Hitler verglich und von einem „Dreieck des Bösen“ (wörtlich „triangle of evil“) bestehend aus Iran, der Muslimbruderschaft und sunnitischen Terrororganisationen sprach, zeugt nicht von einem moderaten Kurswechsel. Vielmehr offenbart es eine ausschließlich dichotome Betrachtung von „Gut und Böse“ bzw. einer „für oder gegen mich“-Politikformulierung.
Der Umstand, dass sein Vater König Salman bereits am Folgetag die bedingungslose saudische Forderung eines palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt bekräftigte, unterstreicht den impulsiven Vorstoß erneut. Auch im Hinblick auf die gegenwärtig angespannte Situation und erneut entfachte Konfliktsituation im Gazastreifen wirkt MBS Anerkennung Israels als unilateraler Vorstoß, der nicht mit weiteren Entscheidungsträgern der saudischen Familie abgesprochen war.
Insgesamt kann angenommen werden, dass die Beziehungen zu Israel aus einer interessengeleiteten Notwendigkeit weiter ausgebaut, aber im Rahmen ideologischer Auseinandersetzungen lediglich als Hinterzimmerdiplomatie fortgesetzt werden. Eine Aufnahme formaler diplomatischer Beziehungen beider Länder scheint durch die jüngste Aussage MBS nicht realistischer geworden zu sein. Israel bleibt ein Tabuthema in der Region, bei dem Interesse und Ideologie aufeinander prallen.