19.05.2021
Trifft DDR-Fotograf auf PLO: „Wo liegt Palästina“?
Fotograf Billhardt links neben Yasser Arafat. Quelle: Thomas Billhardt-camerawork (camerawork.de)
Fotograf Billhardt links neben Yasser Arafat. Quelle: Thomas Billhardt-camerawork (camerawork.de)

Thomas Billhardt war einer der gefragtesten Auslandsfotografen der DDR. Seine Aufnahmen aus palästinensischen Geflüchtetenlagern erzählen einzigartige Geschichten aus dieser Zeit. Und sie öffnen den Blick für die DDR-Außenpolitik in WANA.

1937 in Chemnitz geboren, machte Thomas Bilhardt in den 1950er Jahren eine Ausbildung zum Fotografen im Atelier seiner Mutter. Nach seinem Studium in Magdeburg und Leipzig in Angewandter Kunst sowie Grafik und Buchdruck, wurde Billhardt zu einem der bedeutendsten Auslandsfotografen der DDR. Auch nach der Wende 1989/90 blieb Billhardt international tätig. Heute lebt der 84-Jährige in der Nähe von Berlin.

Herr Billhardt, im Gegensatz zu Ihren Landsleuten in der DDR reisten Sie um die Welt, um Aufnahmen von Chile bis Nord-Vietnam zu machen und konnten Ihre Bilder auch außerhalb des Ostblocks ausstellen. 1984 erschien Ihr Bildband „Wo liegt Palästina – Ein Volk sucht den Weg in seine Heimat“ über die palästinensischen Geflüchtetenlager in Westasien. Wie kam es dazu?

Das ist eine lustige Geschichte. Ich sollte ein Buch mit Kinderfotos illustrieren, zusammen mit Márta Rafael, der Ehefrau von Karl-Eduard von Schnitzler. Er war Chefkommentator in der DDR-Fernsehsendung „Der schwarze Kanal“, in der er viel über den Westen hetzte und uns auch sehr genau den Kapitalismus erklärte.

Von Schnitzler hatte 1977 eine Sendung namens „Links und rechts der Bagdadbahn“ geplant und fragte mich an, Bilder dafür zu machen. So kam es, dass ich vier Wochen mit ihm zuerst in Damaskus zusammen war. Von Schnitzler war sehr offen, was seinen Hintergrund anging - dass seine Eltern Kriegsverbrecher waren in der Nazi-Zeit. Er selber durch und durch Kommunist. Durch seine Kontakte konnten wir nach Beirut fahren. Eigentlich ging das nicht und war verboten, aber er hat es möglich gemacht.

Aufnahmen von Fotografen Thomas Billhardt in seinem Bildband „Wo ist Palästina“ von 1984.

In Beirut haben wir den damaligen Kulturchef der PLO getroffen, Ismail Shammout, er war Maler. Es waren schnell Kontakte geknüpft und so kam es, dass ich noch oft von der PLO eingeladen wurde, die für die Reisekosten und Spesen aufkamen. Ismail Shammout hat mich 1975, ein Jahr vor dem Massaker, durch Tel al-Zataar geführt, wo ich Bilder gemacht habe. Ich war der einzige ausländische Fotograf, der damals in das Camp gegangen ist. Der Bildband, der auch Aufnahmen aus Sabra und Shatila im Libanon, Jebel Hussein in Jordanien oder Maalula in Syrien enthält, ist quasi im Auftrag der PLO entstanden. Es gab auch eine englische Variante, die von der PLO direkt produziert wurde.

Die ostdeutsche Außenpolitik war antizionistisch geprägt. Israel galt als eine Art verlängerter Arm des US-Imperialismus, erst ab Mitte der 1980er Jahre suchte die DDR-Führung die Nähe zu Tel Aviv, wohl eher aus wirtschaftlichen Gründen. Das Verhältnis zwischen DDR und PLO wiederum war nicht immer einfach, aber gemäß der Faustregel „der Feind meines Feindes…“ kam es zu zahlreichen Waffenlieferungen und Freundschaftsbekundungen. Inwieweit waren Ihnen damals die geopolitischen – und auch ideologischen – Zusammenhänge bewusst?

Die zahlreichen Reisen in die Region waren für mich natürlich sehr aufregend. Ich war aber auch sehr naiv. Wir in der DDR wussten ja nichts über die Palästinenser:innen. Natürlich gab es Solidaritätsaufrufe, aber Genaues wussten wir nicht. Deswegen war es sehr spannend, so viel zu lernen und auch die Widersprüche und Konflikte, die unterschiedlichen Strömungen in der palästinensischen Gemeinschaft sowie die Unterdrückung der Palästinenser:innen durch Israel zu verstehen.

Im Jahr 1978 gab es dann eine Ausstellung mit meinen Bildern in Beirut, welche sogar von Yasser Arafat persönlich eröffnet wurde. Aus heutiger Sicht hat alles seine zwei Seiten, auch bei den Palästinenser:innen. Ich stehe aber immer noch für die Palästinenser:innen in ihrer Not und Unterdrückung ein.

„Markt in Shatila“ im Bildband „Wo ist Palästina“ von 1984.

Hatte Ihre Identität als Staatsbürger der DDR einen Einfluss darauf, wie Sie wahrgenommen wurden?

Ja, also das war das Gute an der DDR: egal wo ich hingekommen bin, ob nach Afrika, Latein-Amerika, Cuba oder Vietnam, die Leute, die einfachen Leute, haben immer gefragt aus welchem Deutschland ich komme - aus dem „Guten“ oder dem „Bösen“. Dabei hatte ich das Gefühl, doch auf etwas stolz zu sein, irgendwie auf der guten Seite zu stehen und etwas richtig zu machen. Für mich steht der Mensch im Mittelpunkt, ich bin einfach Humanist. Obwohl ich heute keine DDR mehr möchte. Ich habe nämlich nicht die ganzen Stasi-Geschichten vergessen und auch nicht, dass sie mich erpressen wollten, damit ich für sie arbeite. Erfolglos! Durch meine vielen Reisen mit der Fotografie kam ich viel rum das war natürlich interessant für die Stasi.

Bei all den vielen Erfahrungen und auch der Bekanntheit, die Sie in der DDR erfahren haben, wie war es dann mit der Anerkennung Ihres Werkes nach der Wende?

Als die Wende kam, hatte ich natürlich einen gewissen Namen. Danach wurde ich bei Veranstaltungen oder Ausstellungen manchmal gefragt, wie ich das geschafft habe, so viel zu reisen, solche Bilder zu schießen und das zu DDR-Zeiten. Ich hatte gearbeitet, mein Leben riskiert für meine Arbeiten, teilweise meine Familie für längere Zeit verlassen, um so eine gute Arbeit leisten zu können. Nach der Wende kamen sogar Kolleg:innen, die mich in aller Öffentlichkeit angriffen und diffamierten. Am Anfang tat es weh, für all die Sorgen, Arbeit und Gefahren so eine Reaktion zu bekommen. Heute verstehe ich: wer gute Arbeit macht hat immer Neider.

Was heute auch anders ist: damals wurde meine Ausstellungen zu Propagandazwecken genutzt. Dabei haben nicht meine Bilder an sich interessiert, sondern wer zu der Eröffnung dieser Ausstellungen gekommen ist, um daraus Solidaritätsveranstaltungen zu machen, beispielsweise für die Vietnames:innen und diese Eröffnung öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Heute schauen sich die Leute meine Bilder der Bilder wegen an. Das ist schön.

Aufnahmen in Byblos, Libanon im Bildband „Wo ist Palästina“ von 1984.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren „Fotomodellen“ von damals in Palästina?

Leider nicht. Ich habe auch viel in Vietnam gearbeitet. Dort hat es funktioniert, dass ich 2000 und 2019 noch einmal hingefahren bin und verfolgt habe, was aus den Menschen, die ich fotografiert habe, geworden ist. Dazu wird auch bald ein neuer Bildband veröffentlicht. Aber zu den Menschen in Palästina ist leider der Kontakt abgebrochen, ich weiß auch nicht genau wieso. Es ist sehr schade, aber ich denke es gab auch in der PLO und zwischen den Menschen, die ich damals getroffen habe, Spione und Machtkämpfe.

Aber vor allem glaube ich, dass sich nach dem Tod von Arafat viel verändert hat und der Kontakt endgültig abgerissen ist. Ich wäre sehr gerne nochmal gefahren und hätte gerne mit meinen 84 Jahren noch einmal das Leiden, die Erfahrungen und das Leben mit den Menschen dort geteilt. Aber es sind trotzdem viele schöne und auch wirklich verrückte Erinnerungen, die ich mit Palästina verbinde. Wie mein zweistündiges Gespräch mit Arafat, als er mich von der Beschneidung überzeugen wollte. Das war einfach unglaublich. Aber das steht nun alles in meinen Memoiren.

 

 

Henriette studierte Vorderasiatische Archäologie und Islamwissenschaft im Master in Berlin, London und Amman und arbeitete und lebte im Sudan, Tunesien, Syrien, Tadschikistan, Aserbaidschan und Russland. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin im Bereich Migration und promoviert in der Iranistik zu Kurd*innen in Russland.
Redigiert von Anna-Theresa Bachmann, Tobias Griessbach